Migrationsdebatte: „Eine Verrohung des politischen Diskurses

Plenarsaal
© Caroline Ommer

Das Zentrum Flucht und Migration an der KU wurde vor beinahe zehn Jahren eingerichtet. Durch seine Forschungen im Kontext von Flucht- und Migrationsprozessen möchte die Einrichtung nachhaltig an der Gestaltung einer pluralen und demokratischen Gesellschaft mitwirken und die zuweilen emotional aufgeladenen und einseitigen Debatten kritisch begleiten. Am 2. Juli stellt das Zentrum der Öffentlichkeit seine Projekte vor – ein guter Anlass, um bei der Leiterin des Zentrums, Prof. Dr. Karin Scherschel, nachzufragen.

Beim Thema Flucht und Migration wurde in den vergangenen Monaten fast ausschließlich über die weitere Zuwanderung von Schutzsuchenden und eine Begrenzung der Aufnahme diskutiert – sowohl medial als auch politisch. Deckt sich dieser Eindruck mit Ihren wissenschaftlichen Beobachtungen? 

Karin Scherschel: In der Tat: Im Fokus der Debatten stand und steht die Forderung nach Abwehr und Begrenzung der Asylmigration. Der Rat für Migration, ein bundesweiter Zusammenschluss von namhaften Migrationsforschenden, hat mit einer Reihe an wissenschaftlichen Forschungsinstituten, zu denen auch das Zentrum Flucht und Migration der KU zählt, eine Stellungnahme verfasst und eindringlich davor gewarnt, das Thema Migration für die Mobilisierung von Wählerstimmen zu instrumentalisieren. 

Woran liegt denn diese Engführung der politischen Debatte?

Scherschel: Wie wir aktuell in den USA beobachten können – und nicht nur dort – ist ein zentraler Aspekt dieser Politik ein aggressiver Nationalismus, der auf Abwehr und ethnische Homogenität setzt. Auch im deutschen Wahlkampf lag der Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit auf Migration als Problem. Eine solche Debatte stigmatisiert, führt zu einem nachweisbaren Anstieg rassistischer Gewalttaten und trägt zu einer Verrohung des politischen Diskurses bei. Man bietet keine politischen Lösungen an, wenn man Menschen, entgegen geltendem europäischem Recht, an den Grenzen zurückweisen will. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hat erst vor kurzem für den Bereich der Arbeitsmarktpolitik unmissverständlich formuliert, dass Populismus den Arbeitskräftemangel der deutschen Wirtschaft nicht löst. Hierfür brauche es vielmehr eine auf Zahlen und Fakten basierende Arbeitsmarktpolitik. Dies macht eindeutig klar: Es braucht mehr Zuwanderung. 

Was sind die Probleme der medialen Berichterstattung? 

Scherschel: Unzählige Medienanalysen weisen seit Jahren daraufhin, dass Migration zum Problem gemacht wird, indem beispielsweise ganz unterschiedlich über Gewalttaten berichtet wird. Das heißt nicht, dass es keine realen gesellschaftspolitischen Probleme im politischen Handlungsfeld der Migration gibt. Problemdiagnosen und Gestaltungserfordernisse gibt es aber auch in der Gesundheitspolitik, der Wohnungspolitik oder der Umweltpolitik. Wissenschaftlich können wir analysieren, wie gesellschaftspolitisch bedeutsame Themen zu Bedrohungen gemacht werden und politisch mit simplen Lösungen politische Gestaltungsmacht demonstriert wird. Benedict Bazyar Gudrich und ich sind im Rahmen eines BMBF-Forschungsprojektes zur medialen Berichterstattung über Islam Journalistinnen und Journalisten einflussreicher Printmedien begegnet, die sich tatsächlich unter Druck sehen, rechte Narrative zu bedienen. Eine Berichterstattung, die Menschen mit Migrationsgeschichte pauschal als bedrohlich beschreibt, wird zur Triebfeder irrationaler Ängste, die keine Entsprechung in der faktischen Datenlage zu Gewalt haben.       

Das Zentrum Flucht und Migration der KU gibt es nun seit nahezu zehn Jahren. Das Zentrum will den Themenkomplex breiter und wissenschaftlich fundiert betrachten. Welche thematischen Schwerpunkte haben Sie dabei vor allem gesetzt?

Scherschel: Die Wissenschaftlerinnen am ZFM haben in den vergangenen Jahren zu verschiedenen Themen geforscht und veröffentlicht. Darunter fallen die Auseinandersetzung mit Kirchenasyl. Lea Gelardi analysiert den Prozess des Gewährens von Kirchenasyl. Das Kirchenasyl ist kein juristisches Verfahren, wie das Asylverfahren. Für die Soziologie handelt es sich meiner Einschätzung nach um eine Pionierstudie, die methodisch versiert danach fragt, wie eigentlich Kirchenasyl funktioniert. In einem von der Stiftung Mercator finanzierten Verbundprojekt haben Marina Mayer und ich die Situation von Menschen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus untersucht. Im Mittelpunkt stand die Analyse der Zugänge geduldeter Personen zu Bildung und Arbeitsmarkt. In sechs Kommunen – darunter auch zwei in Bayern – wurden dazu Interviews mit Verantwortlichen aus der Migrations- und Sozialpolitik sowie mit Menschen in Duldung geführt. Das Thema zivilgesellschaftlicher Erinnerung sowie eine kritische Auseinandersetzung mit medialen Diskursen über den Islam beschäftigen uns ebenfalls. Diese Forschungen setzen an unterschiedlichen gesellschaftlichen Ausschnitten einer Einwanderungsgesellschaft an, in deren Zentrum Fragen von Teilhabe und Ausgrenzung verhandelt werden. 

Das ZFM will sich mit seiner Expertise in den Diskurs einbringen. Gelingt das?

Scherschel: Durchaus. Um mal ein aktuelles Beispiel zu nennen: Meine Kolleginnen Dr. Angelika Laumer und Elisabeth Lang waren gemeinsam mit mir erst in dieser Woche auf einer Tagung zu Erinnerung an der Hochschule München, auf der wir unser vom Bundesforschungsministerium finanziertes Projekt zur Erinnerung von Antisemitismus und Rassismus vorgestellt haben. Wir haben erste Befunde dazu präsentiert, mit welchen Konflikten zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich beispielsweise in einer Kommune für das Legen von Stolpersteinen einsetzen, mit Konflikten konfrontiert sind. Oder wie sich der politische Wechsel zu einer von der AfD regierten Kommune auf die städtische Erinnerungsarbeit auswirkt. 

Das ist ein Beispiel aus dem wissenschaftlichen Diskurs. Inwieweit sind Sie mit gesellschaftlichen Akteuren im Austausch?

Scherschel: Ich will als Beispiel das schon erwähnte Ausbildungs- und Arbeitsmarktprojekt nennen: Auf Basis unserer Befunde haben wir ganz praktische Handlungsorientierungen entwickelt und veröffentlicht, die sich an Kommunen richten und Vorschläge unterbereiten, wie kommunalpolitische Akteure den Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt gestalten können. Sei es bezogen auf die Frage nach Vernetzung mit Unternehmen oder den Aspekt des Zugangs zu Sprachangeboten und niedrigschwelligen Integrationskursen. Im vergangenen Jahr hatte ich die Gelegenheit, im deutschen Bundestag als Sachverständige zur Debatte um die sogenannten Push- und Pullfaktoren zu sprechen. Und für den Herbst hat mich das Landeskomitee der Katholiken in Bayern zu seiner Vollversammlung eingeladen, um einen Beitrag zur Flüchtlingspolitik zu geben. Die Kirchen sind ein bedeutsamer Faktor in der Migrationspolitik und haben viele kritische Impulse geliefert mit Blick auf die Art und Weise, wie Migration als Wahlkampfthema behandelt wurde. Auch in Eichstätt setzen wir mit Vorträgen wichtige Zeichen – zuletzt bei der Internationalen Woche gegen Rassismus.          

Am 2. Juli lädt das Zentrum zu einem Symposium ein. Sie richten sich damit ausdrücklich auch an die breite Öffentlichkeit. Mit welcher Intention? 

Scherschel: Wir wollen die ganze Bandbreite unserer Forschung der breiten Öffentlichkeit vorstellen. Nicht nur Angehörige der Universität sind eingeladen, sondern insbesondere interessierte Bürgerinnen und Bürger. Sie erwartet ein spannendes Programm. Es gibt Vorträge zu Kirchenasyl und Erinnerung. Es gibt einen Gallerywalk, der unsere Forschung in Form von Postern vorstellt. Meine Kollegin Prof. Liane Rothenberger aus dem Fachbereich Journalistik wird einen Virtual-Reality Room Flucht präsentieren. Ziel ist es, den Dialog zwischen Wissenschaft und Stadtgesellschaft zu fördern und einen Raum für Austausch und Begegnung zu schaffen.

(Fragen von Christian Klenk)

Die Veranstaltung des ZFM „Perspektiven der Flucht- und Migrationsforschung“ findet am 2. Juli ab 15 Uhr im Foyer des Gebäudes Marktplatz 7 statt. Mehr Informationen finden Sie hier.