Impulse für die Uni von morgen: Kolloquium des Bayerischen Wissenschaftsforums an der KU

Klimakrise, politische und wirtschaftliche Konflikte, zunehmende Migration, mehr Automatisierung und Digitalisierung: Die Gesellschaft befindet sich in vielerlei Hinsicht im Umbruch. Wie können Universitäten und Hochschulen diese große Transformation aktiv mitgestalten? Wie kann die Wissenschaft eine nachhaltige Entwicklung unterstützen? Mit diesen Fragen hat sich das Jahreskolloquium des Bayerischen Wissenschaftsforums (BayWiss) am Mittwoch an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) befasst. Am Campus Ingolstadt kamen rund 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller bayerischen Universitäten und Hochschulen zu Workshops, Vorträgen und Diskussionen zusammen.

Prof. Dr. Kai Fischbach
Prof. Dr. Kai Fischbach, Präsident der Universität Bamberg, eröffnete das Jahreskolloquium

In der Transformationsdebatte sei auch das BayWiss ein wichtiger Faktor, erklärte Prof. Dr. Kai Fischbach, Präsident der Universität Bamberg und Vorsitzender des Lenkungsrats des BayWiss, zum Auftakt: „Das gute Miteinander in Bayern ist deutschlandweit einzigartig und wird uns helfen, die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.“ Das BayWis ist die Kooperationsplattform aller 38 Universitäten, Hochschulen und Kunsthochschulen in Bayern und wurde 2015 gegründet.  

Den inhaltlichen Einstieg gestaltete der international renommierte Prof. Dr. Claus Leggewie von der Universität Gießen mit einer Keynote zum Thema „2030, 2050, 2100... bereiten unser Universitätssystem und unsere Wissensordnung auf die Zukunft vor?“. Dafür, dass von Zeitenwende die Rede sei, betreibe ihm das Wissenschaftssystem zu stark „business as usual“, stellte Leggewie fest. Noch immer würden veraltete Lehr- und Lernformen dominieren, es gebe zu wenig Praxisorientierung. Die Sorgen der jungen Generation sollten ernst genommen werden und keine Privatsache bleiben – das Bildungssystem habe hier eine Aufgabe: „Es geht um die Wiederherstellung von Improvisations- und Begeisterungsfähigkeit, um die Öffnung von Handlungsräumen gegen die verordnete Alternativlosigkeit.“

Planetarisches Denken als neue Perspektive der Wissenschaft

Prof. Dr. Claus Leggewie
Der renommierte Politikwissenschaftler Claus Leggewie hielt die Keynote

Einen besonderen Fokus legte Leggewie auf das Thema Migration: „Man möchte Migration unterbinden, die Demokratie bewahren – und zertrümmert Europa, ohne dass die AfD nur eine Stimme weniger bekommt.“ Der Politikwissenschaftler skizzierte die Situation in Afrika – und entwarf eine „Afrotopie“, wie sich der Kontinent entwickeln könnte, wenn die Politik „Migration nicht länger großredet, sondern sich den Fluchtursachen zuwendet.“ Leggewie fordert eine radikal neue Sichtweise – nicht nur auf das Thema Migration und Afrika, sondern auf alle gesellschaftlichen Herausforderungen: Alles sei mit allem verbunden und an die Stelle der fixen Existenz trete das permanente Werden.

„Planetarisches Denken heißt den systematischen Blick auf die Herausforderungen mit dem normativen Blick auf die demokratischen Grundlagen zu verbinden“, sagt Leggewie. Eine „universitas“ solle den Blick für das Ganze schärfen, Interdisziplinarität sollte am Anfang und nicht am Ende des Studiums stehen. Kämpferisch gab Leggewie den Zuhörerinnen und Zuhörern mit auf den Weg: „Wissenschaft kann die Welt nicht retten, aber sie kann nicht beiseite stehen in dem Bemühen, sie zu einem besseren Platz zu machen.“

Podiumsdiskussion über Kommunikation und die Gestaltung von Lehre

In der anschließenden Podiumsdiskussion diskutierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über die Rolle von Hochschulen für die große Transformation. Prof. Dr. Silja Graue, Präsidentin der Koblenzer Hochschule für Gesellschaftsgestaltung, lenkte den Fokus zunächst auf die Kommunikation: Menschen – auch Institutionen – müssten wieder miteinander in Dialog treten und sich untereinander verstehen lernen. „Wir haben es im Bildungsbereich mit verunsicherten Persönlichkeiten zu tun – die Persönlichkeitsbildung sollte ein eigner Bereich werden.“

Prof. Dr. Harald Pechlaner, Gründungsdekan der School of Transformation and Sustainability an der KU, forderte von sich und seinen Kollegen: „Wir müssen sichtbarer werden als Wissenschaftssystem.“ Dass es dabei auf das Wie ankommt, hob Prof. Dr. Eric Veulliet, Präsident der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf hervor: „Wissenschaft überfordert Politik und Gesellschaft, wir verwenden eine Sprache, die dort nicht verstanden wird. Dadurch wissen wir immer mehr, aber immer weniger kommt an.“

Die Passauer Professorin Dr. Anna Henkel, Initiatorin des DFG-Netzwerks „Soziologie der Nachhaltigkeit“, sagte, dass sich Wissenschaft durch die sachorientierte Argumentation auszeichne: „Das kann man unabhängig der Disziplin lernen und darauf sollte der Fokus stärker liegen.“ Silja Graupe widersprach: Jedes Sachargument habe einen eigenen Kontext. Sie forderte: „Wir müssen darum kämpfen, dass die Basis, aus der wir argumentieren, nicht nur verstanden, sondern auch geteilt wird.“ Claus Leggewie stimmte zu: „Wir müssen von Plastikworten wie Transformation wegkommen.“ Statt über die Klimakatastrophe zu sprechen, solle man beispielsweise erklären, was die Menschen durch Veränderungen in der Klimapolitik gewinnen.

Auch die Haltung im Hochschulsystem müsse sich ändern, sagte Graupe: „Transformative Wissenschaft heißt, zu verstehen, dass wir selbst in der Ungewissheit stecken und unser Wissen vorläufig ist.“ Leggewie ergänzte: „Wir müssen eine neue Art der Kommunikation und Lernform entwickeln, aber dafür brauchen die Studierenden mehr Freiheit.“ Die Perspektive des Wissenschaftsministeriums ergänzte Dr. Andrea Siems auf der Bühne, moderiert wurde die Diskussion von Jeanne Turczynski vom Bayerischen Rundfunk.

Workshops rund um Transformation

Am Nachmittag teilten sich die Teilnehmenden in vier Gruppen auf, um in Workshops einzelne Aspekte von Transformation in der Wissenschaft zu vertiefen. Im ersten Workshop ging es um die Entwicklung von Ideen für eigene wissenschaftliche Projekte, die Bürgerinnen und Bürger in den Forschungsprozess einbeziehen. Im zweiten Workshop diskutierte die Runde, was es bedeutet, Transformation zu studieren und zu lehren. Eine weitere Gruppe blickte auf erste empirische Ergebnisse zum Lernen über globale Transformation und diskutierte deren Bedeutung für Forschung, Lehre und Weiterbildung. Der vierte Workshop widmete sich der Wissenschaftskommunikation, konkret den Fragen, was Kommunikation glaubwürdig macht und wie sich unterschiedliche Zielgruppen ansprechen lassen.