"Um jeden Gast kämpfen"

Die Rahmenbedingungen der Corona-Pandemie stellen auch für Reiseanbieter, Hoteliers und Pensionsbesitzer eine große Herausforderung dar. In einem Interview für das gemeinsame Corona-Forum von KU und Donaukurier geht der Inhaber des Lehrstuhls Tourismus, Prof. Dr. Harald Pechlaner, auf die allmählichen Lockerungen in der Branche ein.

Herr Pechlaner, seit März sind Hotels und Pensionen geschlossen. Wie ist die Lage in der Branche?

Dem Tourismus geht es sehr schlecht. Reisen hat mit Mobilität und Bewegungsfreiheit zu tun. Seit Ausbruch der Pandemie war aber nur noch – lassen Sie mich das überspitzt formulieren – das Virus mobil. Nach den Grenzschließungen war es dann ganz aus. Nicht nur der Inlandstourismus, auch der Auslandstourismus kam vollständig zum Erliegen. Große Hotels genauso wie kleine Pensionen, aber auch Reiseveranstalter gehören daher zu den am härtesten betroffenen touristischen Bereichen.

Ab der kommenden Woche dürfen Hotels wieder öffnen. Ein Hotelier aus Eichstätt berichtet, dass die Zurückhaltung der Gäste aber noch groß sei …

Ja, es genügt nicht, dass wir die Reisefreiheit wiedererlangen. Viele verspüren eine große Unsicherheit, die ihnen die Freude am Reisen verdirbt. Daher laufen die Reisebuchungen nur zögerlich an. Gäste, aber auch Anbieter und Reiseveranstalter fragen sich: Wie können wir die Bedenken ausräumen?

Was braucht es dazu?

Wer eine Unterkunft buchen möchte, sucht jetzt stärker den persönlichen Kontakt. Die Gäste erfragen: Was haben sie unternommen, um die Gesundheit ihrer Gäste zu garantieren? Wo können wir abends sicher essen gehen? Die Betriebe müssen glaubwürdig darlegen können, dass sie sich intensiv um die Sicherheit und die Gesundheit ihrer Gäste kümmern. Auch Reiseveranstalter müssen solche Fragen beantworten können: Informieren sie ihre Kunden aktiv und nehmen sie den Gästen die Unsicherheit? Auch auf den Webseiten sollten die Informationen platziert werden.

Welche Reiseziele werden aktuell denn bevorzugt gebucht?

Viele buchen private Ferienwohnungen, Bauernhöfe im ländlichen Raum oder Camping-Plätze. Orte ohne große Menschenansammlungen. Die Menschen wollen keine Abhängigkeit und keine Rundumversorgung. Sie suchen Angebote, die ihnen Autonomie gewähren. Das hat mit Vorsicht und mit Sorge zu tun. Für Regionen wie das Altmühltal, die eine dünne Beherbergungsstruktur haben, ist das eine Chance. Die Angebote müssen jetzt besonders gut beworben werden, damit die bestehenden Strukturen erhalten bleiben. In beliebten Urlaubsregionen wie in den Alpen oder an der Ost- und der Nordsee befürchten die Anbieter allerdings auch einen zu starken Zulauf. Hier muss eine aktive Lenkung der Besucherströme in den Regionen erfolgen.

Wie gestaltet sich denn die wirtschaftliche Situation in den Hotelbetrieben?

Tourismus ist immer auch ein Auslastungsgeschäft. Entscheidend ist: Wie schnell kommen Hotels und Tourismusanbieter in den nächsten Wochen in die Saison hinein? Ich wünsche mir wirklich, dass viele die Krise überstehen und nicht insolvent gehen. Die staatliche Unterstützung durch Soforthilfen, Kreditpakete oder Schnellkredite ist dafür sehr wichtig. Für Großunternehmen wie die Lufthansa gibt es auf Bundesebene darüber hinaus den Stabilisierungsfonds. Ein wirkliches Problem sind Geschäftsreisen. Besonders in Ballungsgebieten ist die Situation hoch problematisch. Siebzig Prozent der Übernachtungen kommen in einer Stadt wie Nürnberg nur durch Geschäftsreisen zu Tagungen, Messen oder Arbeitstreffen zustande. Die Region leidet stark darunter, dass diese Übernachtungen jetzt wegfallen. Das trifft auch Städte wie Ingolstadt.

Wie kann die Branche aus der Krise herauskommen?

Die Hoffnung liegt auf den Familienbetrieben. Sicher werden die Betriebe im Sommer weniger Saisonkräfte beschäftigen. Die Familien werden selbst stärker einspringen müssen, um die Liquidität zu sichern. Das ist ein hartes Geschäft. Man fährt auf Sicht. Man muss um jeden Gast kämpfen. Die größte Gefahr ist, dass sich die Anbieter gegenseitig in einem Wettbewerb um die günstigsten Angebote ruinieren – obwohl die Kosten steigen. Die Einhaltung des sozialen Abstands bedeutet ja, dass die Hotels mehr Platz für weniger Personen einkalkulieren müssen. Für die Gäste nimmt dadurch der Komfort zu, für die Hotelbetreiber steigen aber die Kosten. Zusätzliche Investitionen in Sicherheit und Hygiene treiben die Kosten weiter in die Höhe. Daher müssen die Hoteliers ihren Gästen vermitteln, dass das Produkt aktuell eigentlich kostenintensiver wird.

Im Internet werden vermehrt virtuelle Reisen angeboten. Kann das ein Ersatz sein?

In der Zeit des Lockdown haben virtuelle Reiseangebote zugenommen. Die technischen Möglichkeiten lassen solche Reisen heute realer erscheinen. Der Echtheitsgrad der Erlebnisse ist hoch. Virtuelle Reisen an Computer oder Tablet werden jedoch nie reale Reisen ersetzen, die von der Begegnung mit anderen Menschen leben. Sie wirken eher als Geschmacksverstärker, die Lust auf neue Reisen machen. Abgesehen von touristischen Zielen werden künftig jedoch sicher mehr Tagungen und Geschäftstermine online stattfinden. Neue Technologien für Videokonferenzen treiben diese Entwicklung voran. Viele fragen sich daher schon jetzt: Wie kann das Messegeschäft der Zukunft aussehen?

Der Tourismus ist zuletzt auch in ein schlechtes Licht geraten. Einer der europäischen Hotspots der Corona-Krise war der Skiort Ischgl in Tirol. Hat die Branche dadurch einen Imageschaden erlitten?

Ohne Zweifel wurden da Fehler gemacht. Staatsanwaltschaft und Politik beschäftigen sich mit dem Fall jetzt intensiv. Touristische Märkte vergessen solche Ereignisse jedoch erstaunlich schnell. Wir haben das auch in anderen Situationen gesehen – etwa bei einem der größten Lawinenunglücke in Österreich, dass sich 1999 in Galtür, einem Nachbarort von Ischgl, ereignete. Oder in Ägypten, wo die Gefahr von Terroranschlägen lange Zeit besonders hoch war. Sicher wird die Branche in den nächsten Jahren jedoch einen tiefgreifenden Wandel durchleben. Die Menschen sind kritischer geworden, der Hedonismus im Reisegeschäft wird stärker hinterfragt.

Welche Veränderungen sind zu erwarten?

Werte wie Genügsamkeit und Einfachheit, die wir eher vergessen hatten, kommen wieder ins Spiel. Raum und Zeit sind der eigentliche Luxus. Ich gehe davon aus, dass viele Menschen nicht mehr drei- bis viermal jährlich verreisen, sondern eher eine längere Reise planen werden. Der Weg zurück in die Normalität wird dadurch auch zu einer neuen Vorstellung von Nachhaltigkeit führen. Bisher haben wir vor allem über ökologische, soziale oder wirtschaftliche Nachhaltigkeit gesprochen. Jetzt kommt die Gesundheit hinzu. Künftig müssen Anbieter zeigen, dass sie diesen neuen Standards gerecht werden.

Das Gespräch führte Thomas Metten. Er ist Mitarbeiter des Projekts „Mensch in Bewegung“. Durchgeführt wird das Projekt gemeinsam von KU und Technischer Hochschule Ingolstadt. Die Förderung des Projektes erfolgt im Rahmen der Förderinitiative „Innovative Hochschule“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sowie durch das Land Bayern.