Wie das Gehirn Sprache neu erschafft: Interdisziplinäres Forschungsprojekt an der KU

Sprachliche Kreativität
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Was passiert im menschlichen Gehirn bei der kreativen Anwendung von Sprache? Das wollen zwei Wissenschaftler der KU mit Hilfe der kognitiven Linguistik und der neurokognitiven Psychologie entschlüsseln. Der Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Hoffmann und der Psychologe Prof. Dr. Marco Steinhauser wollen ein Modell entwickeln, das die Prozesse des Sprachverständnisses und der Sprachproduktion nicht nur rückblickend erklären, sondern auch aktiv vorhersagen kann. Das Forschungsprojekt, das von der Volkswagen-Stiftung gefördert wird, hat das Potenzial, unser Verständnis von menschlicher Kreativität wesentlich zu vertiefen.

Sprachliche Kreativität zeigt sich in vielen Facetten und ist ein Ausdruck der menschlichen Fähigkeit, mit Worten zu spielen, Neues zu schaffen und Ausdrucksformen zu variieren. Ein Beispiel sind Neuschöpfungen von Worten, indem bestehende Begriffe zu einem neuen zusammengefügt werden oder neue „Kofferwörter“ durch Verschmelzen von Wortbestandteilen entstehen. Aus „Britain“ und „Exit“ wird so der „Brexit“ – ein Neologismus, der den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs beschreibt. Oder der „Teuro“ als Ausdruck für Preissteigerungen nach der Einführung des Euros. Andere kreative Sprachformen sind etwa Alliterationen – die Wiederholung von Anfangsbuchstaben in aufeinanderfolgenden Wörtern – oder die Verwendung von Wörtern in neuem Sinnzusammenhang, indem Begriffe oder Phrasen aus ihrem ursprünglichen Kontext entlehnt und in einem völlig neuen Sinne benutzt werden. Doch wie entstehen solche Wortschöpfungen? Was passiert, wenn sprachliche Routinen situativ erweitert werden?

„Mittels sprachlicher Kreativität können wir neue kommunikative Möglichkeiten kreieren, die über alles hinausgehen, was wir bisher gehört haben, und Dinge sagen, die wir noch nie zuvor gesagt haben“, sagt Prof. Dr. Thomas Hoffmann. Der Inhaber des Lehrstuhls für Englische Sprachwissenschaft an der KU beschäftigt sich seit langem mit kognitiven Ansätzen zur Sprachvariation. Seine Forschung baut auf der Konstruktionsgrammatik auf. Diese Theorie geht davon aus, dass unsere Sprachfähigkeit auf einer Reihe von Konstruktionen basiert. Diese Paarungen aus Form und Bedeutung reichen von festgelegten Redewendungen bis hin zu freien Satzbausteinen. Menschen erlernen diese Konstruktionen nicht nur durch häufiges wiederholen, sondern auch durch kognitive Vorgänge wie Analogiebildung und das Erkennen von Mustern. „Bisherige Modelle erklären praktisch alle linguistischen Phänomene, wie Menschen Sprache lernen und kreativ anwenden – allerdings nur im Nachhinein“, sagt Hoffmann. Sein erklärtes Ziel: ein innovatives neurokognitives Sprachmodell zu entwickeln, das Vorhersagen ermöglicht, die anschließend in empirischen Studien untersucht werden können.

Thomas Hoffmann (li.) und Marco Steinhauser
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„Predictive Construction Grammar: Entwicklung eines neurokognitiven Modells der sprachlichen Kreativität“ – so ist das Forschungsprojekt überschrieben, das Hoffmann gemeinsam mit dem Psychologen Prof. Dr. Marco Steinhauser, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Psychologie der KU, durchführt. Über das KU-Forschungskolleg „Naturwissenschaften – Mensch und Natur“ fanden die beiden Wissenschaftler zusammen. Der Fokus des Kollegs liegt auf der interdisziplinären Grundlagenforschung in den naturwissenschaftlich-experimentell arbeitenden Wissenschaftsbereichen an der KU – die Zusammenarbeit von Psychologie und Sprachwissenschaft ist ein gutes Beispiel für die fachübergreifende Herangehensweise zur Bearbeitung von Forschungsfragen. Für das Projekt von Hoffmann und Steinhauser hat die Volkswagen-Stiftung 275.000 Euro bereitgestellt. Das Förderprogramm heißt „Aufbruch – Neue Forschungsräume für die Geistes‑ und Kulturwissenschaften“. Unterstützt würden Vorhaben, „die nicht nur neue Perspektiven auf bereits bekannte Forschungsgegenstände anbieten, sondern gänzlich neue Forschungsräume und -themen explorieren“, schreibt die Volkswagen-Stiftung.

Hoffmann und Steinhauser haben sich zum Ziel gesetzt, bestehende Modelle und Theorien aus der kognitiven Linguistik, der kognitiven Psychologie und den kognitiven Neurowissenschaften zu kombinieren – mit dem Fokus auf verbale Kreativität, also die Fähigkeit, Sprache auf innovative Weise zu nutzen. Durch Experimente wollen die beiden Wissenschaftler verstehen, welche kognitiven und neurologischen Prozesse uns dabei unterstützen, neue Ausdrücke zu erfinden oder vorhandene in neuem Kontext zu verwenden. „Kreativitätsforschung gibt es in der Psychologie seit Mitte des letzten Jahrhunderts“, sagt Steinhauser. „Neu ist es, diese über neurowissenschaftliche Theorien mit Sprache zu verknüpfen.“

Bei einer ersten empirischen Studie würden Testpersonen so genannte Memes als Reizmaterial vorgelegt, erklärt Steinhauser. Memes sind humorvolle, ironische oder kritische Bild- oder Textbotschaften, die sich in sozialen Medien und über das Internet verbreiten, wobei sie häufig modifiziert und in neuen Kontexten wiederverwendet werden, um Ereignisse oder Phänomene zu kommentieren. Mittels EEG-Messungen, bei denen elektrische Ströme in bestimmten Gehirnregionen erfasst werden, wolle man die Aktivitäten des Gehirns bei der Rezeption solcher sprachlicher Neuschöpfungen auswerten. Später würden die Probanden animiert, selbst sprachlich kreativ zu werden. Auch dabei nehmen die Forscher neurokognitive Prozesse in den Blick, etwa die Bewertung von Neuheit und Angemessenheit oder das Lernen aus Rückmeldungen, die kreative Nutzung von Sprache untermauern.

Wie kreativ jemand im Umgang mit Sprache ist, hat auch mit Intelligenz und dem Wortschatz zu tun, oder ob jemand regelmäßig professionell mit Sprache umgeht – beispielsweise Menschen, die in der Werbung arbeiten oder schriftstellerisch, journalistisch und künstlerisch tätig sind. Die Zusammenstellung der untersuchten Stichprobe sei darum wichtig, sagt Steinhauser. Da das Projekt sprachliche Kreativität am Beispiel der englischen Sprache untersucht, sind Online-Studien mit Muttersprachlern ebenso geplant wie die Einbindung von Studierenden, die Anglistik und Schulpsychologie in Kombination studieren. Hoffmann und Steinhauser betonen beide den explorativen Ansatz ihres Projekts. Daher wollen sie andere Wissenschaftler im Rahmen eines interdisziplinären Workshops an ihrem Projekt teilhaben lassen, etwa Kollegen aus Bereichen wie Literaturwissenschaft, Linguistik, Psychologie und Soziologie.

Mit ihrem Forschungsprojekt wollen Thomas Hoffmann und Marco Steinhauser die Grenzen ihrer jeweiligen Fachgebiete erweitern. „Sollte das erfolgreich sein, wird sich ein völlig neues Gebiet für die interdisziplinäre kognitiv-linguistische und neurokognitive Forschung eröffnen, das unser Verständnis von sprachlicher Kreativität erheblich erweitern wird.“