Womit hast Du Dich in Deiner Dissertation beschäftigt?
Ich habe in meiner Dissertation untersucht, wie in den Dialekten Bayerns die grammatische Information Numerus und Kasus am Substantiv ausgedrückt wird: Welche formalen Merkmale werden genutzt, um Singular und Plural zu markieren? Haben Substantive unterschiedliche formale Merkmale, wenn sie im Satz Subjekt oder Objekt sind? Gibt es räumliche Variation zwischen den Dialekten und wie hat sich das im Laufe der Sprachgeschichte entwickelt?
Um diese Fragen für das Fränkische und die bairischen Dialekte in Bayern zu beantworten, habe ich keine eigenen Daten gesammelt, sondern habe das Datenmaterial des Bayerischen Sprachatlas genutzt, das in den 1990er und 2000er in ganz Bayern Jahren erhoben wurden. Das ist ein echter Datenschatz, der für meinen Phänomenbereich bisher nur punktuell, nie aber systematisch ausgewertet wurde. Und genau diese systematische Auswertung habe ich in meiner Dissertation für knapp 40 Ortsdialekte versucht.
Was war für Dich das Spannendste oder Überraschendste in Deiner Untersuchung?
Die Flexion des Substantivs in den deutschen Dialekten als solches ist ausgesprochen spannend, vor allem wenn man die historische Entwicklung der Dialekte in den Blick nimmt. Durch den Vergleich der Dialekte kann man sehr viel darüber lernen, wie Sprachen als Sprachsysteme funktionieren und wie die einzelnen grammatischen Ebenen, etwa die Flexion und die Lautung, voneinander abhängen.
Das überraschendste Ergebnis war für mich aber, wie viel Variabilität Dialektsprecher in der Markierung von grammatischen Informationen haben. Wenn man eine Sprache lernt, lernt man ja immer auch Flexionsformen und denkt, diese Formen gelten in allen Kontexten. In den Dialekten können aber unterschiedliche Flexionsformen verwendet werden je nach Kontext und Verwendung. Im Bairischen gibt es beispielsweise für Flaschn (‚Flasche‘) zwei Pluralformen: Flaschna oder Flaschn (mit sogenanntem Nullplural). Wenn Numerus durch den Kontext eindeutig ist (z.B. durch das Verb in Di Flaschn is / han vui ‚Die Flasche ist / die Flaschen sind voll‘), verwendet man Nullplural. Ist die Numerusinformation nicht eindeutig, kann man ein -a anhängen (gib mir d‘Flaschn oder d‘Flaschna). Beispiele für diese Variabilität in der Markierung und auch in der Interpretation von grammatischer Information finden wir an vielen Stellen in den Dialekten. Und das ist wiederum für die Sprachwissenschaft spannend, weil es unsere grammatischen Modelle herausfordert.
Was rätst Du anderen Nachwuchsforscher/-innen? Welche Tipps kannst Du geben?
Erster Tipp: Einfach machen! Zugegeben: Prokrastinieren ist mir nicht unbekannt. Wenn man eine komplexe Fragestellung oder ein schwieriges Kapitel vor sich hat, kann das schon einmal lähmen, weil man nicht so recht weiß, wie man es anpacken soll. Prokrastinieren kann zwar auch seinen Wert haben, da man das Problem unterbewusst ja weiter dreht und wendet und so mittelfristig zu einer Lösung kommt. In meiner Erfahrung ist es aber produktiver, direkt loszulegen und eine erste Variante zu erstellen, und dann in einem zweiten und dritten Schritt noch einmal drüber zu gehen, zu verbessern, feinzutunen. So hat man immer ein Gefühl von Etwas-Erreichthaben, auch wenn die Lösung vielleicht noch nicht optimal ist. Und dieses Gefühl ist bei so einem großen Projekt enorm wichtig zum Durchhalten.
Und zweiter Tipp: Genießen! Das klingt wahrscheinlich paradox, wenn man in den Mühen der Ebenen steckt, aber ich habe es unglaublich genossen, mich so tief in ein Thema einzuarbeiten. In dieser Intensität hat man dazu nicht oft Gelegenheit. Also egal, wie schwer es manchmal war und wie oft ich gedacht habe, dass ich es nicht packe: Es war eine tolle Zeit! Das liegt natürlich auch an den guten Arbeits- und Forschungsbedingungen an der KU und meinen großartigen Kolleg:innen – das muss an dieser Stelle auch erwähnt werden. Vielen, vielen Dank für alles!
Wer mehr über Grit Nickels Arbeit und insbesondere das Fränkische erfahren möchte, ist herzlich eingeladen, nachfolgende Podcast-Folge zu hören: Allmächd! Geschichte des fränkischen Dialekts – RadioWissen | BR Podcast.
Darin spricht Grit Nickel mit Markus Mähner, Redakteur des BR und Herausgeber der Podcast-Sendung, über das Fränkische, spez. das Ostfränkische, und erklärt, was es mit der Appel-Apfel-Linie auf sich hat und welche Strategien es im Ostfränkischen gibt, Plural am Substantiv zu markieren.