„Musik für alle“: Mehr kulturelle Teilhabe für Menschen mit Behinderung

Jessika Köbele bei ihrer wöchentlichen Musizierstunde mit einer Bewohnerin der „Lebensplätze für Frauen“. Diese Einrichtung bietet in München vormals obdachlosen Frauen dauerhaft eine eigene Wohnung. Nicht nur finanzielle, sondern auch körperliche Hürden erschweren ihnen eine Teilhabe an kulturellen Angeboten. (Foto: Manuela Fuchs)
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Wie wichtig kulturelle Teilhabe für das eigene Wohlbefinden ist, erfährt gerade jeder selbst durch die Einschränkungen der Pandemie: Museen, Theater und Kinos sind geschlossen, Konzerte finden nicht statt. Doch auch unabhängig von Corona gibt es Menschen, die nur mit Mühe Zugang zu Kultur erhalten – sei es durch psychische, physische oder soziale Beeinträchtigungen. Speziell für ehemals obdachlose Frauen sowie die Bewohnerinnen und Bewohner einer inklusiven WG bietet deshalb Jessika Köbele in München das Projekt „Musik für alle“. Die 29-Jährige studiert an der KU im Masterstudiengang „Community Music/Inklusive Musikpädagogik“. Dieses europaweit einzigartige Studienangebot der KU verbindet Inklusion als Menschenrecht mit der Professionalisierung von Musikpädagoginnen und -pädagogen.

Köbele hat langjährige Erfahrung als Sozialarbeiterin und war dabei unter anderem in der Wohnungslosenhilfe tätig. Dabei kam sie in Kontakt mit dem Münchner Projekt „Lebensplätze für Frauen“ des Evangelischen Hilfswerks. Statt befristeter Unterbringung in Notunterkünften erhalten dabei ältere Frauen, die langjährig obdachlos waren, einen unbefristeten Mietvertrag. Häufig haben sie bislang unbehandelte psychische Erkrankungen und Suchtprobleme. Ziel ist es, den Frauen einen Ort zu bieten, an dem sie nach langen Jahren der Obdachlosigkeit zur Ruhe kommen können. „Bei meinen Nachtdiensten in der Einrichtung bin ich ins Gespräch mit den Frauen gekommen und erzählte ihnen, dass ich selbst Musik mache. Für die Frauen ist es sozial und finanziell sehr schwer, in ein Museum zu gehen oder ein Konzert zu besuchen. So entstand die Idee, ihnen Kultur in Form von gemeinsamer Musik nach Hause zu bringen“, schildert Jessika Köbele. Zunächst in einer kleinen Gruppe, dann coronabedingt in Einzeltreffen musiziert sie sich wöchentlich mit einigen Bewohnerinnen der „Lebensplätze“. Wichtig ist ihr dabei, das Angebot so niedrigschwellig wie möglich zu gestalten und auf die Wünsche der Frauen einzugehen: „Eine Frau stammt aus Griechenland und möchte einfach gerne Musik aus ihrer Heimat singen, eine andere hat besonders Freude an rhythmischen Übungen.“ Für viele sei die Stunde ein Highlight der Woche, weil sie eher isoliert lebten und häufig keinen Kontakt mehr zu ihren Familien hätten. „Unsere Bewohnerinnen haben durch dieses Projekt die Möglichkeit, ohne finanzielle Mittel, die sie für kulturelle Angebote leider nicht zur Verfügung haben, teilzunehmen. Neben den finanziellen Ressourcen darf nicht vergessen werden, dass die Bewohnerinnen oft nicht ausreichend mobil sind, um an den Angeboten im weiteren Stadtgebiet mitzumachen. Sie können sich teilweise nicht alleine orientieren oder haben eine Gehbehinderung“, erläutert die Sozialpädagogin Maria-Elisa Napolitano vom Evangelischen Hilfswerk München. Das Projekt hole die Bewohnerinnen da ab, wo sie mit ihren Stärken, Schwächen, Hemmungen und auch ihren Eigenarten stehen. Zugleich trage es dazu bei, Hemmungen abzubauen und offen zu sein für andere Angebote: „Trauen sich die Bewohnerinnen etwas Neues zu, schafft es Selbstvertrauen und ihr Selbstwert verändert sich zum Positiven“, so Napolitano.

Neben den „Lebensplätzen“ kooperiert Jessika Köbele für ihr Projekt auch mit Münchner Verein „Gemeinsam Leben Lernen“. Dieser bietet unter anderem zehn Wohngemeinschaften, in denen Menschen mit und ohne Behinderung leben. Die Bewohnerinnen und Bewohner ohne Behinderung – meist Studierende oder Auszubildende - begleiten die Menschen mit Handicap durch den Alltag und wohnen dafür mietfrei. Jeder hat in diesen WGs ein Einzelzimmer, aber gekocht und gegessen wird gemeinsam. Da die Wohngemeinschaft als ein Hausstand gilt, kann Köbele auch in Coronazeiten als zusätzliche Person in der WG zu Gast sein. Auch dabei geht sie auf besondere Wünsche ein – so hat die Gruppe ein besonderes Faible für Schlager und Volkslieder. Jakob Förster leitet die WG „Am Hart“ und berichtet: „Gerade in Zeiten von Corona konnten wir sehr positive Auswirkungen des Projektes auf unsere BewohnerInnen feststellen. Zum einen war es eine willkommene Ablenkung des doch recht tristen Alltags. Zum anderen wurde das Interesse der Bewohner am selbstständigen Musizieren auch außerhalb des Projektes geweckt. So gab es beispielsweise vermehrte Nachfragen nach der nächsten Musikstunde und die BewohnerInnen brachten ungefragt Instrumente von ihren Eltern mit in die Wohngemeinschaft.“

Für Jessika Köbele hat das gemeinsame Musizieren nicht nur Wirkung auf die Klientinnen und Klienten, sondern bietet auch ihr selbst neue Wege für den Austausch: „Man kann nonverbal kommunizieren und so noch mehr aus Mimik und Gestik ablesen als in einem klassischen Gespräch.“ Sie sei immer auf der Suche nach einem Schwerpunkt in der Sozialarbeit gewesen und habe berufsbegleitend zunächst eine Weiterbildung im Bereich Elementare Musikpädagogik absolviert. An diese knüpft sie nun mit dem Masterstudiengang Community Music an.

Weitere Informationen zum Studiengang finden sich unter
www.musikpädagogik.info