„Eine aktivere Rolle der Krone könnte ihre Berechtigung begründen“

Queen
© Colourbox.de

Als Queen Elisabeth II. ihre Regentschaft begann, war noch Winston Churchill britischer Premierminister. Kaum jemand kann sich noch an eine Großbritannien erinnern, in dem es zuletzt hieß „God save the King“. Am kommenden Montag findet nun ein Staatsakt zur Beisetzung der Monarchin statt. Ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Prof. Dr. Stefan Schieren über die Rolle von König und Königin in der konstitutionellen Monarchie und die Perspektiven für ihren Nachfolger.

 

Herr Professor Schieren, die konstitutionelle Monarchie Großbritanniens beschränkt die Macht von Königin bzw. König auf einen engen Rahmen. Welche Rolle hat Queen Elisabeth II dennoch für den Staat und gerade die Demokratie in Großbritannien gespielt?

In der Tat hat die Krone in der britischen Demokratie eine hauptsächlich formale und zeremonielle Rolle. Doch sollte man nicht verkennen, dass in einem Land, in dem es keine kodifizierte Verfassung gibt, Zeremonien unverzichtbar sind. Mit ihnen versichert sich das politische System ihres verfassungsrechtlichen Selbststands. Das ließ sich gut an der Proklamation Charles III. erkennen. Elisabeth II. hat diese Rolle tadellos ausgeübt. Außerdem berichten die zahlreichen Premierminister unter ihrer Regentschaft, dass ihnen die Einschätzungen der sehr erfahrenen Königin wertvoll gewesen seien.
 

Die Trauer um die Queen mischt sich mit Kritik am Erbe des Kolonialismus, teils werde die Königin auch als Symbol der Unterdrückung angesehen, heißt es. Gleichzeitig habe sie auch zu einem positiven Wandel in den früheren Kolonien beigetragen. Teilen Sie die Kritik an der Königin?

Der Historiker Robert Saunders hat, so meine ich, ganz treffend formuliert: „Man kann nur Nostalgie für das Empire empfinden, wenn man den größten Teil seiner Geschichte vergisst.“ Doch ganz unabhängig davon, wie der britische Imperialismus im Einzelnen beurteilt wird: Der Tod der Königin hat das Commonwealth seines einigenden Bandes beraubt. Ich rechne damit, dass die zentrifugalen Kräfte die Überhand gewinnen werden. Die „Caribbean Tour“ von William Kate in diesem Frühjahr ist auf harsche Kritik im Commonwealth und im Vereinigten Königreich gestoßen, weil die in der Inszenierung und Symbolik eher an 1920 oder 1960 erinnerte und nicht den Eindruck erweckte, engen Freunden einen Besuch abzustatten.
 

Die britische Monarchie als Institution stand immer wieder in der Kritik. Passt das Nebeneinander von Parlament und König noch zu einer modernen Demokratie?

Ein konstitutioneller Monarch lässt sich ohne Weiteres mit einem demokratischen und parlamentarischen System vereinbaren. Das Vereinigte Königreich tritt den Beweis seit mehr als einhundert Jahren an, spätestens seit der Wahlrechtsreform 1867, vielleicht seit dem Reform Act 1832. Sechs der 27 EU-Mitgliedstaaten, die Kleinstaaten nicht mitgerechnet, sind Erbmonarchien. Dabei kommt es sehr auf die jeweiligen Umstände an, ob die Monarchie eine Belastung oder ein Stabilitätsfaktor ist.
 

Mit ihrem Sohn, dem neuen König Charles III., folgt einerseits eine seit langem bekannte Persönlichkeit, die jedoch in der öffentlichen Wahrnehmung bislang „nur“ als ewiger Thronfolger galt. Welche Amtsführung wird von König Charles zu erwarten sein?

Die verstorbene Königin hatte eine enorm hohe Popularität, ebenso Prinz William oder seine Frau Kate. Vermutlich wird die eher mäßige Popularität Charles III. in den kommenden Tagen deutlich steigen. Doch die Zahl der Republikaner im Land nimmt seit Jahren kontinuierlich zu. Sie scheuen sich auch nicht, sich zu Wort zu melden, auch bei den Trauerfeierlichkeiten. Der neue König wird sich vor diesem Hintergrund meiner Erwartung nach uneingeschränkt in seine konstitutionelle Rolle fügen. Von der ist allerdings nicht ganz klar, inwieweit sie sich angesichts des Schauspiels geändert haben könnte, das Regierung, Parlament und Parteien dem Publikum seit dem Brexit-Referendum 2016 geboten haben. So lässt ein Satz aufhorchen, den Charles III. in seiner ersten Ansprache am 9.September formuliert hat: „As the Queen herself did with such devotion, I too now solemnly pledge myself, throughout the remaining time God grants me, to uphold the constitutional principles at the heart of our nation.“ Auch, wenn Charles betont, er trete in die Fußstapfen seiner Mutter, weist die Verwendung des Verbs „uphold“ darauf hin, dass er eine aktivere Rolle einnehmen könnte.
Das wäre auch nicht unbegründet. Vor drei Jahren rügte der Supreme Court die Regierung dafür, die Königin falsch beraten zu haben, als sie ihr empfahl, das Parlament in eine lange Sitzungspause zu schicken, obwohl ein „hard Brexit“ drohte. Der Supreme Court hätte sich darauf beschränken können, diese „prorogation“ für „unlawful“ zu erklären. Dass er diese Rüge ausspricht, kann möglicherweise so verstanden werden, dass die Krone bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, die sie innerhalb ihrer Prärogative auf Rat der Regierung im Normallfall umsetzen muss, künftig einen begrenzten Beurteilungsspielraum in Anspruch nehmen sollte. Das gilt umso mehr, als das Parlament am 24. März 2022 den Dissolution and Calling of Parliament Act 2022 verabschiedet hat, der in seiner Sec. 3 die richterliche Überprüfung zum Beispiel der Entscheidung über die „prorogation“ ausdrücklich ausschließt.

Kann oder sollte der König nun in die Rolle eines „Guardian of the Constitution“ schlüpfen?

Selbstverständlich wäre das auf absolute Ausnahmesituationen beschränkt, wenn „pathological circumstances“ vorliegen (Vernon Bogdanor). Vielleicht wird der neue König behutsam austesten, ob er einen eng bemessenen Beurteilungsspielraum besitzt. Für das Ergebnis wird es entscheidend darauf ankommen, ob seine Interventionen von der Öffentlichkeit als unberechtigte Eingriffe eines nicht gewählten Monarchen in den demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess bewertet wird, oder als heilsame Korrektur eines außer Rand und Band geratenen politischen Betriebs, der jeden Kontakt zum einfachen Bürger verloren hat. Mit anderen Worten: Im Gegensatz zur Vergangenheit könnte eine etwas aktivere Rolle der Krone nicht deren Berechtigung untergraben, sondern begründen. Keine leichte Aufgabe für Charles III.

Schieren

Zur Person: Der Historiker und Politologe Prof. Dr. Stefan Schieren ist an der Fakultät für Soziale Arbeit der KU tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind Staat und Politik in Großbritannien sowie europäische und nationale Sozialpolitik und Kommunalpolitik. Er gehört dem Vorstand der Prinz-Albert-Gesellschaft e.V. an, die zum Ziel hat, Forschungen über wissenschaftliche, kulturelle und politische Aspekte der deutsch-britischen Beziehungen zu fördern. Darüber hinaus ist Schieren Mitglied im Arbeitskreis Großbritannien-Forschung.