Wie lässt sich Tourismus in ländlichen Regionen wie dem Naturpark Altmühltal zukunftsfähig aufstellen? Wie können Gastronomie und Hotels dem Personalmangel begegnen? Und wie verändert die Digitalisierung den Tourismus? Diese und andere Fragen diskutieren Prof. Dr. Harald Pechlaner, Inhaber des Lehrstuhls für Tourismus an der KU, und Christoph Würflein, Geschäftsführer des Naturparks Altmühltal. Beide hatten im Juli zu den Eichstätter Tourismusgesprächen eingeladen, die bereits zum 36. Mal stattfanden. Rund 30 Fachleute aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik diskutierten Ideen und Lösungsansätze.
Bei den Tourismusgesprächen ging es insbesondere um den Personalmangel in der Branche. Können Sie die Problematik kurz skizzieren?
Würflein: In der Tourismusbranche haben wir es nicht nur mit dem vielerorts auftretenden Fachkräftemangel zu tun, denn im Tourismus wird alles gesucht – vom Tellerwäscher bis zum Manager. Deswegen sprechen wir genereller von Personalmangel. Allerdings gibt es mittlerweile auch eine gegensätzliche Entwicklung. Ich war in den letzten Tagen in der Region unterwegs bei einem Hotel, das für sein Restaurant nun einen Koch und Pächter gefunden hat. Der hat seinen Job bei einem größeren Unternehmen aufgegeben und sich selbstständig gemacht, weil ihm die aktuelle wirtschaftliche Lage dort zu unsicher war und ihn zudem die unternehmerischen Gestaltungsmöglichkeiten in der Selbstständigkeit reizen. Der Tourismus profitiert also aktuell von Krisen in anderen Bereichen.
Pechlaner: Das Problem des Personalmangels entschärft sich im Tourismus auch andernorts wieder, da es Verschiebungen in den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gibt. Gleichzeitig ist und bleibt ein Teil des Personalmangels ein hausgemachtes Problem der Branche, insbesondere die Attraktivität der Arbeitsbedingungen.
Christoph Würflein bei den 36. Eichstätter Tourismusgesprächen
Wieso ist Personalmangel gerade in ländlichen Regionen ein Problem?
Würflein: In ländlichen Regionen ist ein zentraler Punkt die räumliche Flexibilität. Das betrifft vor allem Auszubildende, aber nicht nur. Die Arbeitsplätze sind oft nicht oder nicht ausreichend mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar, Führerschein und Auto sind keine Selbstverständlichkeit. Um Mitarbeitende zu bekommen, muss der Arbeitgeber oft ein Zimmer zur Verfügung stellen. Er ist dann nicht nur Chef oder Chefin, sondern auch Ansprechpartner für die oft minderjährigen Auszubildenden. Umgekehrt kann man das nicht nur als Notlösung, sondern auch als Strategie betrachten: Wenn ich über das Gehalt hinaus Leistungen bereitstelle, schaffe ich es trotz niedriger Einstiegsgehälter, Menschen an mich zu binden. Ich kenne viele positive Beispiele, wie Betriebe, die Geflüchtete aufnehmen und sich dann aktiv um das Thema Spracherwerb kümmern. Das ist für einen kleinen familiengeführten Betrieb, wie wir sie früher vor allem hatten, aufwändig, wird aber ab einer gewissen Betriebsgröße deutlich leichter. Da lässt sich auch die Saison-Problematik besser ausgleichen. Ein Beispiel aus dem Altmühltal: Der Besitzer eines Ausflugslokals betreibt auch ein Hotel. Wenn das Restaurant im Winter schlechter ausgelastet ist, kann er seine Angestellten im Hotel einsetzen. Für solche Lösungen braucht es Willen und Kreativität.
Prof. Dr. Harald Pechlaner
Was braucht es noch, um den Tourismus auf dem Land voranzubringen?
Pechlaner: Die zentrale Herausforderung ist es, in ländlichen Regionen wie dem Naturpark Altmühltal über eine große Fläche ein zusammenhängendes Angebot entlang der touristischen Dienstleistungskette zu bieten. Wenn Touristen lange Wege zwischen Beherbergung, Verpflegung und Freizeitaktivität auf sich nehmen müssen, bricht die Kette, die Region wird insgesamt touristisch unattraktiver und alle Unternehmen haben es schwerer. Zudem ist es zunehmend notwendig, vom klassischen Tourismusdenken wegzugehen, hin zu dem, was wir als Lebensraummanagement bezeichnen. Personal bekommt man heute, egal ob international oder regional, durch ein umfassendes Angebot. Es geht nicht mehr nur darum zu sagen, du verdienst ein paar Euro mehr als woanders, sondern um Fragen wie: Kann sich jemand, vielleicht mit Familie, in der Region ansiedeln? Wie schaut es mit Wohnraum aus, mit Betreuungs-, Bildungs- und Freizeitangeboten? Es geht um eine umfassendere Idee, wie man Menschen für die ländliche Region gewinnen kann. In städtischen Räumen haben Menschen mehr Alternativen, insofern ist das eine Herausforderung. Gleichzeitig liegt darin eine große Chance, denn wenn Loyalitäten entstehen, sichere ich mir für viele Jahre Mitarbeitende. Entscheidende Voraussetzung, um aber überhaupt Personal in die Region zu bekommen, ist das erwähnte zusammenhängende Angebot. Darum müssen wir uns wesentlich mehr kümmern.
Wer ist in diesem Fall wir?
Würflein: Das sind zum Beispiel Politik und Verwaltung, die die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen muss. Ein konkretes Beispiel: Ein Hotel wird gebaut und gegenüber, an der alten Stadtmauer, ist eine wunderschöne Fläche, perfekt für einen Biergarten. Aber das geht nicht, denn die Genehmigungsbehörden fordern, dass dort Parkplätze für das Hotel ausgewiesen werden. Außerhalb der Mauer gäbe es zwar auch Flächen, aber das ist Hochwassergebiet. Nun würde ich sagen: Wenn Hochwasser kommt, sind Autos schnell weggefahren. Wenn man den Tourismus unterstützen will, sollte die öffentliche Seite mehr Flexibilität zeigen. Ich will nicht, dass unsere Landschaft irgendwann ausschaut wie in Mittelgriechenland, wo jeder sein Haus irgendwo hinstellt, aber andererseits ist es auch keine gute Lösung, alle Richtlinien immer sklavisch auszulegen. Für den Erhalt der Dienstleistungskette, von der Professor Pechlaner spricht, sind zudem alle touristischen Anbieter gefragt. Zum Beispiel bemühen wir uns derzeit im Bereich Treuchtlingen-Eichstätt darum, wieder ein zusammenhängendes Angebot herzustellen. Dafür braucht es Anlaufpunkte, Freizeitangebote, Übernachtungsmöglichkeiten, die nur im Gesamten ein umfassendes touristisches Angebot bilden.
Welche Rolle spielt eine Vernetzung wie durch den Naturpark Altmühltal oder das Format der Eichstätter Tourismusgespräche?
Pechlaner: Vernetzungsqualität ist ein entscheidender Faktor. Wirtschaft, Wissenschaft und Politik müssen eng zusammenspielen. Vor allem im ländlichen Raum sind alle aufeinander angewiesen. Hinzu kommt Führungsqualität als wichtiger Faktor. Es wurde bei den Tourismusgesprächen mehrfach betont, dass ein Qualitätsproblem entlang der touristischen Wertschöpfungskette am Ende das Gesamterlebnis gefährdet. Das muss den einzelnen Unternehmerinnen und Unternehmern noch klarer werden. Denn es ist nicht immer so, dass das Personal fehlt, weil niemand in den ländlichen Raum kommen will, sondern oft ist auch die mangelnde Professionalität der Betriebe ein Grund. Auf dem Land haben wir viele Klein- und Kleinstbetriebe. Die zu vernetzen ist ein starkes Stück Arbeit, aber notwendig, weil diese Betreibe allein bestimmte Dinge wie die professionelle Akquisition von Personal nicht mehr hinkriegen.
Herr Würflein, wie erleben Sie die Professionalisierung der Tourismusbetriebe im Naturpark Altmühltal?
Würflein: Da vollzieht sich momentan ein Wandel. Als ich vor über 20 Jahren angefangen habe, gab es noch den typischen Familienbetrieb mit Tanten, Großeltern, Neffen, Nichten, die in der Hochsaison zusammen geholfen haben. Diese Strukturen, die mitunter sehr selbstausbeuterisch waren, lösen sich auf. Daher braucht es eine Professionalisierung in der Betriebsführung, denn ich habe es nun mit externen Arbeitskräften und geregelten Arbeitsverhältnissen zu tun. Mittlerweile gibt es einige Unternehmerinnen und Unternehmer, die zum Beispiel BWL studiert haben und als Seiteneinsteiger ganz andere Strukturen entwickeln. Der Umbruch funktioniert aber natürlich nicht überall gleich gut. Unsere Aufgabe ist es, in diesem Wandel zu unterstützen, mit dem Ziel, dass nicht irgendwann ganze Teilregionen des Naturparks touristisch ausfallen.
Wie verändert die Digitalisierung den Tourismus?
Pechlaner: Ich sehe eine Veränderung auf zwei Ebenen. Einmal entsteht ein neues touristisches Produkt. Arbeit und Freizeit verschwimmen, Stichwort Workation. Die Idee also, Urlaub zu machen und gleichzeitig durch die Digitalisierung Teil der Arbeitswelt zu bleiben. Da passiert international viel und auch ländliche Regionen können sich da nicht entziehen. Hier könnten künftig neuartige Angebote entstehen. Der zweite Aspekt: Wie Herr Würflein sagt, sind die kleinen Familienbetriebe im Umbruch, finden teils keine Nachfolger. Durch die Digitalisierung sind junge Menschen vielleicht wieder bereit, in Zimmerinfrastrukturen zu investieren, weil die Tätigkeit attraktiver wird. Mithilfe technologischer Entwicklungen wie Online-Check-Ins lassen sich Standardprozesse abgeben, ohne zusätzlich Personal zu benötigen. Stattdessen braucht es unternehmerische Kompetenzen, um den Betrieb in die Vermarktungsstrukturen zu bringen und zu vernetzen. Das sind dann die eigentlichen Aufgaben und nicht mehr das Ausgeben von Schlüsseln. Wenn es die Politik dann noch schafft, durch geeignete Rahmenbedingungen junge Menschen zu animieren, solche neuen touristischen Strukturen zu gestalten, erhalten wir die wichtige touristische Dienstleistungskette.
Würflein: Das kann ich nur unterstützen. Wir haben im Naturpark erfreuliche kreative Entwicklungen, wie einen Schäferwagen-Imbiss oder Tiny House-Übernachtungen. Im ländlichen Bereich darf es nicht zu standardisiert ablaufen, die menschliche Komponente ist im Erholungstourismus wichtig. Aber bis zu einem gewissen Grad kann ich auch hier Abläufe digitalisieren und rationalisieren – zum Beispiel elektronische Buchungssysteme nutzen oder Lebensmittelautomaten bereitstellen.
Was raten Sie touristischen Unternehmerinnen und Unternehmern auf dem Land, um erfolgreich zu sein?
Pechlaner: Man sollte mittelfristig und strategisch denken. Für den Tourismus zu begeistern, ist eigentlich nicht schwer. Es ist eine tolle Branche, aber wir brauchen gute Argumente und Narrative, um junge Menschen zu motivieren. Man muss etwas über das Gehalt hinaus bieten, es geht um ein Gesamtkonzept.
Würflein: Wichtige Punkte sind Personalführung und Qualität. Qualität heißt nicht, dass alles auf Fünf-Sterne-Niveau sein muss, sondern in den jeweiligen Bereichen soll Top-Qualität gebracht werden. Zentral ist auch Individualität. Das geht los bei regionalen Produkten und weiter mit Gestaltung und Design. Wir sollten im Naturpark auf unsere Stärken setzen und das ist insbesondere die Naturnähe.