Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt sind heute Alltag in Kindertageseinrichtungen. Sowohl für die pädagogischen Fachkräfte als auch die Eltern stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, welche Faktoren zu einer gelingenden mehrsprachlichen Entwicklung beitragen. Über sechs Jahre hinweg hat das Kooperationsprojekt „IMKi – Effekte einer aktiven Integration von Mehrsprachigkeit in Kindertageseinrichtungen“ in rund 20 Einrichtungen die Entwicklung von Kindern und Eltern sowie der pädagogischen Fachkräfte und ihrer Einrichtungen langfristig begleitet. Im Fokus standen dabei Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren, die migrationsbedingt mehrsprachig aufwachsen.
Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg haben mit ihrer Studie eine Forschungslücke geschlossen. Denn bislang gab es sowohl national als auch international nur wenige Längsschnittdaten zu den Sprachentwicklungsverläufen mehrsprachig aufwachsender Kinder. Insbesondere Untersuchungen, in denen auch der Entwicklungsverlauf in der jeweiligen Herkunftssprache berücksichtigt und die Entwicklung von Umgebungs- und Herkunftssprache gemeinsam betrachtet werden, lagen bislang nur wenige vor. Gefördert worden ist das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
„Die Ergebnisse unserer Langzeitstudie zeigen, dass eine intensive Einbeziehung von Mehrsprachigkeit in den Alltag einer Kindertagesstätte keine negativen Effekte auf die die Entwicklung von Deutsch als Umgebungssprache der Kinder hat. Entgegen dieser Befürchtung von Fachkräften und Eltern deuten die gesammelten Erfahrungen stattdessen darauf hin, dass eine bewusste und fundierte Auseinandersetzung mit der kindlichen Mehrsprachigkeit im Alltag zu mehr und qualitativ hochwertigeren sprachlichen Interaktionen unter den Kindern bzw. zwischen Fachkraft und Kind führen kann“, erklärt Prof. Dr. Jens Kaiser-Kratzmann. Er ist an der KU Inhaber der Professur für Pädagogik mit Schwerpunkt frühe Kindheit und hat für das Projekt mit Prof. Dr. Steffi Sachse (Professur für Entwicklungspsychologie mit Schwerpunkt Sprachentwicklung an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg) kooperiert.
Die Empfehlung, zu Hause nur Deutsch zu sprechen, sei aufgrund der gesammelten Daten nicht haltbar. Dies würde vielmehr auf Kosten der Herkunftssprache gehen. Gleichzeitig kann eine gezielte Förderung herkunftssprachlicher Kompetenzen aufgrund der vorhandenen Sprachenvielfalt nicht in der Kita erfolgen. Vielmehr müsse der Aufbau solcher Kompetenzen durch die Familie erreicht werden. Professor Kaiser-Kratzmann ergänzt: „Aus gesellschaftlicher Perspektive stellt eine Fokussierung auf Deutsch als Umgebungssprache in der Kita eine Missachtung unserer heutigen sprachlich und kulturell heterogenen Gesellschaft dar. Eine rein monolinguale Ausrichtung von Bildungsinstitutionen vernachlässigt den Nutzen von Mehrsprachigkeit systematisch. Eine Einbindung der Herkunftssprachen der Kinder in den Alltag der Kindertageseinrichtung ermöglicht demgegenüber eine Auseinandersetzung aller Kinder mit der sprachlichen Vielfalt unserer Gesellschaft, die für ihren Bildungsprozess notwendig ist.“
Durchgeführt wurde die Studie in 19 süddeutschen Kindertageseinrichtungen mit über 500 Kindern im Alter zwischen drei und sechs Jahren. Darüber hinaus waren die Eltern dieser Kinder sowie rund 300 pädagogischen Fachkräften involviert. Die teilnehmenden Einrichtungen wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt und erhielten laufend interne Weiterbildungen zum Umgang mit sprachlicher Vielfalt und Mehrsprachigkeit. Während eine Gruppe auf Grundlage eines eigens erstellten Weiterbildungsmanuals deutlich spezifischer und strukturierter dabei begleitet wurde, um Strategien zur Verankerung von sprachlicher Vielfalt in den Einrichtungen zu entwickeln, war den Kitas der zweiten Gruppe die Ausgestaltung der Weiterbildung zum Thema freigestellt. Veränderungen, die sich durch die Weiterbildungen ergaben, wurden auf der Kind-, Einrichtungs- und Elternebene erfasst. Die strukturierte Weiterbildung für Kitapersonal zeigte, so stellten die Forschenden fest, schnell und nachhaltig Effekte auf das linguistische und didaktische Wissen der Fachkräfte. Für die Umsetzung in die Praxis war jedoch ein längerer Prozess notwendig.
Innerhalb des Projekts fand keine aktive Förderung der Herkunftssprachen im Sinne eines Sprachunterrichts statt. Vielmehr zielte die Begleitung vorrangig auf die Wertschätzung der kindlichen Sprachen im Alltag, ein Zulassen kindlicher Äußerungen in anderen Sprachen sowie eine im Hinblick auf Mehrsprachigkeit fokussierte Zusammenarbeit mit den Eltern. In den untersuchten Einrichtungen beobachteten die Forschenden, dass sich eine gelebte Selbstverständlichkeit und ein ehrliches Interesse an den Herkunftssprachen auch in der Zusammenarbeit mit den Eltern widerspiegelt: „In manchen Kitas waren die mehrsprachigen Eltern oftmals verunsichert, in welcher Sprache sie mit ihren Kindern sprechen und insbesondere wie sie sich in Bezug auf ihre Herkunftssprache verhalten sollen. Inzwischen wissen die pädagogischen Fachkräfte genau, wie sie die mehrsprachigen Eltern beraten können: Sie stärken die Eltern darin, sich auf die Herkunftssprache zu fokussieren, wenn diese auch die Sprache der Eltern ist, die die Eltern am besten beherrschen. Damit kann den Eltern schnell ihre Unsicherheit genommen werden.“ Die befragten Kinder wiederum hätten sehr differenziert und zeigten überwiegend einen positiven Blick auf die eigene Mehrsprachigkeit. Kindern sollte es gelingen, ein positives Selbstbild in Bezug auf ihre eigene Mehrsprachigkeit zu entwickeln. Der Umgang mit den Sprachen der Kinder in der Kita könne diese Einstellungen beeinflussen.
Damit die Gestaltung einer mehrsprachigkeitsunterstützenden Lernumgebung in Kindertageseinrichtungen gelingen könne, benötigten pädagogische Fachkräfte spezifisches Wissen und vor allem eine positive Einstellung dazu. Obwohl die Bildungs- und Erziehungspläne der Länder allesamt dem Bildungsbereich Sprache und Sprachförderung einen großen Stellenwert einräumen würden und dabei auch den Einbezug der Mehrsprachigkeit fordern, würden Wissen und Kompetenzen zum Einbezug von Mehrsprachigkeit im Rahmen der Ausbildung nicht umfassend vermittelt. „Deshalb besteht ein großer Bedarf an einer Weiterbildung, die an theoretischen Vorkenntnissen und Kompetenzen aus Ausbildung und Praxis anknüpft, diese vertieft und erweitert und so die Erarbeitung einer individuellen Haltung ermöglicht, die Mehrsprachigkeit unterstützt“, betont Professor Kaiser-Kratzmann. Die Grundlagen dafür hat das IMKi-Projekt gelegt.
Der ausführliche Projektbericht ist als Open Access-Publikation erschienen unter steht unter http://www.waxmann.com/buch4608 zum Download zur Verfügung.
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