„Der kurze Wahlkampf wird eine Herausforderung“ - Stüwe zu Vertrauensfrage und Neuwahl
Der erste Schritt zur Neuwahl ist getan: Olaf Scholz hat wie beabsichtigt am Montagnachmittag im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt und die anschließende Abstimmung verloren. Welche Schritte nun folgen und was uns im Wahlkampf erwartet, erklärt Politikwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Stüwe im Interview.
Olaf Scholz bat nach der Abstimmung Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier um die Auflösung des Bundestags. Wie geht es nun weiter?
STÜWE: Der Bundespräsident kann frei entscheiden, ob er der Bitte des Bundeskanzler nachkommt oder nicht. Es ist einer der wenigen Bereiche, in denen der Bundespräsident ein Ermessen hat und unabhängig von anderen entscheiden kann.
Prof. Dr. Klaus Stüwe ist an der KU Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft
Steinmeier hat laut Gesetz 21 Tage Zeit, um zu entscheiden und gegebenenfalls eine Neuwahl innerhalb von 60 Tagen anzusetzen. Gleichzeitig ist der Termin für die Neuwahl – nämlich der 23. Februar – seit einigen Wochen überall zu lesen. Wie kann das sein?
STÜWE: Die Frage ist in der Tat berechtigt, denn die Planungen für den möglichen Wahltermin am 23. Februar greifen ja der Entscheidung des Bundespräsidenten vor. Erst musste der Kanzler die Vertrauensfrage verlieren und anschließend muss der Bundespräsident die Auflösung des Bundestags entscheiden. Erst dann kann es verfassungsrechtlich gesehen zur Bekanntgabe eines Wahltermins kommen. Aus praktischen Gründen hat man jetzt aber schon im Vorgriff einen möglichen Termin genannt, denn die Wahlen brauchen ziemlich viel Vorbereitung – vom Druck der Stimmzettel bis hin zur Schulung der Wahlhelfer und vielem mehr.
Wer regiert Deutschland bis zur Neuwahl?
STÜWE: Die bisherige Bundesregierung bleibt geschäftsführend bis zur Neuwahl eines Bundeskanzlers im Amt. Auch der Deutsche Bundestag bleibt voll funktionsfähig, bis ein neues Parlament gewählt ist. Klar ist aber auch, dass in dieser Übergangszeit keine richtungsändernden Entscheidungen mehr getroffen werden. Der rot-grünen Regierungskoalition fehlt dazu ja auch eine Mehrheit im Bundestag.
Der Wahlkampf wird aufgrund des vorgezogenen Termins kürzer als sonst ausfallen. Wie wird sich das auswirken?
STÜWE: Der kurze Wahlkampf wird auf jeden Fall zur Herausforderung für die politischen Parteien werden, denn man hat weniger Zeit als sonst, um Programme, Kandidaten und Kandidatinnen zu bestimmen und zu präsentieren. Wahlwerbung muss ganz schnell organisiert werden. Vor allem muss man sich bemühen, genügend Freiwillige zu finden, die ggf. auch bereit sind, kurzfristig Plakate zu kleben und in den Wintermonaten in den Fußgängerzonen oder an den Haustüren die Wählerschaft anzusprechen.
Welche Themen, welche Strategien erwarten Sie im Wahlkampf?
STÜWE: Bei den Themen erwarte ich, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland eine große Rolle spielen wird. Hier besteht in den Augen der meisten Bürgerinnen und Bürger, die sich Sorgen um ihre Zukunft machen, der größte Handlungsbedarf. Auch Sozialpolitik – Stichwort Bürgergeld – wird eine Rolle spielen sowie das Thema Zuwanderung. Der Krieg in der Ukraine und andere Konflikte in der Welt, sowie der neue US-Präsident Trump werden ebenfalls Gegenstand der politischen Auseinandersetzung sein. Klimapolitik könnte angesichts dieser Prioritäten diesmal nicht so weit vorne auf der Agenda der meisten Parteien stehen.