„Philosophie ist Interaktion mit anderen“: Imke von Maur übernimmt Lehrstuhl für Philosophie

Philosophie-Professorin Imke von Maur
© Petra Hemmelmann

Professorin Dr. Imke von Maur ist neue Inhaberin des Lehrstuhls für Philosophie an der KU. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Erkenntnistheorie und Emotionsphilosophie, in der Lehre setzt die 36-Jährige auf eine „dialogisch-emanzipatorische Praxis“. Zudem steht die stärkere internationale und interdisziplinäre Vernetzung der Eichstätter Philosophie auf von Maurs Agenda.

Vor ihrer Berufung an die KU war die gebürtige Bocholterin als Postdoc am Institut für Kognitionswissenschaften der Universität Osnabrück tätig. Im Bachelor hat Imke von Maur an der Universität Duisburg-Essen Angewandte Kognitions- und Medienwissenschaften studiert, bestehend aus Psychologie, Informatik und Wirtschaftswissenschaften. Für den Master wechselte sie Standort und Hauptfächer: Im Master Cognitive Science an der Universität Osnabrück legte sie den Fokus auf Philosophie und Neurowissenschaften. „Mein Hintergrund ist durchgängig transdisziplinär, aber immer mit einem urphilosophischen Interesse, nämlich der Frage: Wie funktioniert Erkenntnis?“, sagt von Maur. Am Osnabrücker Institut für Kognitionswissenschaft war sie nach ihrem Master Wissenschaftliche Mitarbeiterin, promovierte dort und arbeitete anschließend als Wissenschaftliche Assistentin. Ein prägender Einfluss, wie sie betont: „Man arbeitet dort mit Forschenden aus aller Welt zusammen, auch die Studierendenschaft ist extrem heterogen. Das hat mein akademisches Sein geprägt, Diversität empfinde ich grundsätzlich als Bereicherung – fachlich, disziplinär und auch kulturell.“

Emotionen und Erkenntnis

In ihrer Forschung konzentriert sich Imke von Maur auf erkenntnistheoretische und emotionsphilosophische Fragen. Aber auch die Philosophie des Geistes und der Kognition, die Phänomenologie, die Praxistheorie und die Sozialphilosophie gehören zu ihren wesentlichen Interessen. So befasste sie sich in ihrer Dissertation („Die epistemische Relevanz des Fühlens – Habitualisierte affektive Intentionalität im Verstehensprozess“) aus sozialkritischer Perspektive damit, welchen Beitrag Emotionen zu Erkenntnis leisten. „Mich hat immer die Aussage gestört, wenn es um Erkenntnis geht, hätten Emotionen da nichts zu suchen“, erklärt sie. „Emotionen sind nicht per se irrational und auch nicht arational, sondern gehören in den Raum der Gründe hinein. Emotionen sind für Verstehensprozesse zentral, klammern wir sie aus begehen wir einen systematischen Erkenntnisfehler.“ Allerdings sei zu beachten, dass Emotionen stark von Gesellschaft und Kulturalisierung geprägt seien. Der sozialkritische Blick richte sich darauf, dass wir „Möglichkeitsräume des Fühlens schaffen, die spezielle Gefühle befördern und andere nicht“. Als Beispiel nennt von Maur Menschen, deren Emotionsrepertoires sich komplett an der Praxis des Postens in sozialen Netzwerken orientieren. „Wenn ich Essen nur noch aus der Perspektive wahrnehme, ob es ,instragramable‘ ist oder nicht, prägt dieser Zugang auch, was ich fühle. Und was ich fühle, ist nicht nur Produkt, sondern wiederum Produzent sozialer Wirklichkeit.“

Aufbauend auf ihre Dissertation wählte Imke von Maur für ihr Habilitationsprojekt einen breiteren Ansatz unter dem Arbeitstitel „Verstehen“: „Zu verstehen ist aus meiner Sicht mehr als etwas intellektuell zu durchdringen. Es bedeutet ganzheitlich körperlich zu begreifen, wobei eine ethisch-politische Positionierung und ein Wille zu Transformation im gesellschaftlichen Prozess schon eingeklammert sind.“  Es sei eine epistemische, also erkenntnisbezogene Frage, wie wir uns zum Beispiel zur Klimakrise verhalten. Häufig werde vermittelt, es fehle den Menschen an Wissen oder sie hätten die falschen Werte – „ich habe aber den Eindruck, dass uns die Thematik einfach nicht ausreichend durchdringt.“ Eine wichtige Frage in diesem Kontext: Bauen wir als Gesellschaft die Möglichkeitsräume des Fühlens so, dass es gar nicht möglich wird, sich in bestimmter Weise affizieren, also emotional bewegen zu lassen? Normative Begriffe wie „richtig“ oder „falsch“ vermeidet von Maur in ihren Fragestellungen bewusst. „Was würde es denn heißen, richtig zu fühlen? Greta Thunberg fordert: „I want you to panic!“– aber ist die richtige, die angemessene Reaktion angesichts der Klimakrise Panik? Epistemisch bestimmt, aber ist die Emotion zum Beispiel auch hilfreich?“

„Man kann nicht nicht philosophieren“

Das Megathema Klimakrise, aber auch andere sozial relevante Themen wie Rassismus, Sexismus, Feminismus und Populismus gehören ebenfalls zu Imke von Maurs Forschungsinteressen. Ein starker sozialpolitischer und praktischer Bezug ihrer Arbeit ist ihr wichtig. Philosophie sei eben nicht abgehoben und weltfremd – sondern der Kern des Seins: „Man kann nicht nicht philosophieren“, sagt sie schmunzelnd. Ihr Fokus liege auf der Frage, wie wir als psychologische und unweigerlich spezifisch sozial situierte Wesen Wirklichkeit konstruieren – und was das für unser Zusammenleben bedeutet. „Wir sind in unterschiedlichen kleinen Welten situiert und oft hat man keinen Zugang zur Welt von jemand anderem“, sagt die Professorin. Wie man zueinander durchdringen kann, sei für sie eine zentrale Frage. „Mich treibt als Wissenschaftlerin an, dass ich unbedingt Dinge verstehen und mit anderen teilen möchte, um die Welt besser zu machen.“

Die Philosophie gehöre nicht in einen Elfenbeinturm, sondern fest in die Welt: „Philosophie ist keine Einzeltätigkeit eines Intellektuellen, sondern Interaktion mit anderen.“ Dieser Gedanke prägt auch von Maurs Lehre. In Osnabrück wurde sie mehrfach für ihre gute Lehre ausgezeichnet. Ihre erfolgreichen Konzepte möchte sie auch an der KU umsetzen: „Ich verstehe Lehre als dialogisch-emanzipatorische Praxis, wo man zusammen versucht, sich einem Phänomen verstehend zu nähern.“ Der 36-Jährigen ist es wichtig, Studierenden zu helfen, ihre eigenen Themen zu finden, für die sie sich engagieren und Verantwortung übernehmen wollen. Als Lehrstuhlinhaberin ist Imke von Maur auch verantwortlich für Lehramtsstudierende mit dem Fach Philosophie/Ethik – und bildet damit künftige Multiplikatoren: „Es ist eine tolle Chance, einen Funken zu entzünden und junge Menschen zu begeistern, Erkenntnisse zu gewinnen und damit in die Gesellschaft zu wirken.“

Vernetzung an der KU und darüber hinaus

Nicht nur in der Lehre, auch in ihrer Forschungstätigkeit legt Imke von Maur Wert auf Interaktion. Als Präsidentin der „European Philosophical Society for the Study of Emotions“ (EPSSE) tauscht sie sich regelmäßig mit Kolleginnen und Kollegen aus zahlreichen, nicht nur europäischen Ländern aus. Die KU ist für von Maur dabei der ideale Ausgangspunkt, da diese sich explizit zur eigenen gesellschaftlichen Verantwortung bekenne: „Die besondere Atmosphäre an der KU in die internationalen Netzwerke einzuspeisen und andersherum, finde ich besonders reizvoll.“

Auch Kooperationen innerhalb der KU visiert die Professorin an. Sie wirkt bereits aktiv als Fakultätsmitglied im interdisziplinären, DFG-geförderten Graduiertenkolleg „Practicing Place“ mit und will dort vor allem ihre Expertise zur Affektivität einbringen. Sich auf die äußert vielseitigen Forschungsprojekte der Promovierenden einzulassen und aktiv an der Gestaltung des Projekts mitwirken zu können begeistert sie sehr. Darüber hinaus sieht sie eine starke Verbindung zwischen ihrem Forschungsthema „Verstehen“ und der Thematik Bildung. Was benötigen junge Menschen, um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein – gerade, wenn man davon ausgeht, dass die Fähigkeit zu verstehen etwas anderes ist als rein kognitive Begabung? „Was brauchen wir, um künftig friedvoll miteinander und nachhaltig mit der Umwelt umzugehen? Das scheint mir eine wichtige Bildungsfrage, die aber oft zur Privatangelegenheit deklariert wird“, erläutert Imke von Maur. Anknüpfungspunkte für diese Überlegungen sieht sie an der KU unter anderem in der Bildungsphilosophie, Soziologie und der Psychologie.