"Das Reiseerlebnis in den Mittelpunkt stellen"

Radurlaub
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Wie werden wir uns künftig fortbewegen? Die mit neuen Mobilitätskonzepten verbundenen Fragen thematisiert derzeit eine gemeinsame Gesprächsreihe von KU, THI und Donaukurier. Dieses Mal stehen die Chancen und Herausforderungen der Mobilität im Tourismus im Mittelpunkt. Darüber diskutieren Alexander Hart, Marketingleiter des Tourismusverbandes Franken e.V., und Professor Dr. Harald Pechlaner, Inhaber des Lehrstuhls für Tourismus und Leiter des Zentrums für Entrepreneurship an der KU.

Herr Pechlaner, Herr Hart, der Tourismus ist ohne Mobilität kaum vorstellbar. Wie stellen Sie sich die Zukunft der Mobilität im Jahr 2050 vor?
Harald Pechlaner: Die Mobilität der Zukunft wird eine nachhaltige Mobilität sein. Es wird stark um Themen wie Naturschutz, Klimafreundlichkeit und um die Lebensqualität für die Menschen in den Regionen gehen, nicht nur um eine gute Verteilung der Auslastung. Die Digitalisierung spielt dabei eine wichtige Rolle.

Alexander Hart: Dem stimme ich voll und ganz zu. Künftig wird es zudem eine Vielzahl an Mobilitätsangeboten geben. Dabei wird das Zusammenspiel der unterschiedlichen Angebote stark im Vordergrund stehen. Durch die Digitalisierung kann die Suche nach Angeboten und deren Zusammenspiel optimiert werden.

Wodurch unterscheidet sich die Mobilität im Tourismus denn von Alltags- oder Berufsmobilität?
Hart: Wir unterscheiden zwischen Freizeit und Beruf. Beim Urlaub oder in der Freizeit ist der Weg oftmals auch das Ziel. Die Menschen machen hier eine andere Zeiterfahrung. Beim Beruf hingegen muss das Fortkommen abgestimmt sein, man muss schnell von einem Ort an einen anderen kommen können.

Pechlaner: Die Lebensqualität der Einheimischen hat für mich Vorrang vor der Lebensqualität der Gäste. Nur dann wird das touristische Erlebnis ein Erfolg. Heißt das aber auch: Alltagsmobilität vor touristischer Mobilität? Das würde ich nicht so sehen. Wir sollten versuchen, Brücken zu schlagen. Alltags- und Berufsmobilität und die touristische Mobilität sollten zusammengedacht werden. Das bedeutet aber, dass man den Öffentlichen Personennahverkehr wesentlich stärker mit privaten, wirtschaftlichen Modellen kombinieren muss.

Braucht es also eine stärkere Integration der Mobilitätsangebote?
Pechlaner: Genau. Praktisch geht es um die Integration von Alltagsmobilität und touristischer Mobilität. Aber auch um die Integration unterschiedlicher Verkehrsverbünde, zum Beispiel der Augsburger und Nürnberger Verbundsysteme mit dem Verkehrsverbund der Region Ingolstadt. Wir haben relativ starke Strukturgrenzen des ländlichen und städtischen Raumes zwischen den verschiedenen Regionen. Da tut man sich nicht leicht.

Erleben Sie dies auch in der Tourismusregion Franken?
Hart: Der Verkehrsverbund Großraum Nürnberg (VGN) hat tolle Angebote. Neben den regulären Fahrplänen gibt es ein sehr umfangreiches Freizeitliniennetz. Hier wurde früh erkannt, wie man Bus- und Bahnlinien touristisch vermarkten kann. Wir arbeiten seit vielen Jahren eng zusammen, auch mit der Bayerischen Eisenbahngesellschaft, um die Informationen dem Gast nahezubringen. Bei Radwegen wie dem „Tauber Altmühl Radweg“ stellen wir fest, dass viele die Strecke auch nutzen, um zur Arbeit zu kommen. Es gibt also gute, gelungene Ansätze.

Wo liegen dann die Herausforderungen?
Pechlaner: Es muss uns gelingen, Mobilität interdisziplinär und aus der Sicht des Kunden zu sehen. In Franken passen die Angebote gut zusammen. Wenn wir aber an den Harz denken, da ist die Situation wesentlich schwieriger. Drei Bundesländer und sechs Landkreise grenzen hier aneinander. Eine Integration der Angebote ist dadurch viel schwieriger. Hier beginnt das Problem. Einerseits haben wir also administrative und politische Grenzen, andererseits aber die Notwendigkeit, dem Gast einen integrierten Erlebnisraum zu bieten.

Hart: In Franken ist das beispielsweise mit dem Projekt „MainRadweg“ gelungen. Der Radweg verläuft über knapp 600 Kilometer vom Fichtelgebirge bis zur Mündung des Mains in Hessen. Die Kooperation mit dem Hessischen Tourismus ist eng, wir arbeiten länderübergreifend zusammen. Probleme entstehen aber, das sehe ich auch so, wenn es um den Öffentlichen Personennahverkehr geht. Wir werden immer wieder von den Reisenden gefragt: Wenn ich ein Hessenticket habe, wie komme ich dann in Bayern weiter und wie kann ich dies buchen? Die Kombinationen mit verschiedensten Variationen sind für die Reisenden oftmals zu undurchsichtig.

Wie kann eine Lösung aussehen?
Pechlaner: Für mich wäre es wichtig, dass eine einheitliche Wahrnehmung der verschiedenen Mobilitätsträger über entsprechende Online-Plattformen möglich wird. Die Digitalisierung ermöglicht es, Mobilitätsträger wie Bahn, Bus oder E-Bike so zu kombinieren, dass sie als ein integriertes Angebot erfahren werden. Dadurch bekommt der Kunde eine neue Sicherheit im Verwenden mehrerer Mobilitätsangebote. Mit anderen Worten: Es geht darum, auch im Alltagsverkehr ein gutes Reiseerlebnis stärker in den Mittelpunkt zu stellen.

Im Berufsverkehr ist das hohe Verkehrsaufkommen oft ein Problem. Auch touristische Mobilität kann negative Effekte haben. Sehen sie darin eine Gefahr für die Region?
Pechlaner: Nein, ich sehe keine Tendenzen zu einem „Over-Tourism“ im Altmühltal oder in ganz Franken. Natürlich gibt es Hotspots, also Orte, die Menschen einfach sehen wollen. „Over-Tourism“ ist aber erst dann erreicht, wenn ein diffuses Gefühl der Unzufriedenheit bei der einheimischen Bevölkerung entsteht. Daher wird es wichtiger, die Gestaltung einer nachhaltigen Mobilität mit der Lenkung von Besuchern zu verbinden. Mobilität wird zu einem Erlebnis. Die Besucherlenkung ermöglicht es, dieses Erlebnis auch zukünftig möglichst optimal anbieten zu können.

Nutzen sie solche Ansätze bereits?
Hart: Ja, wir greifen solche Herausforderungen aktiv auf, damit der Gast nicht vor überfüllten Kassenhäuschen ansteht. Über Online-Kanäle präsentieren wir unseren Gästen daher entsprechend Angebote. Aktuell haben wir eine Instagram-Kampagne zu „Hidden Places“, um zum Beispiel auf Orte in Bamberg oder Bayreuth hinzuweisen, die weniger bekannt, aber bei weitem nicht weniger interessant sind. Wir benötigen für eine sinnvolle Besucherlenkung aber auch neue Technologien, etwa um Parkplatzsysteme integrieren zu können. Hier kommen wir zu dem Thema „Open Data“. Welche Daten können wir nutzen, was dürfen wir integrieren?

Ist Besucherlenkung also eine Frage der Digitalisierung?
Pechlaner: Ja, wir haben heute eine viel bessere Verfügbarkeit der Daten. Die Tourismusverbände haben dadurch ganz andere Möglichkeiten, um in die Besucherströme einzugreifen. Dadurch können Kapazitäten vor Ort abgeglichen werden, zum Beispiel zwischen verfügbaren Parkplätzen und Wanderwegen oder auch Strandkapazitäten, wie an der Ostsee. Besucherlenkung wird dadurch zu einem strategischen Instrument, nicht nur, um Überkapazitäten kurzfristig zu managen, sondern um den richtigen Zielgruppen die richtigen Erlebnisse zu bieten.

Nimmt denn das Interesse an einem Urlaub in der eigenen Region zu? Müssen die Mobilitätsangebote hier angepasst werden?
Hart: Im Deutschlandtourismus erfahren wir seit vielen Jahren einen regelrechten Boom. Das ist auch in Franken so. In den vergangenen Jahren hatten wir enorme Zuwächse. Der Trend ist ungebrochen. Auch jetzt während der Corona-Situation. Die Menschen erkennen mehr und mehr, was sie vor der Haustür haben. Wir unterbreiten hier interessante Vorschläge, die auch zu einem naturverträglichen Reisen anregen.

Pechlaner: Ja, wir erleben einen Trend zum resilienten Tourismus. Viele Menschen reflektieren ihr eigenes Reiseverhalten stärker. Die Menschen werden sensibel für nachhaltige Formen von Mobilität und nehmen entsprechende Angebote gerne an. Vieles kommt hier zusammen: technologische Entwicklungen, die Digitalisierung, aber eben auch der Sinn für nachhaltige Angebote. Der Tourismus ist daher ein gutes Schaufenster für die Frage, ob Mobilität ein echtes Erlebnis sein kann oder nicht. Auch für die öffentliche Verkehrswirtschaft kann der Tourismus ein Gradmesser sein für eine nachhaltige und erlebnisorientierte Mobilität. Genau hier müssen wir Exzellenz erreichen.

Das Gespräch führte Thomas Metten.

 

Am 20. November findet das „Zukunftsforum Mobilität“ des Wissenstransferprojekts „Mensch in Bewegung“ statt. Das Programm findet online statt und richtet sich an Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sowie an alle Bürger. Ziel ist es, in Fachvorträgen und Science Slams gemeinsam über die Mobilität der Zukunft zu diskutieren. Informationen zu Programm und Anmeldung finden Sie unter: mensch-in-bewegung.info/event/zkm/

Am 17. und 25. November finden außerdem die Eichstätter Tourismusgespräche statt. Diskutiert werden u.a. die Themen „Zukunft des Tourismus in Bayern“ oder „Besucherlenkung im Tourismus“. Präsentiert wird die zweitägige Veranstaltung durch den Lehrstuhl Tourismus der KU und den Naturpark Altmühltal. Informationen zum Programm und Anmeldung finde Sie unter: ku.de/tourismus