Lehrkräfte entlasten und ihren Einsatz wertschätzen

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Personalmangel, zu wenig Luft für Schulsozialarbeit und Schulpsychologie, keine Kapazitäten mehr für geflüchtete Schülerinnen und Schüler, zu hohe Arbeitslast bei den Schulleitungen – das gerade erschienene Deutsche Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung benennt die Themen, mit denen aus Sicht der Schulleitungen das deutsche Schulsystem derzeit kämpft. Die Ausbildung künftiger Lehrkräfte ist seit jeher ein Schwerpunkt der KU. Ein Gespräch mit Dr. Petra Hiebl, Leiterin des Zentrums für Lehrerinnen- und Lehrerbildung, über Ansprüche an das Schulsystem, die Attraktivität des Berufsfeldes und den Beitrag der Lehramtsausbildung.

Das repräsentative Schulbarometer will schon frühzeitig Entwicklungen beschreiben. Waren Sie davon überrascht, wie deutlich die Ergebnisse ausfallen? Oder hat sich diese Entwicklung nicht schon länger abgezeichnet?
Die Entwicklungen sind seit langen Jahren absehbar. Und natürlich gab es bereits auch Maßnahmen, um gegenzusteuern, z.B. wurde die Ausbildungskapazität im Lehramtsstudium für Grundschulen schon seit einigen Jahren erhöht, Fortbildungsinitiativen für Digitalisierung wurden für Schule und Universität aufgesetzt und Programme für die Schließung von Lernlücken, die während der Pandemie entstanden sind, ins Leben gerufen. Diese Maßnahmen müssen offensichtlich intensiviert, reflektiert und teilweise ergänzt werden. Die generelle Belastung von Schulleitungen ist z.B. ein immer wieder auftauchendes Thema. Schon lange wird diskutiert, ob sie nicht generell von einer Unterrichtsverpflichtung frei zu stellen sind, weil sie in einer modernen Schulleitung neben Schulentwicklungs- und Personalentwicklungsfunktionen auch zahlreiche Managementaufgaben übernehmen müssen. Vielfach werden Schulleitungsstellen wiederholt ausgeschrieben, weil diese Mehrfachbelastung unattraktiv ist. Das deutsche Schulbarometer schlägt hier Schulverwaltungsassistenzen vor, das könnte eine mögliche Entlastung bringen. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass der Personalmangel und das damit verbundene Management von Ausfällen in der Unterrichtsversorgung zusätzlich als belastend erlebt wird.
Die digitale Schulentwicklung fordert zusätzlich viel. Auch wenn staatliche Gelder zur Verfügung gestellt werden, müssen hierfür Konzepte und Implementierungsstrategien schulbezogen entwickelt werden. Außerdem muss auch die jeweilige Infrastruktur vorliegen, um die Digitalisierung mit dem Ziel guten Unterrichts sinnvoll einzusetzen. Im Bereich der Digitalisierung scheint vor allem auch das Thema Bildungs(un)gerechtigkeit auf, vor allem bei Kindern aus sozial schwachen Familienhintergrund.

Die befragten Schulleitungen nennen mit großer Mehrheit den Personalmangel als drängendstes Problem im Schulsystem. Dabei scheint gerade der Bedarf an Lehrkräften ein Aspekt zu sein, der sich etwa anhand der Geburtenzahlen mit ausreichend Vorlauf ablesen lässt. Was ist der Hintergrund für den artikulierten Mangel an Lehrerinnen und Lehrern? Die Anzahl verfügbarer Stellen, rückläufiges Interesse an diesem Berufsfeld oder nicht vorhersehbare Aspekte wie Zuwanderung durch den Krieg in der Ukraine?
Ein Grund ist sicher der effektive Einstellungsstopp, der in bestimmten Lehramtsfächern in den vergangenen Jahren viele davon abgebracht hat, Lehramt zu studieren. Das hinterlässt Spuren im Denken von Eltern, AbiturientInnen und LehrerInnen. Das gesellschaftliche Image des Lehramtsstudiums und Lehrerberufes trägt auch dazu bei: Schon SchülerInnen werden damit konfrontiert, der Fokus liegt auf Missständen im System. Den Beruf des Lehrers bzw. das Image wieder positiver zu besetzen muss sicher auch eine gemeinsame Aufgabe von Politik und Gesellschaft sein. Hervorgehoben werden müssen positive Beispiele, der unermüdliche Einsatz vieler Lehrerinnen und Lehrer im Schulalltag, das Bemühen um lebenslanges Lernen und andauernde Professionalisierung. Es sollten nicht ständig Einzelfälle negativer Art diskutiert werden.
Aber auch Ausbildungswege haben sich verändert. Das heißt, auch, wenn man sich einmal entschieden hat, Lehramt zu studieren, gibt es noch weitere Entscheidungsmöglichkeiten. Das heißt, wenn Studierende im Studium Schule als negativ erleben, werden sie sich noch umentscheiden. Früher hat man Lehramt studiert und wurde Lehrer. Mit den Bachelor- und Masterstudiengängen, die mittlerweile nicht nur an der KU, sondern auch an anderen bayerischen Universitäten und darüber hinaus parallel studiert werden können, haben die Studierenden von Anfang an verschiedene Abschluss- und Berufsmöglichkeiten, das mag ein weiterer Grund sein.

Dr. Petra Hiebl, Leiterin des Zentrums für Lehrerinnen- und Lehrerbildung an der KU
Dr. Petra Hiebl, Leiterin des Zentrums für Lehrerinnen- und Lehrerbildung an der KU

Inklusion, Digitalisierung, Persönlichkeitsbildung – diese und viele weitere Ansprüche werden heutzutage an Schulen und Lehrkräfte gestellt. Ist es realistisch, dies alles zu verlangen oder überfrachtet man das System Schule mit Erwartungen?
Tatsächlich ist das Tätigkeitsspektrum, dem sich Lehrerinnen und Lehrer in der heutigen Schulwelt  gegenüber sehen und welches den Berufsoptimismus vermutlich vor Herausforderungen stellt, enorm breit. Der Beruf Lehrer/in verlangt vieles ab: auf alle gesellschaftlichen Veränderungen eingehen (Inklusion, Digitalisierung, Globalisierung, Krieg in Europa, Demokratien in der Krise, Lehrermangel etc.), sich flexibel auf eine heterogene Schülerschaft einstellen, multiprofessionelle Teamarbeit, Krisensituationen professionell meistern, jüngst die Corona-Pandemie. Es braucht große Anstrengung, sich den Optimismus zu bewahren. Nicht umsonst sind Resilienz, Achtsamkeit und Lehrergesundheit derzeit präsente und zugleich mahnende Themen in der Schulwelt.
Schule ist ein Spiegel der Gesellschaft, die, wie viele denken, mittlerweile aus vielen in sich abgeschlossenen Gesellschaften besteht, unser aller Leben ist komplex geworden. Entsprechend sind die Bildungserwartungen an die Schule einzuschätzen. Dennoch müsste überlegt werden, inwiefern eine Fokussierung auf Schlüsselkompetenzen, sogenannte „Future Skills“ Entlastung bringen kann.

Welchen Beitrag können Universitäten im Rahmen der Ausbildung von Lehrkräften dazu leisten, um auf die Defizite zu reagieren?
Das übergeordnete Ziel aller Angebote muss sein, (angehende) Lehrerinnen und Lehrer dabei zu unterstützen, eine selbstreflexive Haltung gegenüber dem eigenen professionellen Wissen und Handeln sowie einer grundlegenden Wertevorstellung zu fördern und dabei zugleich eine Brücke zwischen Theorie und Praxis – Universität, Schule und externen Kooperationspartnern – zu schlagen. Außerdem will das KU ZLB mit Hilfe von Botschafterinnen und Botschaftern für den Lehrerberuf zur Studierendengewinnung beitragen. Der akute Lehrermangel führt dazu, dass schon Lehramtsstudierende an Schulen im Regelunterricht eingesetzt werden, teilweise sogar eigenverantwortlich. Die KU sieht sich in der Verantwortung, die Studierenden fachlich sowie methodisch-didaktisch auf diese schwierige Aufgabe vorzubereiten, sie durch entsprechende Coaching-Angebote zu begleiten und für Anschlussfähigkeit an ihr Studium sowie an ihre weitere Studien- und Berufslaufbahn zu sorgen, ohne, dass es zu einem Praxisschock kommt. Dieses Engagement der KU trägt dazu bei, die Qualität der universitären Ausbildung zu sichern, Theorie und Praxis zu verzahnen und Studierenden zu stärken.

Wie bereitet die KU künftige Lehrkräfte auf ein sich laufend wandelndes Berufsfeld vor?
Die Befassung mit Zukunftsherausforderungen und die Befähigung zu eingreifender Zukunftsgestaltung beschreiben Schlüsselaufgaben einer zukunftsfähigen Lehrerausbildung. Bildung für nachhaltige Entwicklung und ein „Whole-Institution-Approach“ der KU sind Bewährungsfeld für die Entwicklung solcher Schlüsselkompetenzen. Service Learning als Methode fachlicher Auseinandersetzung und ehrenamtlichen Engagements finden in der Ausbildung große Beachtung. Vor dem Hintergrund der sich ändernden Anforderungen in der zukünftigen Arbeitswelt werden Transformationskompetenzen benötigt, die sich noch stärker als bisher auf proaktives, selbstgesteuertes, eigeninitiatives, intrinsisch motiviertes Lernen und Arbeiten beziehen. Hieran wird sich auch das künftige Berufsprofil von Lehrkräften orientieren.
Um (angehenden) Lehrerinnen und Lehrern den Erwerb professioneller Kompetenzen zu ermöglichen, die sie bestmöglich auf die heutige und zukünftige schulische Realität in einer immer komplexeren Gesellschaft vorbereiten, braucht es eine zukunftsweisende, transformative Lehrerinnen- und Lehrerbildung, die sich an aktuellen Themen der Bildungslandschaft orientiert, Innovationen und Trends aufgreift und gleichermaßen grundlegende professionelle Kompetenzen im Blick hat. Ein besonderes Anliegen der KU-Lehrerinnen- und Lehrerbildung ist es, die individuellen Potenziale der Studierenden in den Mittelpunkt zu stellen und einen Ausbildungsfokus auf die (Lehrer-)Persönlichkeitsentwicklung zu legen.

Wer sitzt darüber hinaus an welchen Stellschrauben und ist nun gefordert, zu reagieren?
Gefordert ist das gesamte System. Gute Ideen liegen auf allen Ebenen vor. Die aufgedeckten Mängel sollten ernsthaft diskutiert werden. Schenkt man den Schulleitungen Gehör, geht es um mehr individuelle Umsetzung staatlicher Maßnahmen, um Freiheiten und Flexibilität, auch um Anerkennung. Seine eigenen Ideen einzubringen bedeutet, Teil zu haben und Teil eines Ganzen zu sein, für das es sich lohnt, sich zu engagieren. Das könnte dann auch den Lehrerberuf wieder attraktiver machen.

(Interview: Constantin Schulte Strathaus)