Das von der Gerda Henkel Stiftung ab Mai 2025 geförderte Forschungsvorhaben untersucht Aushandlungsprozesse um die „demokratische Verfasstheit“ des institutionellen Europas von den 1970er bis zu den 1990er Jahren. Ausgangspunkt ist das Spannungsverhältnis zwischen der Forderung nach einem demokratisch verfassten Europa und den unterschiedlichen nationalen Demokratieerfahrungen, Verfassungstraditionen und Souveränitätsansprüchen. Die Verflechtung europäischer und nationaler Demokratiegeschichten soll in drei Fallstudien exemplarisch aufgeschlüsselt werden. Die einzelnen Projekte behandeln (1.) das Verhältnis zwischen den Demokratievorstellungen des Grundgesetzes und den Dynamiken der Europäisierung am Beispiel der Europa-Urteile des Bundesverfassungsgerichts, (2.) die Bedeutung sicherheitspolitischer Debatten als Motor einer europäischen Konstitutionalisierung und (3.) die EG- bzw. EU-Beitrittsgesuche postdiktatorischer Staaten als Impulsgeber für eine intensivierte Auseinandersetzung über ein „demokratisches Europa“. Als heuristische Sonde und inhaltliche Klammer soll der Begriff der „demokratischen Verfasstheit“ erprobt werden, der auf das formalisierte Zusammenspiel von Ideen und Praktiken, Institutionen und Normen zielt, mit dem Demokratie als gedachte Ordnung ausgehandelt wird. Auf regelmäßigen Arbeitstreffen, jährlichen Workshops und einer Abschlusskonferenz werden die Fortschritte der Forschungen präsentiert.
Projektleitung: Prof. Dr. Vanessa Conze (Eichstätt-Ingolstadt), Prof. Dr. Silke Mende (Münster), Prof. Dr. Marcus M. Payk (Hamburg)
Bearbeiter/in: Tom Binner, Moritz Meier, Anika Zimmermann
„Tatort Geschichte“: Studierende recherchieren für BR-Podcast
Über drei Semester hinweg haben Studierende der KU gemeinsam mit Geschichtsprofessorin Vanessa Conze daran gearbeitet, das Schicksal der jüdischen Familie Geiershoefer aus Allersberg sichtbar zu machen. Das Ergebnis ihrer Arbeit wird nun vom Bayerischen Rundfunk veröffentlicht: Bayern 2 widmet anlässlich des Gedenktages der Reichspogromnacht dem Thema eine Folge der Podcastreihe „Tatort Geschichte“. Die Sendung wird am 8. November veröffentlicht.
Der 9. November ist der Schicksalstag der deutschen Geschichte: Während der Fall der Mauer 1989 für Glückmomente steht, markiert die Reichspogromnacht 1938 einen düsteren Moment Nazideutschlands auf dem Weg zur Shoah und die endgültige Entgrenzung des Antisemitismus.
Foto der gesamten Familie mit den Eltern Otto und Else, den Söhnen Herbert und Erik sowie dessen Frau Magda, 1936.
Einen Tag vor dem Gedenktag veröffentlicht der Hörfunksender Bayern 2 am 8. November eine neue Folge ihrer Podcast-Reihe „Tatort Geschichte“. Thema ist die Geschichte der jüdischen Familie Geiershoefer aus Allersberg. Sie war Inhaberin der Firma „Gilardi“, die Christbaumschmuck herstellte. Die Folge entstand in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der KU. Über drei Semester hatten Studierende des Faches Geschichte und der Journalistik gemeinsam mit Professorin Conze mehr als 5000 Seiten Quellenmaterial gesichtet und ausgewertet sowie umfangreich in Archiven recherchiert. So konnten sie die Verfolgung der Familie Geiershoefer, die „Arisierung“ ihres Besitzes 1938 und den weiteren Verlauf der Geschichte nach 1945 nachzeichnen. Neben dem Podcast entstand eine Monographie unter dem Titel „Der lange Schatten des Unrechts“, die im Februar 2025 erscheint. Zeitgleich mit dem Erscheinen wird eine Ausstellung Einblick in die Geschichte der Familie Geiershoefer sowie die Arbeit der Projektgruppe bieten.
Else Geiershoefer, Mutter von Erik Geiershoefer, die nach der Deportation im Ghetto Lodz starb.
Die Nationalsozialisten nahmen die Familie Geiershoefer während der Pogrome der „Reichskristallnacht“ im November 1938 fest. Unter Androhung körperlicher Gewalt und durch Erpressung zwangen die Täter die Geierhoefers, ihren Besitz weit unter Wert zu verkaufen bzw. zu verschenken. Teilen der Familie gelang die Flucht ins Exil. Else Geiershoefer, die ältere ehemalige Firmeninhaberin, wurde deportiert und im Ghetto Lodz ermordet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden diese Vorgänge im Rahmen eines Strafprozesses in Nürnberg aufgearbeitet.
Vanessa Conze betont, mit wie viel Engagement und Eigeninitiative die Studierenden im „Fall Geierhoefer“ ermittelten. Im Kern des über drei Semestern durchgeführten Projekts standen zuvor nicht erschlossene Quellen im Staatsarchiv Nürnberg. Diese umfassen die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsunterlagen und Prozessakten des Strafprozesses nach dem zweiten Weltkrieg. Darin spiegelt sich die „Arisierung“ des Familienbesitzes. Der Förderverein des Gilardi-Anwesens in Allersberg machte den Fachbereich Geschichte der KU auf diesen Quellenschatz aufmerksam.
Prof. Dr. Vanessa Conze und die Studierenden der Fakultät für Neuere und Neueste Geschichte, die am Projekt teilnahmen.
Die umfassende Auswertung und Aufarbeitung war auch im Sinne der Nachkommen der Familie Geiershoefer. So setzten sich die Studierenden mit individuellen historischen Schicksalen auseinander. Gerade in Zeiten eines sich massiv verstärkenden Antisemitismus und Rechtsradikalismus ist dies von besonderer Bedeutung für die historisch-politische Bildung. Die umfangreichen Recherchen gingen auch über den ursprünglichen Quellenbestand hinaus. So wurden unter anderem Restitutions- und „Wiedergutmachung“-Akten sowie Akten von Spruchkammerverfahren gesichtet. Dadurch kann die Projektgruppe um Professorin Conze mit dem „Fall Geiershoefer“ nun ein Verfolgungsgeschehen und seine Nachgeschichte aus verschiedenen Perspektiven und auf verschiedenen Ebenen beispielhaft präsentieren.
Auszeichnungen für Spitzenleistungen in Forschung, Studium, Lehre und Transfer beim Dies Academicus 2025
Jüdische Geschichte steht im Fokus des Lehrforschungsprojekts „Lange Schatten des Unrechts“ von Prof. Dr. Vanessa Conze (Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte), das mit dem Transferpreis der KU ausgezeichnet wurde. Das Projekt widmete sich über drei Semester der Geschichte der jüdischen Familie Geiershoefer aus Allersberg – von der Verfolgung in der NS-Zeit, über Flucht und Deportation bis hin zum jahrzehntelangen Kampf um Gerechtigkeit in der Nachkriegszeit. Die Studierenden werteten archivalische Quellen aus, arbeiteten Zeitzeugnisse auf und schufen daraus gleich mehrere Transferformate: einen Podcast in der Reihe „Tatort Geschichte“ des BR, eine wissenschaftliche Monografie – und eine Ausstellung, die aktuell im Foyer der Zentralbibliothek der KU gezeigt wird.