Krude Träume vom „Neuen Menschen“

Das späte 19. und frühe 20. Jahrhunderts waren zum einen durch Fortschrittsglauben und zum anderen durch tiefgreifende Ängste vor einem biologischen und kulturellen Verfall geprägt. Naturwissenschaftliche Paradigmen und zentrale kulturelle Konzepte beeinflussten sich in dieser Zeitspanne wechselseitig, wie der Europatag an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) zum Thema „Biologie, Anthropologie und Kulturkritik in der europäischen Moderne“ zeigte. Konzipiert und realisiert wurde die Veranstaltung komplett von Studierenden des Europastudien-Masters.

Die zehn Referenten aus Deutschland, Armenien, Schweden, Russland und den USA berichteten, dass sich biologische und anthropologische Konzepte in dieser Epoche nicht nur auf die Naturwissenschaften bezogen, sondern auch von philosophischen und politischen Theorien sowie von Literaturwissenschaft beeinflusst wurden. Als prägend für diese Zeit wurde die Idee der Perfektionierung des Menschen und eugenischem Gedankengut geprägt. So befasste sich etwa der Beitrag von Gottfried Küenzlen mit dem Traum vom „Neuen Menschen“ in der säkularen Kultur der Moderne und der damit verbundenen Vorstellung von der Herstellbarkeit des Menschen. Die Gentechnologie hat diesen Traum auf eine neue Ebene transformiert. Somit stellt sich die Frage, ob die Auffassung vom Mensch als Person nun völlig entkräftet ist. Auch der böhmische Adlige Richard Nikolaus Graf Coudenhove-Kalergi suchte in seiner Vision eines „Paneuropas der Übermenschen“ einen neuen Menschen zu kreieren, wie der Vortag von Alexandra Gerstner aufzeigte. Im Zentrum seiner europäischen Utopie stand eine „Superrasse“, gezüchtet aus dem alten europäischen Adel und dem europäischen Judentum, welche die geopolitsiche Vormachtsstellung Europas garantieren sollte.

Ähnliche Vorstellungen finden sich in den biologischen Utopien und Dystopien des 19. Jahrhunderts wieder. Der Beitrag von Stefan Lampadius befasste sich mit der literarischen Verarbeitung zeitgenössischer politischer, philosophischer und biologischer Konzepte, wie sie in den futuristischen Romanen von H.G. Wells, E.M Forster und Aldous Huxley zu finden sind. Dort ist sowohl die Idee eines nationenübergreifenden Weltstaats als auch die Vision der biologischen Herstellbarkeit des Menschen verwirklicht. Angesichts technologischer und biologischer Entwicklungen wie der Gentechnik zeigt sich, dass diese Problematik gerade heute aktuell ist und zum Nachdenken anregen kann.

Studierende und Interessierte haben die Möglichkeit, sich im Rahmen eines Essaywettbewerbes selbst mit der Thematik auseinanderzusetzen. Der beste Essay wird online veröffentlicht und mit 200 Euro belohnt. Kontakt: europatag2009(at)web.de.

Nähere Informationen zum Europatag und den Referenten sind im Internet unter www.ku-eichstaett.de/Fakultaeten/SLF/Europastudiengang/europatag zu finden.

Jasmin Dennig/Anja Eckelt/CSS