Field of Research I: Media and Practices in Religious Transformation Processes (in German)

Innerhalb des KU Zentrums Religion, Kirche, Gesellschaft im Wandel konzentriert sich das Forschungsfeld I mit seinen Fallstudien auf die historische Dimension religiöser Transformationsprozesse.

Transformationsprozesse kennzeichnen die Geschichte von Religionen seit ihrem Beginn. Sie können diese indirekt als Folge eines Wandels ihrer soziokulturellen Einbettung betreffen, aber auch direkt im Sinne eines eigenständigen Wandels ihrer Strukturen, Verhaltensweisen, Ausdrucksformen und des Umgangs mit Tradition. In diesem Rahmen soll ‚Transformation‘ selbst als Rahmenbegriff: als Bezeichnung für einen Umformungsprozess zwischen (mindestens) zwei Zuständen verstanden werden. Damit erfasst er zum einen tentativ den Gesamtbereich religionsgeschichtlicher Prozesse von übergreifender Dauer (longue durée) zwischen einem ‚Davor/Bis dann‘ und einem ‚Danach/Seitdem‘; er lässt sich analytisch auf Teilprozesse des religiösen Lebens beziehen sowie auf deren Zusammenhänge zur allgemeinen Geschichte;  und er kann für die Beschreibung von Vorgängen herangezogen werden, durch die sich „die bisherigen Formen und Strukturen möglicher Veränderungen selbst verändern“;  womit eine tiefgreifende „Veränderung der Wissensordnungen bzw. der wissensbasierten Machtordnungen und handlungsprägenden Deutungsmuster“ einhergehen kann.  Transformationen betreffen mithin nicht nur gesellschaftliche Teilprozesse; sie können auch in einer Symbiose unterschiedlicher Teilprozesse bestehen.

Idealtypisch können solche Transformationen in zweierlei Form erfahren werden: als Krise, welche Ordnungskategorien und Deutungsmuster grundsätzlich in Frage stellt, oder als ein Wandel in Kontinuität.  Im konkreten historischen Befund werden sich diese Grundtypen aber oft nicht klar trennen lassen. So gilt für Offenbarungsreligionen, dass sie in ihren heiligen Schriften ein wesentliches Moment der Kontinuität als Grundlage besitzen. Damit ist einerseits eine fundamentale Änderungsresistenz gegeben; andererseits kann gerade diese zu immer neuer Auslegung und Aneignung religiöser Schriften und Traditionen provozieren.

Seit dem Beginn der Frühen Neuzeit führen die Transformationen im Bereich der Religion zu einer enormen Pluralisierung. Das legt die Frage nahe, inwiefern solche Pluralisierungsdynamik auch schon bei früheren Transformationen zu beobachten ist.

Am Beispiel des Christentums wird unter ‚Pluralisierungsdynamik‘ in einem ersten Zugriff die Gesamtheit derjenigen Vorgänge verstanden, in deren Verlauf das Christentum zunächst in seinen vorkonfessionellen spätantiken und mittelalterlichen Gestaltbildungen, dann seit seiner frühneuzeitlichen Konfessionalisierung in die verschiedenen Kulturräume Europas, des vorderen Orients, der beiden Amerika, Asiens, Ozeaniens und Afrikas einwanderte, sowohl von ihnen Besitz ergriffen hat als auch von ihnen sich hat ergreifen lassen und in dieser wechselseitigen Durchdringung von Prägung und Geprägtwerden zu jenen kulturräumlich spezifizierten, medial und diskursiv differenzierten Ausfaltungen geworden ist, in denen es sich heute weltweit als zugleich universalistisch wie pluralistisch und konfessionalistisch interpretierbare Gestaltbildung einer kirchlich verfassten Religion präsentiert. Innerhalb einer Geschichte ‚okzidentaler Rationalität‘ hat sich dabei eine spezifisch „christliche Säkularität“ entwickelt, in der die Selbstbeschreibungen des Christentums infolge seiner außertheologischen Verwissenschaftlichung seit dem 18. und 19. Jahrhundert nur noch einen Teil seiner Beschreibungsmöglichkeiten abdecken. Die Pluralisierungdynamik ‚des‘ Christentums ist auch die seiner Interpretations- und Beschreibungssysteme selbst geworden; die Möglichkeiten seines Begreifens haben sich auf zuvor ungeahnte Weise erweitert (nicht zuletzt dadurch, dass sie von der Glaubensbindung abgekoppelt worden sind.) 

Andererseits scheint aber auch zu gelten, dass Kultur und Gesellschaft ihres „säkularen Selbstbeschreibungsmodus überdrüssig“ (D. Kemper) geworden sind, und zwar gerade in sog. fortgeschrittenen westlichen Gesellschaften, in denen – entgegen einem weltweiten Trend – die Zahl der Kirchenmitglieder rückläufig geworden ist. Das führt zu dem verblüffenden Befund, dass, obwohl die lebensweltliche Bedeutung kirchlich verfasster Religiosität in diesen Gesellschaften zurückgeht, die soziologische (diskursive) Relevanz von Religion ebenda steigt. Zudem lässt sich eine Art “Nova-Effekt” beobachten, der – neben und abseits der kirchlich verfassten Religiosität − eine immer größere Vielfalt moralisch-spiritueller Optionen hervorbringt.  Blickt man von hier zurück auf die Geschichte des Christentums, so hat man dort u.U. mit ganz anderen als den neuzeitlichen Temporalstrukturen zu rechnen. Das führt auf die Frage, ob es so etwas wie ‚Eigenzeiten‘, ‚Eigenzeitlichkeiten‘ in der ‚Verzeitlichung‘ des Christentums gibt, bei denen gerade nicht Veränderungen, sondern – auch spannungsvolle - Stabilisierungen im Zentrum stehen. 

Da religiöse Transformationsprozesse wesentlich von Diskursen geprägt werden, sind sie ohne entsprechende Ausdrucksformen nicht denkbar: Erst durch mediale Kommunikation wird Religion sozial wahrnehmbar. Das gilt unter Voraussetzung eines weiten Medienbegriffs, der mündliche, schriftliche, musikalische, piktorale sowie performative Ausdrucksformen umfasst. Zu bedenken sind darüber hinaus Möglichkeiten hybrider Interaktion (Intermedialität) sowie neuerdings die Vielfalt elektronischer Speicher- und Kommunikationsmedien. Das jeweilige Medium gibt bestimmte Bedingungen von Ausdruck und Kommunikation vor. Es unterliegt seinerseits aber auch den Bedingungen der konkreten Organisationsform, in der es auftritt (z.B. gehört zur Predigt nicht nur das gesprochene Wort, sondern auch die Raumgestaltung, liturgische Einbettung und die Prädisposition der Hörer). Medienhistorische Veränderungsprozesse können mithin Transformationen im religiösen Feld maßgeblich beeinflussen.

Mit den Medien gehört der weite Bereich der Praktiken zu den im Forschungsfeld untersuchten Gegenständen. In der historischen Forschung kommt menschlichem Handeln bereits seit etlichen Jahren eine zentrale Stellung zu; doch kann unter Praktiken nicht jedes beliebige Handeln subsumiert werden.  Der Definition des Philosophen Theodore R. Schatzki zufolge ist unter Praktiken ein „typisiertes, routinisiertes und sozial verstehbares Bündel von Aktivitäten“ zu verstehen. Auf diese Weise wird individualistischen oder strukturalistischen Reduktionen von Geschichte vorgebeugt, zugleich aber das Handeln in soziale Kontexte eingebettet. Denn sowohl die Herausbildung von Typisierungen und Routine als auch die intersubjektive Verstehbarkeit verdanken sich gesellschaftlichen Diskursen. Vor diesem Hintergrund dürften bei der Untersuchung von Transformationsprozessen einem praxeologischen zusammen mit einem medienhistorischen Ansatz besondere Aufmerksamkeit zu schenken sein.

Die Mitglieder des Forschungsfeldes konzentrieren sich derzeit auf die Geschichte von Christentum und Judentum. In paradigmatischen Untersuchungen sollen grundsätzliche Fragestellungen in synchroner und diachroner Perspektive bearbeitet werden. Leitendes Ziel ist es dabei, mit besonderem Blick auf Medien und Praktiken fundamentale Strukturmomente religiöser Transformationsprozesse zu identifizieren.

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Caroline Emmelius
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