Zwischen Selbstverteidigung und digitaler Souveränität: Wissenschaftskongress zu KI

Vor 550 Jahren wurde in Ingolstadt die erste bayerische Landesuniversität gegründet. Dieses Jubiläum hat den Rahmen für den ersten Ingolstädter Wissenschaftskongress rund um Künstliche Intelligenz im Kontext von Mobilität, Gesundheit, Ethik sowie Kunst und Kreativität gebildet. Auch Forschende der KU haben ihre Expertise in mehreren Panels des Kongresses eingebracht. Am Vorabend feierte die Stadt Ingolstadt das Jubiläum mit einem Empfang. Dabei erinnerten in ihren Reden unter anderem Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, Oberbürgermeister Christian Scharpf, die Präsidentin der KU, Gabriele Gien, und der Präsident der Technischen Hochschule Ingolstadt, Walter Schober an dieses Datum und die heutige Bedeutung der Stadt als Standort für Forschung, Lehre und Wissenstransfer.

KU-Präsidentin Prof. Dr. Gabriele Gien
KU-Präsidentin Prof. Dr. Gabriele Gien

Mit der Wissenschaftsgeschichte Ingolstadts sind bis heute große Namen verbunden, etwa Petrus Canisius, Johannes Eck, Johannes Reuchlin oder Christoph Scheiner. Der Mathematiker Philipp Apian bereiste im 16. Jahrhundert mit Winkelmaß und Messlatte entlegene Gegenden, um das Land zu vermessen. Heute setzen die Geographen der KU dafür hochpräzise Laserscanner ein und erforschen so die Folgen des Klimawandels im Alpenraum. Aktuell errichtet die KU in Ingolstadt das Mathematische Institut für Maschinelles Lernen und Data Science – unter anderem mit einer Professur für Geomatik und Geomathematik, deren Forschungsarbeit im Bereich der Modellierung, des Geomonitorings und der Visualisierung raumbezogener Daten Grundlage sein wird. So knüpft die KU an die Wissenschaftstradition Ingolstadts an.

Prof. Dr. Alexis Fritz
Prof. Dr. Alexis Fritz

Beim Wissenschaftskongress diskutierte zum Thema „Bringt KI mehr Gesundheit und Lebensqualität für alle?“ Professor Alexis Fritz, Inhaber des Lehrstuhls Moraltheologie an der KU, unter der Moderation von Professor Christian Stummeyer (TH Ingolstadt) mit Bart de Witte (Founder HIPPO AI Foundation, Digital Health Academy, Futurist, Medical AI Activist), Professor Daniel Rückert (TU München, Imperial College London) und Moritz E. Behm (Berater, Dozent, Keynote Speaker) auf dem Panel. Fritz richtete durch seine Redebeiträge den Fokus auf die Ethik, die gerade auf dem Gebiet der Medizin eine große Rolle spiele. Als Beispiele für die ethischen Fragestellungen nannte er unter anderem die Selbstbestimmung des Patienten, den Datenschutz oder die Schaden-Nutzen-Abwägung – und eben die Künstliche Intelligenz. „Viele haben die Befürchtung, dass mit der KI das Menschliche verloren geht.“ Doch das Ziel sei eine so robuste KI, dass die Verwendung „zur Frage der ärztlichen Sorgfaltspflicht“ werde. Er betonte allerdings, dass sich medizinisches Personal nicht hinter der KI verstecken dürfe. „Es braucht Selbstbewusstsein. Schließlich gibt es Gründe, warum man sie verwendet.“ Gleichzeitig müsse den zu Behandelnden deutlich gemacht werden, dass das medizinische Personal dennoch „das Heft in der Hand habe“: „KI als Unterstützung, nicht als Ersatz.“ Professor Fritz plädierte für eine europaweite Zusammenarbeit, um die KI im Bereich der Medizin nach vorne zu bringen – und er äußerte einen klaren Wunsch: „Ich hoffe, dass sich das am Ende auch jeder kleine Radiologe auf dem Land leisten kann.“

Prof. Dr. Thomas Metzinger
Prof. Dr. Thomas Metzinger

Grundlegende Fragen zur Beziehung von KI und Ethik thematisierte ein weiteres Panel, das Professor Fritz wiederum moderierte. Dabei plädierte der Philosoph Prof. Dr. Thomas Metzinger für einen gemeinwohlorientierten Einsatz, der die digitale Souveränität und die mentale Autonomie der Menschen achte. Als früheres Mitglied der High Level Group on Artificial Intelligence der Europäischen Kommission berichtete er jedoch eher ernüchternd vom Status Quo: „Aufmerksamkeit ist eine knappe Ressource, die aktuell mit Hilfe von KI bereits monetarisiert wird. Dabei brauchen wir mündige Bürger für mehr demokratische Resilienz!“ Europa werde nicht nur vom Osten durch Gas kolonisiert, sondern auch vom Westen durch Technologiekonzerne. Die Politik tue sich schwer, darauf zu reagieren, ebenso auf die rasante Entwicklung der technischen Möglichkeiten, die sich durch KI eröffneten. Die Wissenschaftsgeschichte zeige, dass Experten, denen ein Durchbruch auf ihrem Gebiet gelungen sei, zuvor lange selbst nicht daran geglaubt hätten: „Noch vier Jahre nach dem Erstflug der Gebrüder Wright behaupteten Experten in Europa, dass nichts fliegen könne, was schwerer als Luft sei.“ KI selbst sei keine alleinstehende Technologie, sondern einen Meta-Technologie, die wiederum andere Technik verändere. Manche der damit verbundenen Risiken hätten zwar eine geringe Wahrscheinlichkeit, jedoch das Potenzial eines großen Schadens, wenn sie eintreten würden. „Im internationalen Vergleich befindet sich Europa beim Thema KI in einer Situation der Selbstverteidigung.“

Filiz Elmas vom Deutschen Institut für Normierung berichtete von der Notwendigkeit der Normierung von KI, um Akzeptanz und Transparenz zu schaffen und die Robustheit der Technik zu gewährleisten. Generell erfolgten mittlerweile ohnehin 90 Prozent der Normierungstätigkeit für Technik und Industrie auf internationaler Ebene.

Prof. Dr. André Habisch
Prof. Dr. André Habisch

Die versteckte Diskriminierung durch Daten illustrierte Prof. Dr. André Habisch, Inhaber der Professur für Christliche Sozialethik an der KU, anhand der Unfallforschung. So würden Sicherheitssysteme in Fahrzeugen insbesondere anhand von Dummies mit den Standardmaßen von Männern getestet. Das Bild einer glatzköpfigen Person am Herd werde wiederum von mancher KI fälschlicherweise als Frau identifiziert, weil der KI zuvor die Frau am Herd als Standard vermittelt worden sei. Insofern könne der Einsatz von KI abhängig von den Rahmenbedingungen eine Diskriminierung vorantreiben, weil sie Tendenzen sogar verstärke. „Deshalb erfordert ein sachgerechter Umgang mit der Thematik auch eine digitale Sprachfähigkeit“, so Habisch.

In der anschließenden Diskussionsrunde entwarf der Bundestagsabgeordnete Dr. Reinhard Brandl die Perspektive, mit KI Diskriminierung gerade sichtbar zu machen, die es im realen Leben gebe und durch KI lediglich reproduziert werden. Hier brauche es die Wissenschaft zur Bewertung, denn die Diskussion müsse schon vor dem Einsatz von KI bei der Gewichtung von Kriterien einsetzen.

Prof. Dr. Rainer Wenrich
Prof. Dr. Rainer Wenrich

Der Themenkomplex „KI, Kunst und Kreativität“ stand im Mittelpunkt der abschließenden Session des Kongresses, die Prof. Dr. Rainer Wenrich (Professur für Kunstpädagogik an der KU) moderierte. Zwar seien die technologischen Möglichkeiten grenzenlos, um Kreativität zu unterstützen, aber wie sie den kreativen Prozess tatsächlich beeinflussen, gelte es zu klären. Das Spektrum reichte dabei vom künstlerischen Schaffen und Kunstwissenschaften bis hin zu rechtlichen Fragen und Aspekten des Kunstmarktes. Ali Nikrang vom österreichischen Ars Electronica Future Lab, das Forschungsprojekte im Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Gesellschaft verfolgt, gab Einblick die technischen Möglichkeiten von KI – etwa im Hinblick auf Musik. So war ein künstlich erschaffenes Werk zu hören, das sämtliche Songs von Frank Sinatra als Grundlage hat. „Um nicht nur Bekanntes bloß zu reproduzieren und kreativ zu sein, muss KI prinzipiell eine genuine Eigenständigkeit aufweisen“, so Nikrang.

Prof. Dr. Daniel Mark Eberhard
Prof. Dr. Daniel Mark Eberhard

Einen kritischen Blick auf die Folgen von schier unbegrenzten technischen Möglichkeiten warf Prof. Dr. Daniel Mark Eberhard, der an der KU die Professur für Musikpädagogik und Musikdidaktik innehat. Er stellte dabei die Frage der Haltung ins Zentrum: „Kompetenz als Wissen und Können hängt von Haltungen ab. Zwar sind Lehrpläne heute kompetenzorientiert, aber letztlich sind es Haltungen, die Kompetenzen grundieren.“ Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage, welche Folgen es habe, dass die jahrzehntealte Praxis von Musikern obsolet wird, wenn man sich mit wenigen Klicks online eine Filmmusik erstellen lassen könne? Welche Haltung stecke dahinter, wenn man die unvollendete 10. Sinfonie Beethovens nicht von einem Menschen, sondern einer KI fertig komponieren lasse? Und wie kreativ sind solche Prozesse tatsächlich? Entsteht Ästhetik künftig nicht mehr durch Erfahrung, sondern durch einen laufenden Lernprozess der KI? „Die Antworten auf diese Fragen sind subjektiv bestimmt. Der Begriff des Künstlichen begegnet uns im Alltag laufend – etwa im Hinblick auf künstliche Aromen, die also nicht natürlichen Urspungs sind. In der Kunst wiederum steckt ein Weltwissen aus vielschichtigen Erfahrungshorizonten, aus denen KI nur einen Mittelwert bilden könnte. Was Kunst und Musik ausmacht, kann man aber nicht erklären.“

Panel Ki und Kreativität

Der VR-Experte Dominic Eskofier gab Einblick in die Perspektiven des Metaversums als Weiterentwicklung des Internet um virtuelle Umgebungen, in denen sich neue Geschäftsmodelle entwickeln können. Mit der Digitalisierung steht auch dem Kunstmarkt, wie der Kunsthistoriker und Unternehmer Timo Niemeyer berichtete, „der größte Strukturwandel aller Zeiten innerhalb einer seit Jahrhunderten gewachsenen Branche“ bevor. Diese sei mit dem Auktionswesen „ein Dinosaurier der Weltwirtschaft“, während zunehmend digitale Kunstwerke mit Echtheitszertifikaten gehandelt würden. Beim abschließenden Panel plädierte Dr. Theres Rohde, Direktorin des Ingolstädter Museums für Konkrete Kunst, dafür, KI im Kunstbereich nicht pauschal zu verteufeln: „Als die Fotografie aufkam, hieß es zunächst, das sei keine Kunst. Es gilt zu beobachten, ob die Entwicklung auf eine Leistungsschau der Maschinerie hinausläuft oder dabei auch Kunst entsteht.“