Gesellschaftliche Akzeptanz muss mit der technischen Entwicklung mithalten

Wie werden wir uns künftig fortbewegen? Diese Frage betrifft uns alle. Eine zukunftsfähige Mobilität ist ein entscheidender Standortfaktor für die Region und für die Lebensqualität der Menschen. Dazu präsentieren die KU, die Technische Hochschule Ingolstadt und der Donaukurier Interviews mit Experten aus Wissenschaft und Praxis. Im letzten Teil stehen Prof. Dr. Andreas Riener und Prof. Dr. Marco Steinhauser Rede und Antwort. Riener lehrt und forscht an der THI schwerpunktmäßig im Bereich von Mensch-Maschine-Schnittstellen. Steinhauser hat an der KU den Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie inne.

 

Herr Riener, Herr Steinhauser, wie stellen Sie sich Mobilität im Jahr 2050 vor?

Andreas Riener: Da gibt es mehrere Szenarien. Die meisten haben mit automatisiertem Fahren zu tun. Aber eine mögliche Zukunft sehe ich auch darin, dass sich automatisiertes Fahren nicht durchsetzt, weil wir dafür die gesellschaftliche Akzeptanz auf breiter Basis nicht bekommen. Das Problem liegt im Mischverkehr. Wenn wir etwa für Deutschland bestimmen könnten, dass von heute auf morgen ausschließlich automatisiert gefahren werden darf, bekämen wir das hin. Wir würden nur mehr automatisierte Fahrzeuge einsetzen und den Menschen als Faktor konsequent aus dem Verkehr herausnehmen. Auf Autobahnen wäre das ziemlich einfach realisierbar. Schwieriger ist es in der Stadt: Dort wird der Verkehr auch 2050 nicht vollautomatisiert sein, da uns die Abstimmung mit den anderen Mobilitätsformen vor zahlreiche Probleme stellen wird.

Marco Steinhauser: Ich sehe das wie Andreas. Einzelne Verkehrsträger oder Fahrweisen werden nicht verschwinden. Stattdessen wird es einen Mix geben, der sehr viel diversifizierter ist. Darin liegt eine große Chance, die verschiedenen Verkehrsmittel besser auf die individuellen Bedarfe einzelner Menschen auszurichten.

Riener: Ja, wir werden sicher einen grüneren Verkehr haben. Mehr Radverkehr und mehr Angebote im ÖPNV. Dazu kommen neue Technologien wie zuletzt die E-Scooter. Und – gerade in Ingolstadt erwähnenswert – die Urban Air Mobility: Fluggeräte, die auf individueller Ebene genutzt werden, was den Verkehr auf dem Boden entlastet.

Steinhauser: Andere Entwicklungen wie „Sharing Economy“ betreffen das gesamte System. Werden wir überhaupt noch ein eigenes Auto besitzen oder Mobilitätsangebote stärker teilen? Vielleicht fordern wir ein autonomes Fahrzeug nur zu einem bestimmten Zeitpunkt an und lassen es anschließend wieder fahren. Hier ist vieles denkbar.

Wie nah greifbar ist denn das autonome Fahren?

Steinhauser: Die technische Entwicklung ist rasant. Das alleine ist aber nicht entscheidend: Die gesellschaftliche Akzeptanz muss auch Schritt halten können. Das autonome Fahren könnte daher weniger schnell etabliert werden, als es gelegentlich scheint. Wir stellen fest: Wenn es um Sicherheit geht, akzeptieren Menschen, dass es jedes Jahr Tausende Verkehrsopfer gibt, die durch menschliches Fehlverhalten zustande kommen. Aber würden wir es akzeptieren, dass technische Fehlentscheidungen zu Verkehrsopfern führen? Sicher wird es dazu noch eine lange, intensive Debatte geben.

Was sind die Ursachen für die fehlende Akzeptanz?

Riener: Wir Menschen wissen, das haben auch unsere Studien gezeigt, dass wir immer wieder Fehler machen. Wir handeln intuitiv. Auf der anderen Seite erwartet man aber von den Systemen, dass sie sich immer richtig – auf Basis eines klar definierten und programmierten Regelwerks – verhalten. Es wird gesellschaftlich nicht akzeptiert, wenn Systeme nicht fehlerfrei funktionieren oder eine falsche Entscheidung treffen. Die Argumentation ist, dass man bei der Entwicklung doch genügend Zeit habe, alle Möglichkeiten gründlich abzuwägen und zu berücksichtigen.

Viel diskutiert werden ja moralische Dilemma-Situationen: Ein Fahrzeug fährt auf einen Zebrastreifen zu, links ein älteres Ehepaar, rechts eine junge Familie. Bremsen ist nicht mehr möglich. Wie soll ein automatisiertes Fahrzeug reagieren?

Steinhauser: Aus psychologischer Sicht erlebt unser Gehirn hier einen Konflikt zwischen zwei Handlungstendenzen: Steuer um, um den Schaden zu minimieren. Oder handele nicht, um nicht schuld zu sein, dass eine Person angefahren wird. Die Psychologie zeigt: Unter hohem Zeitdruck reagieren Menschen häufig mit Letzterem. Ein affektives Programm, das sich im Laufe der Evolution entwickelt hat, für Situationen, in denen uns die Zeit zum Nachdenken fehlt. Auch Algorithmen könnten nach diesem Vorbild entwickelt werden: Handele nicht, wenn die Zeit zu knapp ist und zu wenige Informationen vorliegen. Hast Du mehr Zeit, versuche die Situation nach ethisch angemessenen Gründen zu beurteilen.

Riener: Und wenn die Zeit zu knapp, die Situation aber unausweichlich ist, wäre ggf. auch ein Zufallsalgorithmus sinnvoll. Unsere Fahrsimulator-Studien haben gezeigt, dass Teilnehmer, die mit verschiedenen Dilemma-Situationen konfrontiert waren, einen Zufallsalgorithmus durchwegs als gute und faire Lösungsoption gesehen haben. Jeder hat gleich hohe Chancen, getroffen oder verschont zu werden.

Wie können wir uns die Gestaltung von automatisierten Fahrzeugen vorstellen?

Riener: Wir gehen sicher weg von dem einem Fahrzeug als Besitz. Stattdessen werden wir anlassbezogen bestimmte Fahrzeugtypen nutzen: für den Berufsverkehr, für den Urlaub, für kürzer oder längere Fahrten. Der Innenraum des Fahrzeugs ist dann auf den jeweiligen Zweck angepasst. Das kann tatsächlich eine Art Schlafzimmer sein. Wenn es etwa über Nacht nach Brüssel geht, weil man nicht fliegen will. Das kann aber auch ein Spielzimmer sein. Da gibt es starke Parallelen zum Innenraumdesign bei Miniwohnungen.

Steinhauser: Ja. Der Innenraum eines Fahrzeugs ist heute dafür optimiert, dass sich der Fahrer auf die Fahrzeug-Steuerung konzentrieren kann. Wenn wir ein Auto aber in ein Arbeitszimmer verwandeln, dürfen wir die menschlichen Voraussetzungen nicht vergessen. Als Menschen spüren wir die Bewegung, wenn wir in eine Kurve fahren. Und wir sehen, wie die Landschaft an uns vorüberfliegt. Gibt es einen Konflikt zwischen den Sinnesreizen, reagiert unser Körper mit Unwohlsein. Das nennt man im Volksmund Reisekrankheit. Daran wird sich das Fahrzeug-Design auch künftig orientieren müssen.

Kann das autonome Fahren auch zu einer nachhaltigeren Mobilität führen?

Steinhauser: Unbedingt. Das autonome, vernetzte Fahren ermöglicht, das System insgesamt zu optimieren. Ein autonomes Fahrzeug fährt sparender, als ein Fahrer, der öfter mal Gas gibt. In unserer Forschung zeigt sich, dass dies auch ein Hindernis für die Akzeptanz ist: Einige Leute sehen dadurch ihren Fahrspaß und ihre persönliche Freiheit bedroht. Das selbstgesteuerte Fahrzeug wird deshalb möglicherweise nicht ganz verschwinden. Wichtiger ist aber, auch die Vorteile zu sehen. Aus Studien wissen wir, dass manche Menschen sich davor fürchten, eigene Unfälle zu verursachen oder zu langsam zu reagieren. Neue Technologien erleichtern da natürlich das Fahren.

Riener: Wenn man den Verkehrsfluss verbessern, die Sicherheit erhöhen kann und das auch noch nachhaltig durch Reduktion des Energieverbrauchs: Wie kann es dann vertretbar sein, dass da einer mit 200 km/h vorbeirast, weil es ihm gerade Spaß macht, und damit die anderen gefährdet und das Gesamtsystem negativ beeinflusst? Dafür sollte es dann ausgewiesene Rennstrecken geben, wo man dem nachgehen kann. Da bucht man sich dann für zwei Stunden seinen Spaß. Sonst sollte man aber sozial unterwegs sein.

Wie sieht ihr persönliches Horrorszenario, wie ihre Wunschvorstellung mit Blick auf das autonome Fahren aus?

Riener: Ich wäre persönlich gerne mit einem Fluggerät unterwegs. Ohne dass ich das Gerät besitze, aber mit einer gewissen Garantie, das Gerät zum Anlass verfügbar zu haben. Damit könnte ich die Reisezeit effizient nutzen. Wozu ich auch immer möchte. Negativ fände ich „autonomes“ Fahren, also laut Definition einen Zustand der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit. Man stelle sich vor: Ich will heim nach Österreich, und das gebuchte Fahrzeug verweigert mir die Heimreise. Es will lieber nach München. Derartige Systeme wären meine größte Sorge.

Steinhauser: Ich arbeite viel unterwegs im Zug. Für mich wäre es ein Zugewinn, einen Teil der Arbeitszeit auch ins Auto verlegen zu können. Ein Horrorszenario wäre eine gesetzliche Überregulierung. Wenn in der Innenstadt kein Fußgänger oder Fahrradfahrer unterwegs sein dürfte, da dies den autonomen Verkehr stört. Solche Regelungen würden mit dem pluralistischen und demokratischen Selbstverständnis der Bevölkerung in Konflikt geraten.

Das Gespräch führten Georg Schulz und Thomas Metten.