Lebensmittel im Supermarkt kaufen, zahlen, zuhause einräumen – nur um sie einige Tage später in den Müll zu werfen. Das klingt absurd, ist jedoch Alltag in den meisten deutschen Haushalten. Jeder von uns schmeißt pro Jahr 79 Kilogramm Lebensmittel weg. Von den jährlich 11 Millionen Tonnen Lebensmittelabfällen in Deutschland entfallen damit allein 60 Prozent auf private Haushalte. Eine Verschwendung mit Folgen für den privaten Geldbeutel und das globale Klima. Warum ist ein derart irrationales Verhalten so verbreitet? Ein Team der KU hat den deutschen Lebensmittelkonsum untersucht und liefert neue Erklärungsansätze.
Angesichts der Klimakrise und weltweit bis zu 783 Millionen hungernden Menschen ist Lebensmittelverschwendung kein rein privates Problem. Die massenhafte Produktion von Lebensmitteln für die Tonne verbraucht riesige Flächen, wertvolles Wasser und zeichnet für acht bis zehn Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. „Abfallvermeidung ist aktiver Ressourcenschutz“, lautet entsprechend der Slogan der virtuellen Auftaktveranstaltung zur Europäischen Woche der Abfallvermeidung am 18. November. Zu Wort kommt dort auch Prof. Dr. Alexander M. Danzer, Professor für Volkswirtschaftslehre an der KU. Er wird einen neuen Ansatz zur Erklärung der Lebensmittelverschwendung durch Privatpersonen präsentieren und mögliche Maßnahmen zu deren Reduzierung diskutieren.
Bislang hat die Wissenschaft als Erklärungen für Lebensmittelverschwendung Fehler in der Einkaufsplanung, mangelnde Selbstkontrolle beim Einkaufen, falsche Lagerung, die Zubereitung zu großer Mengen und ein starres Festhalten am Mindesthaltbarkeitsdatum identifiziert. VWL-Professor Danzer räumt ein, dass all diese Faktoren zur Lebensmittelverschwendung beitragen, sie aber nicht vollständig erklären. „Zu all diesen Punkten gibt es mittlerweile sehr gute Informationskampagnen – und dennoch ging die Lebensmittelverschwendung nicht wesentlich zurück. Es muss also noch weitere Gründe dafür geben.“ Gemeinsam mit seiner ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiterin Helen Zeidler (mittlerweile TU München) widmete sich Danzer einer verhaltensökonomischen Perspektive.
Wie gute Vorsätze zum Problem werden
Ausgangspunkt ist die Annahme, dass es zwei Arten des Denkens gibt. Wenn wir bewusst über etwas nachdenken, zum Beispiel einen Einkaufszettel schreiben, befinden wir uns im Modus des langsamen Denkens. Im Alltag jedoch herrscht schnelles Denken vor, das gesteuert ist durch Impulse und Erfahrungswissen. Im Spannungsfeld von schnellem und langsamen Denken kommt es zu Entscheidungsfehlern – für die Lebensmittelverschwendung relevant ist vor allem die Zeitinkonsistenz, oder vulgo: das Brechen guter Vorsätze. „Viele Konsumenten wollen sich gesund ernähren. Um das realisieren zu können, kaufen sie viel frisches Obst, Salat und Gemüse ein“, erklärt Alexander Danzer. „Aber erschöpft nach einem stressigen Arbeitstag entscheiden sich viele aus Bequemlichkeit dann doch für die Tiefkühlpizza.“ Obst, Salat und Gemüse werden derweil im Kühlschrank immer älter und landen schließlich in der Tonne. Soweit die Theorie. Ob dieses Phänomen tatsächlich im Kontext Lebensmittelverschwendung ins Gewicht fällt, untersuchten Danzer und Zeidler 2021 in einer repräsentativen Studie mit rund 1300 Teilnehmenden.
Zwei Mal mit mehreren Monaten Abstand wurden die Teilnehmenden zu ihrem Lebensmittelkonsum befragt sowie zu allgemeinen Einstellungen. Insbesondere interessierte die Forschenden, wie stark die Befragten generell von ursprünglichen Vorsätzen abweichen. Sie stellten fest, dass 49 Prozent und damit fast die Hälfte der Deutschen eine Zeitinkonsistenz aufweisen. „Es zeigte sich auch, dass genau diese Menschen sehr viel häufiger und sehr viel mehr Lebensmittel wegwerfen als Leute, die weniger unter Zeitinkonsistenz leiden“, erklärt Danzer.
Ungeduld trifft auf ständige Verfügbarkeit vorproduzierter Lebensmittel
Das bedeutet, dass ein Großteil der Lebensmittelverschwendung ausgerechnet durch die Entsorgung gesunder Lebensmittel entsteht, da diese oft leicht verderblich sind. 57 Prozent der Befragten gaben an, in den letzten sieben Tagen zu Hause verdorbene Lebensmittel gefunden zu haben. 24 Prozent warfen Lebensmittel weg, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten war. Dahinter stecke kein böser Wille, vielmehr nennt Danzer das Phänomen der Zeitinkonsistenz ganz natürlich. Helen Zeidler betont: „Das Verhalten des Personenkreises, der zur Lebensmittelverschwendung neigt, ist eine Konsequenz, die nicht beabsichtigt ist.“ Zum Tragen komme hier eine tendenzielle Ungeduld, die heutzutage auf neue Rahmenbedingungen trifft: „Früher waren es gerade die ungesunden Speisen, die in der Zubereitung den größten Aufwand machten. Doch die heutige Verfügbarkeit von vorproduzierten Lebensmitteln hat zu einer grundlegenden Veränderung im Verhalten beigetragen.“
Auf der Suche nach einer Lösung für das Problem der Lebensmittelverschwendung greifen daher die klassischen Informationskampagnen zu kurz. „Die allermeisten unserer Befragten wissen an sich gut Bescheid, aber es geht um die Überwindung der Zeitinkonsistenz, also eine grundlegende Änderung in der Verhaltensstruktur“, schildert Alexander Danzer. Er sieht zwei mögliche Ansatzpunkte: Einerseits könnte die Politik auf den Markt Einfluss nehmen, konkret durch Steuern und damit höhere Preise für vorproduzierte Speisen, die dann potenziell weniger gekauft würden, oder aber für gesunde Lebensmittel, die dann nicht mehr so leichtfertig weggeworfen würden. „Das ist aber natürlich sozialpolitisch extrem schwierig“, räumt der Wirtschaftswissenschaftler ein. Als andere Option sieht Danzer eine Verbesserung der individuellen Konsumentscheidung über Technik. Im Sinne des sogenannten „nudging“, das auf eine Verhaltensänderung durch sanftes „anstupsen“ setzt, könnten Apps genutzt werden: „Wer dann zur Tiefkühlpizza greift, wird über die App nochmal an das Gemüse im Kühlschrank und seine Vorsätze erinnert, um ihm ein schlechtes Gewissen zu machen.“ Um den Erfolg solcher Maßnahmen absehen zu können, sei in jedem Fall weitere evidenzbasierte Forschung nötig.
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