Die Soziologie der Bewertung weist auf die zeitgenössische Konjunktur von Scores, Rankings und Ratings hin, untersucht formalisierte und meist auch quantifizierende Bewertungspraktiken in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern und fragt nach deren sozialen Gehalten, Wirkungen und den damit verbundenen Wissensformen. Dabei werden immer wieder Bewertungspraktiken des Sports, sein „Fairness“-Ideal, Rekorde und Tabellenkonstrukte als Modelle herangezogen, um die Ausbreitung spätmoderner Bewertungsdispositive zu beschreiben. Formale Klarheit, Eindeutigkeit und Evidenz der sportlichen Accountingmodelle werden dabei häufig überbetont und die tatsächlichen empirischen sozialen Logiken von sportlichen Bewertungspraktiken bleiben unberücksichtigt. Der geplante Workshop setzt hier an und rückt den Sport sowie verwandte analoge und (digitale) Spielkulturen als empirisch instruktive Fälle für eine mikrosoziologisch ausgerichtete und sozialtheoretisch interessierte Bewertungssoziologie in den Mittelpunkt. Spiegelbildlich fragt er zusätzlich auch nach Fällen aus der Bewertungssoziologie, die nicht dem Feld des Sports oder Spielens entstammen. In welchem Maße nutzen Teilnehmer*innen z.B. Sportmetaphern als Rechtfertigungs-Ressourcen oder Kritik-Maßstäben in Bewertungspraktiken? Lässt sich gar historisch-genealogisch eine gesellschaftliche Diffusion von Bewertungsformaten vom Sport aus nachvollziehen?
Ausgerichtet wird der Workshop vom DFG Projekt “Accouting und transformatorische Effekte im Profifußball“. Wir untersuchen im Rahmen dieses an der KU Eichstätt angesiedelten Projektes u.a. das Zusammenspiel von Accounting, Kategorisieren, Bewerten und Entscheiden in den Praktiken des Schiedsrichtens auf dem Platz, des Bewertens von Spielern für den Transfermarkt und in digitalen Fußball Management Simulationen. In der avisierten mikrosoziologischen und empirischen Perspektive interessieren uns im Rahmen des geplanten Workshops u.a. folgende Fragen: Passen unwillkürliche wertende Wahrnehmungen, kalkulierte Abwägungen und organisierte, formalisierte regelbasierte Bewertungen unter einen einheitlichen Bewertungsbegriff? In welchem Verhältnis stehen Bewertungspraktiken zu verwandten Praktiken des Kategorisierens, Vergleichens oder Entscheidens? Lassen sich aus den Unterschieden zwischen Bewertungspraktiken innerhalb und zwischen verschiedenen Sportarten und Spielformen bewertungssoziologische Schlüsse ziehen? Wie werden (Be-)Wertungskonflikte in Sport und Spielkulturen artikuliert und bearbeitet? Was lässt sich zur temporalen Struktur von sportlichen Bewertungen, Talent- und Potentialanalysen sagen? Stehen Sportarten und Spiele tatsächlich Modell für Bewertungspraktiken in anderen Kontexten (etwa in Semantiken der „Fairness“)?
Wir planen einen zweitägigen intensiven Austausch, wünschen uns sowohl empirische Forschungsbeiträge zu den Gegenstandsbereichen Sport und Spiel, als auch theoretische Beiträge zur Soziologie des Kategorisierens, Qualifizierens, Differenzierens, Vergleichens, Bewertens und Quantifizierens und möchten mit den unterschiedlichen Forschungsrichtungen zum Thema in die Diskussion kommen.
Veranstalter*innen: Prof Robert Schmidt, Dr. Kristina Brümmer, Max Weigelin, David Kempf
Workshop-Programm
Freitag 10.2. (KAP 018)
16:30 Uhr – Schmidt / Weigelin / Kempf – Einleitung zum Workshop (30 Min)
17:10 – Der Fall Fußball
René Tuma (TU, Berlin) „Kommunikative Formen und Arbeitsbögen der Videoanalyse im Fußballtraining“ (40 Min)
Martin Lüthe (FU, Berlin) „Playing, Rating und Player Ratings: Digitale Fußballspiele und der Wille zum Werten“ (40 Min)
David Kempf (KU, Eichstätt) „[tba]“ (40 Min)
Samstag 11.2. (KAP 018)
9:30 Uhr – Vergleichs-, Wettbewerbs- und Leistungskonstruktionen
Max Weigelin (Eichstätt) „Leistungsbewertung von Schiedsrichtern und Probleme eines Wettbewerbs im Wettbewerb“ (40 Min)
Frank Meier (Bremen) „Fairer Wettbewerb in Wissenschaft und Sport“ (40 min)
11:15 Uhr Dennis Krämer (Göttingen) „Überlegungen zur impliziten Exklusivität von Vergleichen am Beispiel der Geschlechtstests in der professionellen Leichtathletik“ (40 min)
11:45 Uhr Samira Mummelthey / Kerstin Rabenstein (Göttingen) „Bewerten, Kategorisieren und Differenzieren im Sportunterricht - Überlegungen zu Anschlüssen an die Bewertungssoziologie für die Unterrichtsforschung“ (40 min)
12:35 Abschlussdiskussion (Ende ca. 13:15 Uhr)