Nina Schneider hat an der Universität Essex in England promoviert. Danach folgten zahlreiche wissenschaftliche Stationen in der ganzen Welt, darunter das Institute for the Study of Human Rights an der Columbia University in den USA, die Universität Brasília, die Universität Konstanz und das Global South Studies Center an der Universität Köln. Vor ihrem Wechsel an die KU leitete sie von 2018 bis 2024 am Käte Hamburger Kolleg/Centre for Global Cooperation Research der Universität Duisburg-Essen eine interdisziplinäre Forschungsgruppe und habilitierte sich dort im Fach Neuere und Neueste Geschichte. 2024 bis 2025 war sie als Jean Monnet Fellow am European University Institute in Florenz tätig sowie im Sommersemester 2025 als Vertretungsprofessorin für Technik- und Umweltgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum.
Schneiders Forschungsweg ist eng mit „den Amerikas“ verbunden, wobei Brasilien eine besondere Rolle einnimmt. Mit 16 verbrachte sie als Austauschschülerin ein Jahr in Rio de Janeiro: „Ich war an einer der besten Schulen der Stadt, habe aber nichts über das Militärregime gelernt. Das war gerade für mich als Deutsche befremdlich“, erinnert sich die Professorin. Ihr wissenschaftliches Interesse an Propaganda, Diktatur und Erinnerungskultur hat hier seinen Ursprung. Schneider studierte Geschichte, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften sowie Romanistik in Leipzig. Ein Auslandsjahr führte sie nach Essex, wo sie für ihre Promotion blieb und thematisch nach Brasilien zurückkehrte: Ihre Doktorarbeit befasst sich mit der Propaganda der brasilianischen Militärdiktatur von 1964 bis 1985. Dafür hob sie nicht nur Propagandafilme aus den Archiven aus, sondern führte Oral History Interviews mit den Propagandamachern selbst. Diese Gespräche seien herausfordernd gewesen: „Das Militärregime war kein einheitlicher Block, sondern die Militärs waren intern gespalten. Ich hatte mit Menschen zu tun, die eine bestimmte Täterschaft haben, ohne zum radikalen Flügel zu gehören.“ Später führte sie weitere Oral History Interviews mit Militärs aus unterschiedlichsten Lagern. Einer der interviewten Generäle habe sich beispielsweise gegen die Massentötung brasilianischer Oppositioneller eingesetzt und sei deswegen aus dem Militär verbannt worden. „Ich habe auch versucht, die unbekannten Geschichten dieser Militärs zu erzählen, um zu zeigen, wie komplex das Täter- und Opferbild ist.“ Auch mit den Überlebenden des Regimes führte sie zahlreiche Gespräche und wohnte zwischen 2012 und 2014 Dutzenden von Sitzungen der brasilianischen Wahrheitskommission bei.
Die Habilitation führte Schneider zu einem weiteren in der Forschung bislang wenig berücksichtigten Thema: Kinderarbeit. Unter dem Titel „Child Labour Opponents and Their Campaigns in the Americas: A Global Perspective (1888–1938)“ erscheint die Arbeit in dieser Woche in Buchform. Die Historikerin setzt sich darin mit der globalen Bewegung gegen Kinderarbeit auseinander und bietet erstmals einen nicht-nationalgeschichtlichen Ansatz zur Thematik. „Ich beleuchte die Akteurinnen und Akteure, die sich bereits lange vor der internationalen Gesetzgebung durch die ILO (die Internationale Arbeitsorganisation) aktiv gegen Kinderarbeit einsetzten und sich auch miteinander vernetzten“, erklärt Schneider. Spannend sei dabei, dass die Gegner von Kinderarbeit sehr divers seien und ihre Beweggründe oft wenig altruistisch: „Die Arbeiterbewegung setzte sich zum Beispiel früh für die Regulierung von Kinderarbeit ein, wollte aber so vor allem die Arbeitsplätze erwachsener Männer schützen.“ Ihre Forschung in diesem Bereich will Schneider in Eichstätt weiter ausbauen. Ein Herzensprojekt bringt sie direkt mit an die KU: In Kooperation mit dem International Institute for Social History in Amsterdam plant sie die Gründung eines „Digital Child Labor Archive“, das neben einem klassischen Archiv auch ein Wiki sowie die Bereitstellung von Lehrmaterial von der Grundschule bis zur Universität umfassen soll.
Sowohl in Forschung wie auch Lehre will Schneider den Blick von der Kinderarbeit auf Kindergeschichte generell weiten, also die Geschichte von Kindern und Kindheit und die Perspektive von Kindern auf Geschichte: „Dieser Blickwinkel ist noch kaum bearbeitet und zugleich sehr spannend, denn man lernt Geschichte ganz anders zu betrachten, nicht selten verbunden mit einem Aha-Effekt.“ Das Bemühen um eine andere Perspektive zeigt sich auch in Schneiders Anspruch auf einen globalen Blick. „Ich finde es wichtig, aus dem nationalstaatlichen Fokus herauszukommen, der Geschichte oft eher verklärt als erklärt. Ziel sollte es sein, innerhalb einer Thematik die Maßstäbe zu wechseln, von der lokalen bis zur globalen Ebene und zurück“, erläutert Schneider. „Es ist wichtig, die große Geschichte und globalen Netzwerke zu betrachten, aber ebenso, nah an den Quellen und an den Menschen vor Ort zu sein, um Geschichte gut zu verstehen.“ Für Ihre Arbeit sei Eichstätt ein hervorragender Ort: „Hier kann man konzentriert forschen und studieren – das ist gerade in unserer digitalen Welt sehr wertvoll.“ Begeistert ist Schneider vom Altmühltal: „Es gibt nichts Schöneres als ein Spaziergang im Eichstätter Herbst.“
Neben der Professur übernimmt Nina Schneider weitere zentrale Aufgaben an der KU. So ist sie Studiengangsleiterin des deutsch-kolumbianischen Masters „Conflict, Memory and Peace“, Mitglied im Promotionsausschuss an der Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät und Ko-Direktorin des Zentralinstituts für Lateinamerikastudien (ZILAS). „Ich freue mich sehr, hier Verantwortung zu übernehmen, denn gerade in Zeiten von Trump und der AfD ist es wichtig, dass diese Art von Forschung und Förderung erhalten bleibt. Anhand Lateinamerikas lässt sich viel zum Bereich Fremdenfeindlichkeit und Rassismus lernen und verstehen.“
Gesellschaftlicher Transfer und eine engagierte, reflektierte Haltung in den politischen Diskursen unserer Zeit sind Nina Schneider ein großes Anliegen: „Zivilcourage, Menschenrechte und Verantwortung für den Planeten sind mir sehr wichtig. Deswegen freue ich mich so, an der KU zu sein, denn sie steht auch als gesamte Universität dafür ein, verantwortlich und wertebewusst an der gesellschaftlichen Transformation mitzuwirken.“