„Jetzt hat man wirklich was bewegt“

Fortsetzung der Engagement-Gespräche an der KU: Was leistet bürgerschaftliches Engagement in der Integration? Ein Gespräch mit Jana Jergl, Angela Müller, Dr. Tanja Evers und Zahra Yusefi

Engagement fördern und sichtbar machen: Das ist eines der Ziele von „Mensch in Bewegung“, einem Gemeinschaftsprojekt von Katholischer Universität Eichstätt-Ingolstadt und Technischer Hochschule Ingolstadt. Unter dem Motto „Engagement hinterlässt Spuren“ besuchte das Projektteam dazu im Sommer engagierte Menschen und Initiativen an rund 50 Orten in der Region. Mit dem Herbstprogramm werden die Gespräche mit Vereinen und Initiativen, mit Forschenden und Kommunen fortgesetzt. Zum Treffen sprachen Jana Jergl (Jesuiten Flüchtlingsdienst), Angela Müller (Caritas Eichstätt), Zahra Yusefi und Dr. Tanja Evers (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt) darüber, wie Engagierte Integration mitgestalten können.

Jana Jergl
Jana Jergl

Das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern gilt als Motor für Integration. Bevor wir darüber sprechen: Was sind denn aktuelle Herausforderungen in diesem Bereich?

Jana Jergl: Ein Hauptproblem ist, dass sich die öffentliche Diskussion in den vergangenen Jahren verschoben hat. Die Hilfsbereitschaft, die 2015 da war, wurde schnell von rassistischen und menschenfeindlichen Ansichten verdrängt, die inzwischen auch in konservativen und liberalen Kreisen verbreitet sind. Wenn man sich für Rechte einsetzt, die durch die Verfassung garantiert sind, wird das heute bereits als zu ideologisch wahrgenommen. Viele Leute fühlen sich daher durch neue Menschen verunsichert.

Angela Müller: In der Beratung bei der Caritas erleben wir: Wohnraum und prekäre Wohnverhältnisse sind ein Thema, das viele betrifft. Auch Bildungseinrichtungen sind ein Thema. Viele sind längst noch nicht fit für die Migrationsgesellschaft, wenn Eltern mit dem deutschen Schulsystem nicht vertraut sind oder nicht wissen, wie ein Kindergarten funktioniert. Vielen Geflüchteten fehlen aber auch Sprachkenntnisse, weshalb Behördengänge zu einer fast unüberwindbaren Hürde werden. Sich selbständig in Deutschland bewegen zu können, rückt damit in unerreichbare Ferne.

Tanja Evers: Ja, 2018 haben wir eine Untersuchung in Oberbayern durchgeführt. Arbeit war da auch ein Thema. Die Landkreise gehen sehr unterschiedlich mit Arbeitserlaubnissen um, oftmals abhängig vom jeweiligen Landrat. Für die Betroffenen ist das natürlich nicht nachvollziehbar. Eines der drängendsten Probleme ist aber auch die Abschottung Europas. Politisch müssten wir über Seenotrettung sprechen oder über eine gemeinsame europäische Asylgesetzgebung, die aber einfach nicht zustande kommt. Integrationsbemühungen können nur dann greifen, wenn Menschen eine Chance erhalten, hierher zu fliehen. Das ist das Hauptproblem, dass wir als Gesellschaft offensichtlich nicht bereit sind, das zu ermöglichen.

Müller: Ja, auch in Deutschland werden solche Ausschlussmechanismen praktiziert, wenn Geflüchtete je nach Herkunftsland bestimmte Zugänge zu Arbeit nie erhalten. Vollkommen unklar ist aktuell auch, was mit Menschen geschieht, die in Griechenland anerkannt wurden, dann aber auf die Straße gesetzt werden und nach Deutschland weiterwandern.

Frau Jergl, sie möchten das ergänzen?

Jergl: Ja, diese Menschen kommen hier in Abschiebehaft, bevor sie wieder nach Griechenland abgeschoben werden. Eine davon sitzt hier bei uns. Frau Yusefi wurde, als sie nach Deutschland kam, inhaftiert. Im Nachhinein hat sich das als rechtswidrig herausgestellt. Bei einem weiteren Festnahmeversuch wurde der Haftbefehl versehentlich nach Teheran geschickt, wo sie ja nicht mehr lebte. Weitere Fehler folgten. Angesichts solcher Fälle frage ich mich, was geschieht, wenn niemand da ist, der danach fragt.

Zahra Yusefi
Zahra Yusefi

Frau Yusefi, welche Erfahrungen haben sie gemacht?

Zahra Yusefi: Meine Erfahrung ist, dass zwischen den Geflüchteten und der deutschen Bevölkerung eine Grenze gezogen wird. Ich war in einem Büro, in dem niemand Englisch sprach. Das verstehe ich. Es gab aber auch keine Deutschkurse. Und es hat mich schockiert, wie leicht es möglich war, mich zu verhaften. Ich konnte mit niemandem sprechen, sie haben mir nicht geglaubt.

Jergl: Inzwischen hat Frau Yusefi einen Schutzstatus für drei Jahre zuerkannt bekommen. Sie musste allerdings eineinhalb Jahre warten, bis sie durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge interviewt wurde. Das zeigt, was alles geschehen muss, damit man zu seinem Recht kommt.

Müller: Ja, auch wir erleben, dass es lange Wartezeiten und fehlende Zugänge zu Integrations- und Deutschkursen gibt. Solange jemand keine Anerkennung oder keinen Schutzstatus erhält, müssen die Personen warten. Viele warten drei, vier oder fünf Jahre. Die Behörden werfen ihnen vor, dass sie kein Deutsch sprechen. Die meisten haben aber keine Gelegenheit, Sprachkenntnisse zu erwerben. Das ist ein großes Problem.

Viele Bürger haben sich nach 2015 aber auch stark engagiert, oder?

Müller: Ja, im Landkreis Eichstätt ist in dieser Zeit in fast jedem Ort ein Helferkreis entstanden. Das Engagement war enorm und unglaublich wichtig für das Ankommen der Menschen. Sehr viel praktische Alltagshilfe wurde geleistet. Neue Kontakte, auch Freundschaften sind entstanden. Manchmal hatte es aber auch etwas von: Wir Einheimischen zeigen euch jetzt mal, wie das hier funktioniert. Das hat eine gewisse Berechtigung, klar, es gab aber auch Konflikte, wenn die Geflüchteten nicht die Ziele verfolgten, die die Ehrenamtlichen vor Augen hatten. Dieser Aspekt wurde kaum reflektiert.

Evers: Dem stimme ich zu. Das bürgerschaftliche Engagement ist überaus wichtig. Die Zivilgesellschaft schafft eine Brücke zwischen Politik und Privatpersonen. So wird es möglich, sich zu begegnen, fremdenfeindliche Vorstellungen abzubauen oder sie erst gar nicht entstehen zu lassen. Aber wir haben auch gesehen: Manchmal kippt Fürsorge in Entmündigung. Geflüchtete werden dann als reine Hilfsempfänger wahrgenommen, nicht als Personen, die aktiv mitgestalten möchten. Problematisch ist außerdem, dass sich der Wohlfahrtsstaat zurückzieht, weshalb Engagierte sich mit Aufgaben konfrontiert sehen, die sie nicht lösen können, etwa wenn es um Rechtsberatung geht.

Frau Jergl, sie engagieren sich selbst sehr stark. Was motiviert sie?

Jergl: Ich bin von klein auf mit Menschen aus vielen Ländern aufgewachsen. Später habe ich erst Jura studiert, um mir das rechtliche Knowhow anzueignen. Dann bin ich zur Amnesty Asylgruppe hinzugekommen. Es hat damit angefangen, dass ich Inhaftierte beraten wollte. Zu Beginn habe ich Frauen in der Haft beraten, inzwischen berate ich mit einem Kollegen alle Inhaftierten. Was mich antreibt? Dass ich es nicht akzeptieren kann, dass geltendes Recht gebrochen wird. Das werde ich auch nie akzeptieren.

Frau Yusefi, haben sie denn in Deutschland auch Unterstützung erfahren?

Yusefi: Ja, als ich in Eichstätt in Abschiebehaft war, habe ich zum Beispiel Frau Jergl getroffen. Sie hat mir in einer schwierigen Situation sehr geholfen. Ich habe auch viele andere, sehr nette Menschen kennengelernt, für deren Unterstützung ich sehr dankbar bin. Aufgefallen ist mir aber: Nachdem die Polizei mich versehentlich verhaftet hatte, haben sich alle bei Frau Jergl entschuldigt. Aber niemand bei mir. Geflüchtete sind auch Menschen. Wenn man einen Fehler macht, sollte man sich dafür entschuldigen.

Angela Müller
Angela Müller

Hat die Corona-Pandemie denn die Situation für die Geflüchteten verändert?

Müller: Ja, seit März 2020 gab es für einige Monate ein Betretungsverbot für alle Unterkünfte. Die Kontaktbeschränkungen haben dazu geführt, dass viele Kontakte abgebrochen sind. Für die Kinder war es besonders schwierig. Distanzlernen, kein Sport mehr, keine Freizeitaktivitäten. Die Pandemie hat die Geflüchteten besonders stark getroffen und das ehrenamtlich Engagement fast zum Erliegen gebracht.

Jergl: Die Pandemie hatte aber auch positive Seiten. Nur wenige Menschen waren in Haft. Ich bin auch Sprecherin der Seebrücke hier in Eichstätt. Wir haben eine hohe Spendenbereitschaft erlebt, es kam viel Geld zusammen. Die Menschen hatten Zeit, sich mit den Themen zu beschäftigen.

Evers: Ja, es gab so etwas wie einen zweiten Solidaritätsruck. Viele haben wieder mehr über den Tellerrand geschaut, mehr Bereitschaft gezeigt, solidarisch zu sein.

Tanja Evers
Tanja Evers

Frau Evers, wie kann denn die Wissenschaft zu Integration beitragen?

Evers: Für uns am Zentrum für Flucht und Migration ist es wichtig, unsere Erkenntnisse in die Gesellschaft zu tragen. Besonders wenn Debatten sehr stark aufgeheizt sind, kann unabhängige Forschung eine gute Diskussionsgrundlage bilden. Es ist aber auch unsere Aufgabe, den Integrationsbegriff zu problematisieren: Wo kommt er her? Wie wird er politisch verwendet? Und ist es in einer pluralen Gesellschaft, in der mehr als ein Viertel der Bevölkerung einen so genannten Migrationshintergrund hat, überhaupt noch legitim, Integration als eine Leistung von nur einer Seite einzufordern?

Sehen sie denn auch Möglichkeiten, untereinander enger zusammenzuarbeiten?

Jergl: Ja, einige Studierende unserer Hochschulgruppe haben am Zentrum für Flucht und Migration bereits ein Projekt durchgeführt. Viele nehmen auch an den Seminaren teil.

Müller: Und wir bekommen immer wieder Anfragen von Fakultäten für Abschlussarbeiten. Ob dabei ein Diskurs aus der Wissenschaft heraus angestoßen wird, kann ich noch nicht sagen. Aber ich fände es spannend, die Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Flucht und Migration weiter auszubauen.

Evers: Für uns ist die Zusammenarbeit wichtig. Als Forschende dürfen wir nicht nur von außen draufschauen, sondern müssen auch vor Ort sein, in den Landkreisen. Ich habe in Workshops und Gruppendiskussionen viel dazugelernt, neue Themenanstöße erhalten. Besonders schön fand ich Gespräche, bei denen wir etwas dalassen konnten. Zu erfahren, dass Forschung etwas verändern kann. Das sind die Momente, in denen ich denke, jetzt hat man wirklich etwas bewegt.

Zu den Personen:

Angela Müller arbeitet für die Flüchtlings- und Integrationsberatung des Caritasverbandes in der Diözese Eichstätt.

Jana Jergl berät Geflüchtete aktuell für den Jesuiten Flüchtlingsdienst, ursprünglich beriet sie Frauen über die Amnesty Asylgruppe Eichstätt.

Dr. Tanja Evers ist Kommunikationswissenschaftlerin an der an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und forscht dort am Zentrum für Flucht und Migration.

Zahra Yusefi ist Nahrungsmittelingenieurin. 2019 ist sie aufgrund von politischer Verfolgung und einer Inhaftnahme wegen ihres langjährigen Aktivismus gegen das iranische Regime nach Deutschland gekommen.