Vorteile für das Lernen und Lehren im Freien scheinen klar und nachvollziehbar – die Verbesserung der körperlichen Gesundheit, die Steigerung der kognitiven Leistung, das verbesserte soziale und emotionale Wohlbefinden, die Erhöhung des Umweltbewusstseins und gesteigerte Kreativität. Folgende Abschnitte sollen diese kurz durch wissenschaftliche Belege darstellen.
Eine erste, unverzichtbare Grundlage, um in Open Air-Lernstätten rund um Universitätsgebäude zu lernen und zu studieren, ist die bemerkenswerte menschliche Fähigkeit, sich in nahezu jeder Umgebung, draußen wie drinnen, auf Wesentliches selektiv konzentrieren zu können, insbesondere auf Audiosignale, und konkurrierende Geräusche ausblenden bzw. marginalisieren zu können. Relevante Signale werden exakt herausgefiltert (Cherry, 1953; Cherry & Taylor, 1954). Selektives Hören und auch Sehen, trotz vieler Ablenkungsmöglichkeiten, sichert in einer Outdoor-Didaktik die vertiefte Aufnahme, Verarbeitung und Memorierung von dargebotenen Inhalten (Ferraro, 2015). Unter bestimmten Umständen können sensorische Ablenkungen durch die nicht durch Wände eingeschränkte Umgebung in Außenbereichen demnach zusätzlich produktiv sein. Mehr Inhalt kann dann gespeichert werden, wenn beim Zuhören alle anderen Reize herausgefiltert werden, um sich auf einen einzigen zu konzentrieren. Diese Kompetenz kann so aufgebaut und geübt werden, ist aber immer auch abhängig vom individuellen Konzentrationsvermögen. Dazu kommen in baumbestandenen Lernumgebungen die charakteristischen olfaktorischen Einflüsse, die als Mischung von Pflanzen und feuchter Luft wahrgenommen werden: Terpene – Stoffe, die von Bäumen ausgestoßen werden, um miteinander netzwerkartig zu kommunizieren, erweitert das Lungenvolumen durch die Befeuchtung der Atemwege. Dazu sinken die Spiegel des Stresshormons Cortisol, Pulsschlag, sowie der Spannungszustand der Muskulatur. Gestärkt wird das Immunsystem, sogar gegen entartete Krebszellen (Jäger et al., 2006).Sensorisches Lernen steht in engem Zusammenhang mit dem Prinzip der Ganzheitlichkeit.
Der Immobilität des teilweisen stundenlangen Sitzens in Seminaren und Vorlesungen kann eine bewegungsorientierte Outdoor-Didaktik die zusätzliche Vertiefung erlernter Inhalte durch motorische Gehirnareale entgegenhalten. Wie sensorische Lernprozesse lassen sich bei rhythmischen Bewegungen, also auch im Gehen, Informationen gut verarbeiten und langfristig speichern (Boos, 2010). Auch wenn ein ähnlicher Effekt durch das Ansehen bewegter Bilder oder die Vorstellung von Bewegung erreicht werden kann, kommt durch den aktiven Stoffwechsel bei Bewegungen sauerstoffgesättigtes Blut in das Gehirn und beugt Müdigkeit vor (Voll & Buuck, 2005). Solche lernunterstützenden Effekte lassen sich gezielt in Lernprozessen einsetzen, wenn die Lernlandschaftsarchitektur Bewegungen und aktive Pausen zulässt, z.B. durch geeignete kürzere oder längere Wegstrecken oder auch Aufgaben an den einzelnen Lernstationen. Insbesondere dieser Mehrwert zielt über die Bewegung auch auf den Gesundheitsaspekt des Outdoor Campus.
Sowohl für kurzfristige Interventionen wie obligatorischen lehrplanbasierten Unterricht im Freien konnten neuere Studien positive Auswirkungen der grünen Lernumgebung auf die Motivation der Lernenden feststellen (Becker et al., 2017; Dettweiler et al., 2015; Sproule et al., 2013; Wang, 2014). Dabei hängt die Möglichkeit, intrinsische Motivation zu entwickeln, stark von der Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse, wie Autonomie, Kompetenzerfahrung und Beziehungslernen ab (vgl. Brandt, 2005; Deci & Vansteenkiste, 2004). Das gelingt besonders gut in Outdoor-Lernumgebungen (Dettweiler et al., 2017). Der positive Einfluss, den informellere Third Spaces im Gegensatz zu traditionelleren Lernräumen, aber auch das Zuhause oder den Arbeitsplatz auf die Einstellungen von Lernenden zum Lernen und zum Lehrkonzept insgesamt haben, bestätigt sich bereits in jungen Jahren (Imms & Byers, 2017). So können neben affektiven Zielorientierungen wie Spaß und Freude am Studieren auch – quasi en passant – mentale Wunschzustände wie z.B. Mental Health (vgl. Schumann 2019) adressiert werden.
Ein weiterer Vorteil des Outdoor Campus lässt sich anhand neurowissenschaftlicher Befunde zu einem neuronalen Netzwerk, dem Default-Mode-Network (DMN), verdeutlichen. Dabei handelt es sich um ein spezifisches neuronales Netzwerk, welches durch automatisierte Handlungen, wie dem Spazieren gehen oder aus dem Fenster blicken, und in Kombination mit introspektiven Denkprozessen aktiviert wird (Raichle et al., 2001). Das menschliche Gehirn absolviert während solcher scheinbar inaktiver Phasen eine Vielzahl an unterschiedlichen kognitiven Prozessen parallel (Raichle et al., 2001), bei denen es sich zuvorderst um die Verarbeitung von stimulus-independent thoughts, d.h. um die unbewusste und vor allem introspektive Verarbeitung von Informationen handelt. Allgemein gesprochen ist das aktive DMN somit dem produktiven Tagträumen gleichzusetzen, letztlich eine höchsteffiziente Fähigkeit des Gehirns bezüglich kreativer Prozesse.
Heidi Lehner ist Landschaftsarchitektin mit Sitz in Nürnberg und hat schon große Projekte wie den Adidas Campus gestaltet und umgesetzt. Im Interview verrät sie ihre Gedanken zum Konzept und den Erfolgsaussichten des Outdoor Campus' an der KU.
Hier geht es zum Interview.
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