„Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen“: Kritischer Austausch zu Nachhaltigkeit an KU

Für Zukunftsfragen sensibilisieren und über Generationen hinweg zum Diskurs einladen – dieses Ziel hat ein virtueller Aktionstag an der KU verfolgt, bei dem sich Studierende unter anderem mit dem Ehrenpräsidenten des Club of Rome, Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, per Videochat unmittelbar austauschen konnten. Die Veranstaltung fand statt im Rahmen der Reihe „Aufklärung 2.0: Wir sind dran“, die von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) heuer in Kooperation mit fünf ausgewählten Universitäten und Hochschulen durchgeführt wird – darunter auch die KU.

Entstanden ist die Reihe unter Federführung von Prof. Dr. Ulrich Bartosch (neuer Präsident der Universität Passau), der noch als Professor der KU und Beiratsvorsitzender der VDW die Initiative dafür ergriff. „Der Grundgedanke der Aktionstage besteht darin, Universitäten und Hochschulen als Foren kritischen Austausches und nicht nur als reine Ausbildungsstätten zu verstehen. Dabei wollen wir renommierte Wissenschaftler mit der nachfolgenden Generation in den Dialog bringen“, so Bartosch. Neben von Weizsäcker gehörte unter anderem auch der Klimaexperte Hartmut Graßl zu den Gesprächspartnern in mehreren Workshops, die über Wochen von den Studierenden vorbereitet wurden. Auch KU-Präsidentin Gien unterstrich in einer Grußbotschaft das Selbstverständnis der Katholischen Universität als offener Raum für Diskurs, der Fragen von Nachhaltigkeit und Persönlichkeit miteinander verbinden möchte.

In seiner Rede zum Abschluss des Aktionstages schilderte von Weizsäcker, dass die Ideen der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert in einer „leeren Welt“ mit wenigen Menschen und wenig wirtschaftlicher Aktivität entstanden seien. „Die aus dieser Zeit stammenden Denkgewohnheiten sind meistens dafür ungeeignet, die aktuellen Probleme zu lösen. Wir brauchen eine neue Aufklärung“, forderte von Weizsäcker. Anhand verschiedener Beispiele illustrierte er die historische Entwicklung im Umgang mit Ressourcen: Während etwa in der Antike noch etwa 95 Prozent der Wirbeltiere wildlebend gewesen seien, gebe es heute nur noch drei Prozent an Wildtieren, jedoch 67 Prozent Schlachtvieh – mit entsprechenden Folgen für die Umwelt. Selbst das Weltwirtschaftsforum habe heuer erstmals Fragen von Umwelt und Klima an die oberste Stelle globaler Risiken gesetzt. „Wenn das Grönlandeis oder das Eis der Westantarktis ins Meer rutschen, wird eine Fluchtbewegung einsetzen, die zehnmal größer ist als die von 2015. So leben etwa 800 Millionen Asiaten direkt am Meer“, so Weizsäcker. Zwar sei die globale Erwärmung als gefährliche „Krankheit“ gut diagnostiziert, jedoch würden Therapien vorgeschlagen, welche den Zustand noch verschlimmerten – etwa eine Finanzierung der Energiewende durch mehr Wirtschaftswachstum. Europa nehme zwar im internationalen Vergleich die Klimathematik sehr ernst. Doch Klimapolitik, die sich auf Industrieländer beschränkt, sei sinnlos, wenn 90 Prozent der geplanten Kohlekraftwerke in Entwicklungsländern entstehen sollen. Gerade in diesen Ländern jedoch könne etwa durch Photovoltaik elektrische Energie viel günstiger produziert werden.

Als politische Option schlug von Weizsäcker vor, allen Ländern pro Kopf gleiche Emissionsrechte einzuräumen. Da die Industrieländer ihre Lizenzen schon weitgehend aufgebraucht hätten, müssten sie in den Entwicklungsländern zum „Lizenzen-Shopping“ gehen. So würde etwa Indien keine neuen Kohlekraftwerke mehr bauen, sondern auf erneuerbare Energien setzen und wertvolle CO2-Lizenzen nach Europa verkaufen. Derzeit seien klimafreundliche Technologien nicht lukrativ, weil Ressourcen und Emissionen zu wenig kosteten: „Wir müssen politisch dafür sorgen, dass die Preise halbwegs die ökologische Wahrheit sagen“, so von Weizsäcker. Einhergehen müsse eine Energiewende auch mit einer stärkeren Ressourceneffizienz, um die gewonnene Energie besser auszuschöpfen.

Als guten philosophischen Ansatzpunkt nannte er unter anderem die Enzyklika „Laudato Si‘“ von Papst Franziskus, die im Kern eine Wirtschaft verurteile, die auf Geiz, Eile und gnadenlosen Wettbewerb fuße und das „gemeinsame Haus“ zerstöre. In diesem Zusammenhang kritisierte von Weizsäcker den Missbrauch der Ideen großer Denke, wie Adam Smith, David Ricardo oder Charles Darwin. Letzterer werde stets bemüht, um radikalen Wettbewerb zu rechtfertigen. Dabei habe Darwin festgestellt, dass sich die Tierwelt auf den Galapagos-Inseln gerade erst durch die Abwesenheit von Konkurrenten so vielfältig habe entwickeln können. Vor diesem Hintergrund forderte von Weizsäcker eine Zivilisation der Balance anstatt arroganter Rechthaberei sowie eine Balance zwischen Innovation und Bewährtem. Nicht jede Innovation sei per se besser – so habe sich gerade die Digitalisierung mittlerweile zu einem großen CO-Prozenten entwickelt.

In der anschließenden Diskussion mit von Weizsäcker wurde unter anderem thematisiert, dass Ländern nicht nur der CO2-Ausstoß auf Seite der Produktion in Rechnung gestellt werden dürfe, um so Konsum und den damit verbunden Import zu berücksichtigen. Es gelte, den gesamten Prozess – etwa bei einer CO2-Steuer – in den Blick zu nehmen. Mit Bezug auf die aktuelle Situation konstatierte von Weizsäcker bereits ein Umdenken hin zu mehr Balance unter anderem im Hinblick auf das Reiseverhalten: „Bis vor Corona war die Tourismuswirtschaft dem Dogma verhaftet, dass die Erholung mit der Anzahl der zurückgelegten Kilometer steige. Nun ist auch Urlaub vor der Haustür wieder normal.“

Zum Abschluss des Aktionstages zogen auch die insgesamt acht Studierendengruppen Bilanz, die sich zuvor am Nachmittag in Denkwerkstätten, Workshops und Dialogforen mit Detailfragen von Nachhaltigkeit beschäftigten. So beschäftigte sich eine Gruppe mit der christlichen Spiritualität als Orientierung und Ressource sowie dem Glauben als Quelle für Solidarität mit den Nächsten. Auch theologisch-ethische Aspekte einer Bildung für Nachhaltigkeit wurden thematisiert. Gemeinsam mit der Eichstätter Initiative fairEInt entwarfen Studierende eines Projektseminars Konzepte für eine verkehrsberuhigte Innenstadt, Dachbegrünung im Industriegebiet sowie müllfreies Einkaufen. Dabei betonten sie die Notwendigkeit eines frühzeitigen Austausches mit Ansprechpartnern in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Gerade angesichts von Corona unterstrich eine weitere Gruppe die stärkere Vernetzung von studentischen Nachhaltigkeitsinitiativen. Armutsbekämpfung als Schlüssel zur Krisenbewältigung, Wege für nachhaltigen Tourismus, Bildung für Nachhaltige Entwicklung für Lehrkräfte sowie die Rolle von Sozialunternehmern für einen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit waren weitere Themen der Studierendengruppen.

Ein ausführlicher Nachbericht zu den Ergebnissen des Studierendengruppen findet sich auf der Homepage der KU.

Weitere Informationen zu den Aktionstagen „Aufklärung 2.0: Wir sind dran!“ finden sich unter vdw-ev.de/portfolio/aktionstage-aufklaerung-2-0/.