Zwischen Ernüchterung und Hoffnung: BUND-Vorsitzender-Weiger zog 20 Jahre nach Rio-Gipfel gemischte Bilanz

Vor 20 Jahren fand in Rio de Janeiro der erste so genannte Erdgipfel der Vereinten Nationen statt, bei dem erstmals Umweltfragen in einem globalen Kontext diskutiert wurden. Im Juni dieses Jahres fand ebenfalls in Rio eine Nachfolgeveranstaltung unter dem Titel „Rio 20+“ statt. Was hat sich zwischen diesen beiden Konferenzen in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit getan? Mit Prof. Dr. Hubert Weiger hatten die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, die Kreisgruppe Eichstätt des Bund Naturschutz und das Umweltreferat des Bistums Eichstätt zu diesem Thema einen intimen Kenner der Materie als Referenten gewinnen können. Denn als langjähriger Vorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (und zugleich Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz in Bayern) war Weiger Konferenzbeobachter der diesjährigen Folgekonferenz. Anlass für den Abendvortrag war eine bundesweite Konferenz an der KU für Nachwuchswissenschaftler, die sich 20 Jahre nach dem Gipfel von Rio dem Thema Nachhaltigkeit widmete. Mit dem Vortrag im frisch renovierten Großen Saal der Eichstätter Sparkasse wurde dieser zugleich, wie Vorstandvorsitzender Emmeran Hollweck als Hausherr schilderte, quasi eingeweiht.

In seinem mehr als einstündigen und frei gehaltenen Vortrag erläuterte Weiger den rund 100 Zuhörerinnen und Zuhörern zunächst die Ausgangslage des ersten Gipfels von Rio. „Rückblickend war diese Konferenz nicht – wie wir damals glaubten – der Anfang einer Entwicklung, sondern eigentlich deren Ende“, so Weiger. Man sei Ende der 80er-Jahre so weit wie nie gewesen, vor allem habe es ein allgemeines Bewusstsein dafür gegeben, dass nicht weiterhin 18 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent der Ressourcen verbrauchen könnten. Damals sei hierbei die EU eine treibende Kraft gewesen und Brasilien als Gastgeber habe sich dieser Diskussion gestellt. Doch der Wirtschaft sei es nach 1992 nicht besser gegangen, so dass die Priorität der drei Säulen aus ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit hin zur Ökonomie verschoben worden sei. Gleichzeitig werde der Begriff Nachhaltigkeit nahezu beliebig verwendet: „Ein bisschen weniger Straßenbau wird als nachhaltiger Straßenbau bezeichnet, ein bisschen weniger Schulden werden als nachhaltiges Haushalten charakterisiert“, so Weiger. Der Missbrauch des Begriffes dürfe jedoch nicht dazu führen, ihn aufzugeben, sondern einer weiteren Fehlinterpretation zu entziehen.

20 Jahre nach dem ersten Gipfel von Rio habe sich eines nicht verändert: Die Menschheit verhalte sich nach wie so als ob sie ein zweite Erde in petto hätte. Jedoch habe sich die weltpolitische Grundsituation erheblich verändert: „Ehemalige Schwellenländer haben sich von Empfängerländern in Geberländer gewandelt und treten mit einem entsprechenden Selbstbewusstsein auf, so dass neue Allianzen entstanden sind“, erklärte Weiger. Gleichzeitig sei die EU bei der diesjährigen Folgekonferenz durch die Wirtschaftskrise geschwächt gewesen, so dass Brasilien als Gastgeber der diesjährigen Konferenz einen Abschlusstext vorgelegt habe, der kaum über die Erklärung des ersten Gipfels hinausgegangen sei. Weiger räumte ein, dass zudem die großen Industriestaaten ein Glaubwürdigkeitsproblem hätten, um für mehr Umweltschutz zu werben oder diesen gar von anderen Ländern einzufordern – zumal Staaten wie die USA in Sachen Umweltschutz die Rolle einer „zentralen Blockiernation“ einnähmen. „Auch wir selbst sind nicht glaubwürdig, wenn wir in Sachen Klimaschutz vor allem deshalb scheinbare Fortschritte erzielt haben, weil die Schwerindustrie der ehemaligen DDR stillgelegt wurde.“

Hoffnung schöpft Weiger speziell für Deutschland aus der Energiewende, die weltweit aufmerksam begleitet werde. Bereits vor dem Beschluss des Bundestages für den Ausstieg aus der Atomenergie habe eine leise Energiewende von unten nach oben begonnen: „Über eine Millionen Menschen in Deutschland haben mittlerweile Geld investiert, um Stromproduzenten zu werden. Durch Netzwerke auch Handwerk, Kommunen und regionalen Banken ist Bayern zu einem Land geworden mit der höchsten Fotovoltaik-Dichte weltweit“, so Weiger. Mittlerweile würden 25 Prozent des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Energien gewonnen, die Prognose bis ins Jahr 2012 habe nur 21 Prozent betragen. Die Energiewende müsse eher noch beschleunigt werden, jedoch werde sie von denen bekämpft, die wirtschaftlich durch sie verlören.

Hoffnung mache Weiger auch, dass eine Debatte über die Rolle des Wachstums und den Begriff von Wohlstand geführt werde, zudem hätten sich völlig neue Bündnisse über den Naturschutz hinaus mit Kirchen und Sozialverbänden gebildet. „Nur dort, wo Sozial- und Umweltbelange gleichermaßen berücksichtigt werden, kann Nachhaltigkeit flächendeckend umgesetzt werden. Die soziale und die ökologische Frage sind eng miteinander vernetzt. Das wurde auch von den Naturschutzverbänden lange vernachlässigt“, räumte Weiger ein. Mit Blick auf folgende internationale Konferenzen betonte er, dass man international nur so viel bewirken könne, wie man national erreichen wolle. In diesem Zusammenhang plädierte Weiger für eine Renaissance der Agenda 21-Prozesse und deren stärkere Verankerung in der Kommunalpolitik, denn die Menschen seien bereit, sich für die Zukunft zu engagieren. Die öffentliche Hand selbst könne auch durch ihr Verhalten Einfluss nehmen. Eichstätts Oberbürgermeister Andreas Steppberger hatte hierzu in seinem Grußwort unter anderem auf entsprechende Projekte der Stadt verwiesen, wie etwa das Biomasseheizkraftwerk bzw. das geplante Blockheizkraftwerk in der neu entstehenden Spitalvorstadt. Abschließend betonte Weiger die Rolle von Hochschulen, die wieder stärker Orte des interdisziplinären Austausches nicht nur hinsichtlich der naturwissenschaftlichen Fragen des Umweltschutzes, sondern auch bezogen auf einen damit verbundenen geistig-kulturellen Prozess. Insofern beschäftigte sich die Tagung an der KU nicht mit der Vergangenheit, sondern mit der Zukunft.