„Ich bin dankbar, mich frei bewegen und denken zu können“

Einst war Venezuela ein wohlhabendes Land, doch seit Jahren steckt der Staat in einer tiefen Wirtschaftskrise, 80 Prozent der Bevölkerung gelten als arm. Hinter einer demokratischen Fassade verbirgt sich eine Autokratie mit repressiven Methoden. Laut Auswärtigem Amt hat in den vergangenen zehn Jahren ein Viertel der Bevölkerung das Land verlassen. Dazu zählt auch die Literaturwissenschaftlerin und Historikerin Dr. Laura Febres de Ayala, die an der KU eine neue wissenschaftliche Heimat fand.

Ihr Weg von Caracas nach Eichstätt ist geprägt durch ihre Expertise, die Unterstützung verschiedener Kolleginnen und Kollegen und einem spezifischen Förderprogramm: Als Stipendiatin der Philipp-Schwartz-Initiative für gefährdete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Alexander von Humboldt-Stiftung konnte Febres ab 2021 an der KU forschen. Gefördert wurde sie zudem vom Freistaat Bayern. Erfolge, auf denen sich die Venezolanerin nicht ausruhte: Gemeinsam mit Prof. Dr. Miriam Lay Brander, Inhaberin des Lehrstuhls für Romanische Literaturwissenschaft II und Direktorin des Zentralinstituts für Lateinamerikastudien (ZILAS), reichte sie 2024 erfolgreich einen Förderantrag für ein Projekt bei der DFG ein. Bis voraussichtlich 2027 wird die 72-Jährige in diesem Rahmen nun zur literarischen Darstellung von Migration in Romanen und Kurzgeschichten aus einer Gender-Perspektive forschen. Im Fokus stehen dabei venezolanische Schriftstellerinnen, die in andere Länder Lateinamerikas ausgewandert sind. Eine Gruppe also, deren Hintergrund Febres teilt.

„Es ist unmöglich, unpolitisch zu sein in der Literatur"

Unter anderem wegen der massiven Einschränkung von Forschungs- und Lehrfreiheit entschied sich die renommierte Expertin für lateinamerikanische Literatur und Geschichte ihr Heimatland zu verlassen. Schon in Venezuela befasste sich Laura Febres de Ayala mit feministischen Veröffentlichungen und Literatur rund um Migration. „Es ist unmöglich, unpolitisch zu sein in der Literatur. Und ich habe immer gesagt, was ich denke“, schildert sie. Doch solche Themen seien von Seiten der Regierung unerwünscht – auch um sich dezidiert von der sogenannten westlichen Weltordnung zu distanzieren. „Vielfalt ist nur ein Lippenbekenntnis, es herrscht eine Stimmung der Exklusion“, sagt Febres.

Hinzu kam ein immer gefährlicherer Alltag. Kriminalität, Schwarzmarkt und Schmuggel sind normal in Venezuela, wo fast die Hälfte der Bevölkerung arbeitslos ist und geschätzt ein Drittel der Kleinkinder an Unterernährung leidet. Febres erinnert sich: „Auf meinem täglich vier Stunden langen Weg zur Universidad Metropolitana in Caracas wusste ich nicht, ob ich von einem Dieb ausgeraubt werde, wie es mehreren meiner Studierenden und Kolleginnen und Kollegen widerfahren ist. Häufig waren Schüsse zu hören.“ Die prekäre wirtschaftliche Lage führt nicht nur dazu, dass Bibliotheken geschlossen bleiben, sondern auch die private Existenz bedroht ist. Laura Febres weiß etwa von einem Professor, der an Hunger starb.

Caracas
Stadtansicht der venezolanischen Hauptstadt Caracas

Nachdem sie zunächst als Gastwissenschaftlerin am Institut für Lateinamerikastudien der spanischen Universität Alcalá tätig war, suchte sie den Kontakt zum Zentralinstitut für Lateinamerikastudien der KU. Dessen Direktorin Miriam Lay Brander stimmte umgehend zu, als Mentorin für Febres im Rahmen eines Philipp-Schwartz-Fellowship zu fungieren. „Ich profitiere selbst von ihren langjährigen Erfahrungen aus einem anderen akademischen Umfeld, auch methodologisch“, erzählt Professorin Lay Brander. Sie lobt die große Unterstützung, die der Antrag sowohl durch das International Office, das Zentrum für Forschungsförderung und die Personalverwaltung der KU als auch durch die Behörden erfahren habe. „Die Philipp-Schwartz-Initiative ist eine große Chance für Forschende, einen Ausweg aus schwierigen Umständen in ihren Herkunftsländern zu finden“, sagt Lay Brander. Dr. Laura Febres wiederum ist dankbar für die Möglichkeit, sich frei bewegen und frei denken zu können. „Ich empfinde dies als besonderes Privileg!“

Wissenschaftlicher Fokus auf Themen rund um Feminismus und Migration

An der KU griff sie ihre wissenschaftlichen Interessen rund um Feminismus und Migration auf und widmete sich zunächst der Analyse von Romanen von Frauen, die im 20. und 21. Jahrhundert aus Lateinamerika oder Spanien in europäische Länder migriert sind. Dabei schwingt Febres‘ historisches Interesse mit, denn Geschichte entstehe auch aus der Gesamtschau individueller Erfahrungen. Das verbindende Element der von ihr ausgewählten Romane bestehe im Schreiben als Selbsthilfe. Viele der Autorinnen mischen ihre persönlichen Erfahrungen mit fiktionalen Elementen und reflektieren ihre eigene Migrationserfahrung. Mit diesem Projekt betrat Febres wissenschaftliches Neuland, denn bis dato analysierten Literatur-  und Sozialwissenschaft die Stimmen von Frauen in Emigrationsromanen des 20. und 21. Jahrhunderts nur fragmentarisch.

Im nun anlaufenden DFG-Projekt „Raum, Zeit und Geschlecht in der Erzählliteratur venezolanischer Migrantinnen im Lateinamerika des 21. Jahrhundert“ knüpft Febres an diese Arbeit an. Das Projekt untersucht Erzähltexte von venezolanischen Autorinnen, die in andere lateinamerikanische Länder migriert sind, einschließlich ihrer personellen, ökonomischen, kulturellen und literarischen Netzwerke. Febres und Lay Brander möchten zeigen, welche Rolle die Geschlechtervariable bei der Entscheidung zur Migration, der Erfahrung der Grenzüberquerung und der Eingliederung in die Aufnahmegesellschaft sowie im Hinblick auf Handlungsoptionen von Migrantinnen spielt. Zudem beschäftigt sie die Frage, inwiefern in den untersuchten Werken die Erfahrung des „Dazwischen-Seins“ zwischen verschiedenen Welten verarbeitet wird. Anders als in der bisherigen Migrationsforschung vorherrschend rückt nicht nur die räumliche, sondern auch die zeitliche Dimension in den Blick – etwa, wie die Sichtweisen auf Vergangenes die Zukunftsvorstellungen von Migrantinnen bedingen. Das Projekt schenkt damit nicht nur dem literarischen Wirken venezolanischer Autorinnen Aufmerksamkeit, sondern auch den vielfältigen Migrationserfahrungen venezolanischer Frauen.

Ihre eigene Migrationserfahrung gestaltet sich für die Venezolanerin Dr. Laura Febres mit diesem DFG-Projekt aktuell mehr als positiv: An der KU hat sie nicht nur einen neuen Wirkungsort, sondern auch eine neue wissenschaftliche Heimat gefunden.

Hintergrund zur Philipp-Schwartz-Initiative

Die Philipp Schwartz-Initiative ist nach dem Pathologen Philipp Schwartz benannt. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde der Wissenschaftler, der einer jüdischen Familie entstammte, im Jahr 1933 fristlos aus dem Universitätsdienst entlassen. Er floh in die Schweiz, wo er im gleichen Jahr die „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland“ gründete. Deren Ziel war die Vermittlung von Arbeitsplätzen im Ausland an verfolgte Forschende. Die Philipp Schwartz-Initiative ermöglicht seit 2016 deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen, ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, denen in ihren Heimatländern Krieg oder Verfolgung drohen, aufzunehmen. Weitere Informationen unter auf der Homepage der Alexander von Humboldt-Stiftung.