Forschung in der Mittelalterlichen Geschichte

Klios Werkstatt. Narrativik und Strukturen erzählender Quellen am Beispiel von Herrschaftswechselerzählungen des 11. bis 13. Jahrhunderts

Habilitationsprojekt von Kilian Baur

Historiker gingen und gehen mit mittelalterlichen Geschichtsschreibern oft nicht zimperlich um, wenn sich die Erkenntnisse der Forschung nicht mit den Darstellungen von Chroniken und Annalen decken. Schnell ist die Rede davon, der Schreiber sei schlecht informiert gewesen oder habe bewusst die Tatsachen verdreht. Mittlerweile hat sich die Sichtweise durchgesetzt, dass das Ziel der Geschichtsschreiber keine möglichst realitätsnahe Berichterstattung war. Sie schufen kunstvolle Erzählungen, die bestimmte Bilder von der Vergangenheit oder ihrer Gegenwart vermitteln und gewissen literarischen Ansprüchen zu genügen hatten. Vor allem dem ersten Aspekt hat sich die Forschung bisher gewidmet, während der zweite untergeordnet im Rahmen der Untersuchung einzelner Motive oder der Imitatio von Texten behandelt wurde. Die Auswirkungen des literarischen Charakters auf die Struktur historiografischer Darstellungen hingegen fanden bisher kaum die Aufmerksamkeit der geschichtswissenschaftlichen Mediävistik.

Diese Lücke will das Projekt ‚Klios Werkstatt‘ schließen. Am Beispiel hochmittelalterlicher Erzählungen über Herrschaftswechsel analysiert es die inhaltlichen und erzählerischen Strukturen historiografischer Texte. Geleitet ist die Untersuchung von dem Grundgedanken, dass mittelalterliche Geschichtsschreiber wie Verfasser fiktionaler Literatur bei der Textkonstruktion oftmals über ähnliche Orientierungsrahmen verfügten. Diese leitet das Projekt mittels Quellenvergleichen ab mit dem Ziel, sie als Schemata darzustellen. Schemata dürften oftmals über die Nachahmung biblischer, religiöser oder volkstümlicher Erzählungen oder Darstellungen der klassischen Literatur Eingang in die Historiografie gefunden haben. So ist das Erkenntnisinteresse der Untersuchung auch auf die Herkunft und die Verbreitung der Schemata sowie ihrer motivischen Ausgestaltung gerichtet. Ziel ist die Erstellung einer Typologie der Herrschaftswechselerzählungen, die als quellenkundliches Hilfsmittel zur kritischen Einordnung historiografischer Herrschaftswechselerzählungen verwendet werden kann.