KU-Studie zeigt: „Telefon-Engel“ reduzieren Einsamkeitserleben

Einsamkeit ist ein weit verbreitetes Problem und ältere Menschen davon seit jeher stark betroffen. Um ihnen zu helfen, rief der Verein Retla e.V. das Projekt „Telefon-Engel“ ins Leben und bringt Seniorinnen und Senioren, die sich einsam fühlen, mit freiwilligen Telefon-Partnern zusammen. Psychologinnen und Psychologen der KU untersuchten nun die Wirksamkeit des Projekts und stellten fest: Die Telefon-Patenschaften reduzieren erfolgreich das Einsamkeitserleben der Betroffenen.

Fünf Jahre ist es her, dass die Corona-Pandemie das öffentliche Leben fast zum Stillstand brachte. Der erste Lockdown im Frühling 2020 führte dazu, dass sich soziale Kontakte stark reduzierten. Insbesondere älteren Menschen, die als Risikogruppe galten, wurde eine drastische Einschränkung der physischen Kontakte empfohlen. Gleichzeitig konnten sie digitale Alternativen oft nur eingeschränkt nutzen. Um Menschen jenseits der 60 zu helfen, initiierte der Verein Retla e.V. im April 2020 das Projekt „Telefon-Engel“. Über eine zentrale Nummer können sich seitdem ältere Menschen und freiwillige Helfer anmelden und werden dann zueinander gematcht. Kriterien dabei sind Region und Geschlecht, teils auch gemeinsame Interessen. Die Helfenden durchlaufen zudem eine Schulung, die sie auf die Gespräche vorbereitet. Dann beginnt die Telefonpatenschaft. Die Partner reden mindestens einmal wöchentlich eine Stunde miteinander, grundsätzlich bestimmt aber jeder selbst, wie oft und wie lange der Kontakt gesucht wird. Bis heute vermittelte Retla mehr als 1900 solcher Telefon-Patenschaften. Ein großer Erfolg, der sich nicht nur an Zahlen ablesen lässt, sondern für die Beteiligten auch spürbar ist, wie Forschende der KU nun aufzeigen können.

Ein Team der Professur für Sozial- und Organisationspsychologie der KU, bestehend aus Adrian Landwehr, Dr. Laura Pollack, Prof. Dr. Elisabeth Kals und Dr. Svenja Schütt, konzipierte eine Evaluationsstudie für das Telefon-Engel-Projekt, die vom Bayrischen Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention gefördert wurde. Erstmals liegen damit nun empirische Daten vor, die unterstreichen, dass derartige Projekte wichtig und wirksam sind. „Das Einsamkeitserleben der älteren Menschen konnte im Projekt signifikant gesenkt und ihre Lebensqualität gesteigert werden“, fasst Adrian Landwehr, wissenschaftlicher Mitarbeiter und hauptverantwortlich für die Studie, die zentralen Erkenntnisse zusammen.

Die Psychologen befragten zu zwei Zeitpunkten im Abstand von sechs Wochen Projektteilnehmende sowie Seniorinnen und Senioren außerhalb des Projekts als Kontrollgruppe. Während die Helferinnen und Helfer über einen Onlinefragebogen erfasst wurden, interviewten die Forschenden die Seniorinnen und Senioren analog mit einem Fragebogen. Die Ergebnisse seien eindeutig und vielversprechend, sagt Adrian Landwehr. Bereits über die geringe Zeitspanne von sechs Wochen haben sich das Gemeinschaftsgefühl und die Lebenszufriedenheit deutlich verbessert. Da die Telefonpatenschaften meist über mehrere Monate hinweg bestehen, sei von einer potenziell noch positiveren Wirkung auszugehen.  

„Aus einer Anlaufstelle in Krisenzeiten ist ein einzigartiges Projekt mit Vorreitercharakter entstanden, das das Einsamkeitserleben von älteren Menschen reduziert und dadurch für die gesamte Gesellschaft von großer Bedeutung ist“, freut sich Landwehr. Einsamkeit sei nicht nur ein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. Laut internationalen Studien bringt das Erleben von Einsamkeit große Gesundheitsrisiken mit sich, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz und psychische Störungen. Während der Corona-Pandemie stieg die Zahl der Betroffenen deutlich – insbesondere unter jüngeren Menschen – und blieb danach höher als vor der Pandemie. In Deutschland schwankt der Anteil der Menschen, die sich einsam fühlen, je nach Studie zwischen 5 und 20 Prozent. 

Psychologen wie Laura Pollack, die die Telefon-Engel-Studie für die KU federführend initiierte, sprechen bewusst nicht von Einsamkeit, sondern von Einsamkeitserleben: „Es handelt sich um ein subjektives Gefühl.“ Wann die eigenen sozialen Bedürfnisse erfüllt sind, unterscheide sich von Mensch zu Mensch. Wer sich einsam fühlt, dem fehlt es an Bindungen. Das ist von außen nicht immer gut erkennbar. Deshalb wurde in der Befragung die individuelle Sicht auf die eigene Einsamkeit erfasst, z.B. über die Frage, wie sehr man sich mit anderen Menschen verbunden fühle. Durch diese positive Formulierung sollte sozial erwünschtes Antwortverhalten reduziert werden. Denn eine zentrale Rolle im Kampf gegen Einsamkeit spielt Stigmatisierung. „Wenn Menschen das Gefühl haben, negativ von der Norm abzuweichen, entsteht Scham“, erklärt KU-Psychologe Adrian Landwehr. „Es ist verständlich, dass es den Betroffenen dann schwerfällt, nach Hilfe zu suchen und sie anzunehmen.“ 

Entsprechend ist es dem Team der Eichstätter Sozialpsychologie ein Anliegen, zu vermitteln, dass Einsamkeitserleben alle betreffen kann. Nur durch Aufklärung und Aufmerksamkeit für das Thema lasse sich der Teufelskreis der Tabuisierung durchbrechen. Zudem seien niedrigschwellige Hilfsangebote wie die Telefon-Engel wichtig, wo Betroffene Hilfe bekommen, ohne sich öffentlich als einsam zu outen. „Wenn wir es den Menschen erleichtern, Hilfe zu suchen, dann verbessert sich durch die Hilfe ihre Situation signifikant – das konnten wir nun belegen“, betont Landwehr. 

 

Ein Artikel mit den zentralen Ergebnissen der Studie steht hier zur Verfügung.

 

Teil des Telefon-Engel-Projekts werden:

Sie möchten bei den Telefon-Engeln mitmachen? Die Anmelde-Nummer für freiwillige Helfer sowie interessierte Seniorinnen und Senioren lautet 089/18910025. Mehr Informationen finden sich auf der Webseite von Retla e.V.