Anfangs war es Pflichtbewusstsein. 500 Jahre Reformationsjubiläum. Eine Katholische Universität muss hier auch ihren Beitrag leisten. Nachdem in meiner Bildungstheorie das Buber-Wort "Alles wirkliche Leben ist Begegnung" nicht unerheblich ist, war klar: Dann "müssen" in 2017 nicht nur Studierende der "katholischen" Religionspädagogik mit nach Rom, sondern auch protestantische Studierende, die ein Studium der Religionspädagogik wagen.
Mal sehen, was sie zum Papst, zum Vatikan, zu den Zeugnissen von Marienglauben und dem radikalen Engagements der Gläubigen von Sant' Egidio für die Armen sagen, und das vor dem Horizont der Bilder Michelangelos in der Capella Sistina, zu den Bildern über die hereinbrechende Gotteserfahrung bei Caravaggio, und zu den großen Zeugnissen, die die Transformation des römischen Reiches in einen christlichen Staat verdeutlichen. Vom Titusbogen bis zum Konstantinsbogen.
Es kam anders. Die Studierenden entdeckten vor allem sich selbst als Zeugnisse von heute möglichem Glauben, von tragendem Glauben-Können im zerrissenen Heute. In unterschiedlichen Traditionen. In breiten Traditionen. Auch jungen Studierende ohne faktische Konfessionsbindung, aber mit hohem (sehr humanem!) Anspruch an das Leben. Und junge Menschen mit Bindung an Kirchengemeinde wie solche mit hoch individualisierter, fast privat-scheuer, aber feinsinniger Religiosität.
Dann aber durchaus Begegnungen vor Michelangelo und Caravaggio, aber eigentlich Begegnungen vor den spirituellen Verortungen, die sie heute leben können und leben möchten. Z.B. Staunen, dass es öffentlich leise Bekenntnisse von jungen Menschen in Jeans und mit einem iPhone 8 gibt, wenn Mit-Studierende eine Kniebeuge machen beim Eintritt in eine Kirche. Oder mutiges Bekennen in der Metro, dass nur ganz ureigene Glaubenssätze zählen dürfen, keine Autoritäten! Auch Zuhören war sichtlich, dass eigene Überzeugungen nicht aus dem Nichts kommen. Wie das Zugeständnis, dass nicht Sätze wahr sein können, sondern nur Menschen mit ihren Sätzen. Aber schon gar keine Traditionen von anderen! Und doch plötzlich die leise Frage: Was geben Ihnen Heilige, wirklich? Ist da nicht auch ein Heiliger mit protestantischen Quellen, Märtyer und Gelehrter? Von wunderbaren Mächten still umgeben?
Gleichzeitig Bewunderung eines Papstes, der beim Angelus wie selbstverständlich protestantisches Urgestein zitiert: Erlösung kann man nicht erarbeiten, die ist geschenkt! Und dazu tausende Menschen, die nicht neurotisch sind, sondern wirklich diesem Quergeist in weißer Soutane mit dem langem historischen Atem in Zeichen und Worten ihr Vertrauen schenken und jubeln über solche Sätze. Weil er ganz auf Seiten der irritierenden Barmherzigkeit des Ewigen steht. Und prophetisch erinnert, dass die Armen zu uns gehören, ja wir die Armen machen! Oder ein neues Short-Cut-Credo für die Spätmoderne einfach mal so zwischen Metro und Pizza buchstabieren: Jeder ist eigentlich erwünscht!
Aber auch Alltagskonfessionen: Dass Liebe(n) schön ist. Nur konsumierendes Leben hohl. Tanzen eine Begegnung mit dem Heiligen, dem ganz anderen sein kann. Und Cappuccino auch Lebensqualität, manchmal fetter Lebenssinn für 13 Minuten ist! Und plötzlich Schweigen im Respekt vor den Menschen von Sant' Egidio, die einen Teil ihrer Lebenskraft den Armen schenken. Wöchentlich, auch beim Sandwich-Schmieren für die, die alle vergessen. Und das als Geschenk für sich selbst begreifen. Gute Werke, die ach so verpönten guten Werke, stehen plötzlich in einem anderen Licht. Wie die verehrte eigene katholische Kirche auch in ihrer historischen Schäbigkeit und Angstbesessenheit deutlich wird, wenn die protestantischen Waldenser ihre Verfolgungsgeschichte erzählen. Ohne Anklage. Unprätentiös. Ohne Vorwurf an die jungen Katholiken von heute. Eher mit einem Arm der Versöhnung. Dass "das Katholische" doch eher das gemeinsam umfassende sein könne. Wie "Das Evangelische" die dauernde Rückbindung an die Erzählungen und Reden des Mannes aus Nazareth sein kann, der über ein Leben vor und mit und in Gottes Gegenwart erzählt, einer Gegenwart, mit der man nicht mehr sich fürchten muss.
Am Ende war es nicht mehr Pflichtbewusstsein, die Bildungsreise mit den verschiedenen jungen Christen in Rom, die "What's App" ganz gut mit "What's sense" verbinden können. Die frech Traditionen befragen und doch auch dankbar erinnern, dass sie in Traditionsflüssen stehen, die tragen können. Die viel wissen und spüren, was Leben lebendig macht und wo Leben heuchelt, dass Lebenshunger und Lebenssehnsucht zwei paar Dinge sind. Die auf jeden Fall aber nicht mehr werten über andere Bekenntnisse, sondern neugierig und positiv irritiert erfahren konnten, dass Gott viele Wege kennt. Auch viele Wege nach Rom und zurück. Sogar mit denen, die Bekenntnisse haben. Am Ende war es Freude. Dass jungen Menschen erkennen und bekennen.
"Die menschlichen Begegnungen, die auf der Hintergrundfolie des grundsätzlichen Konfessionsunterschieds stattfanden, waren für mich sehr kostbar. Mit jungen Menschen freundschaftlich über den Glauben, über das Verbindende, wie das Trennende ins Gespräch zu kommen - nur um sich besser zu verstehen, nicht weil man gleich eine Lösung finden soll - hat mich total bereichert. Es war einfach schön, sich für das 'Fremde' zu interessieren und gleichzeitig auch bei den anderen auf Interesse zu stoßen."
"Ich war im Vorfeld schon sehr gespannt auf den Austausch mit den Studierenden der evangelischen Hochschule: Wie nehmen sie die katholische Stadt Rom wahr? Was bewegt sie im Glauben? Im Laufe der Woche in Rom stellte sich heraus, dass es sehr angenehm sein kann mit den evangelischen Studierenden ins Gespräch zu kommen. Sie bewegt eine ähnliche Motivation aus dem Glauben an Jesus Christus heraus hier und heute in der Welt für die Menschen da zu sein. Die trennenden Elemente der beiden Konfesssionen waren mir in den Diskussionen weniger wichtig. Mir sind deshalb noch sehr genau die Szenen im Kopf, wo wir durch die Straßen von Rom schlenderten und schnell tiefgängige Gespräche über unseren Glauben und die Kirche hatten."
"Die ökumenische Romreise hat mir die Möglichkeit eröffnet, mich mit den Studierenden der Universität Eichstätt auszutauschen. Es war interessant die Gemeinsamkeiten in den Unterschieden der beiden Konfessionen zu entdecken. Die Begegnung mit der Vielfalt ist für mich Merkmal eines beweglichen und lebendigen Glaubens."
"Für mich stand in Rom das Erkunden unserer christlichen Wurzeln im Vordergrund, und das in zweifacher Weise. Zum einen konnten wir in Rom die frühen Anfänge des Christentums sehen, zum anderen konnten wir zwei Konfessionen unsere gemeinsame Wurzel vergegenwärtigen. Für mich bleibt die Frage offen, ob eine gemeinsame Wurzel reicht, um (bildlich gesprochen) wieder ein Baum zu werden oder ob es nicht in Ordnung ist, dass sich aus der einen Wurzel zwei Bäume entwickelt haben, die sich gegenseitig in Respekt und Wertschätzung begegnen. Vielleicht ist das ja sogar fruchtbarer."
"Was vor der Reise bestand, war die Unsicherheit: Wer wird mir da begegnen? Wir haben uns schnell gegenseitig respektiert, auch wenn wir mal unterschiedlicher Auffassung waren, z.B. beim Sinn der Ehe. Wir haben Interesse füreinander gezeigt, was eigentlich die jeweils andere Seite so ausmacht. 'Wie läuft das eigentlich bei euch ab?', war häufig das Gesprächsthema. Was bleibt, ist der Eindruck: Die wollen doch dasselbe machen wie wir, nur eben halt evangelisch. Diese protestantischen Leute haben echt einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen - und das im erzkatholischen Rom. Gott wollte wohl, dass wir uns da näher kommen."
"Ökumene ist für mich, sich daran zu erinnern, dass man gemeinsam Jesus nachfolgt- und dass alles andere sekundär ist. In der Begegnung kann man die Besonderheiten der anderen wahrnehmen und schauen, was man davon vielleicht selber vernachlässigt oder vergessen hat. Kirche ist da, wo man sich Gott zuwendet- ganz unabhängig von der Konfession. Das Eindrucksvollste an Rom bleibt für mich daher auch der spontane Wortgottesdienst in der Warteschlange für den Petersdom. Ich habe noch nicht viele - seien sie noch so schön vorbereitete - Gottesdienste erlebt, wo ich Gott so nah war."
"In Rom wurde ich inspiriert von Menschen der Vergangenheit, wie Caravaggio, der auf inspirierende Art und Weise die Heiligen, wie normale Menschen aus dem Volk darstellte. Daraus schloss ich, dass jedem, auch uns, der Weg zur Heiligkeit offen steht. Aber auch Menschen der Gegenwart, welche wir kennen lernen durften, konnten mich fesseln und mir neue Inspiration geben meinen Weg, meine Bestimmung zu suchen und dieser dann in der Zukunft mutig zu folgen.
Im Austausch auf konfessioneller Ebene galt das Prinzip der Offenheit und Interessiertheit, was mir half meine eigenen gedanklichen konfessionellen Strukturen zu überdenken und neue, wertvolle Menschen kennenzulernen. Diese Einstellungen und hoffentlich einiges mehr, konnte ich in Rom erneuern, vertiefen und führe sie hoffentlich in Zukunft weiter."
"Sehr spannend waren die Gespräche über die Unterschiede, aber auch das Verbindende der christlichen Konfessionen. Der Besuch bei der Waldenser-Fakultät und ihrer Kirche waren für mich besonders beeindruckend. Die verschiedenen Vorträge aus den Bereichen Kunstgeschichte, Kirchen- bzw. Reformationsgeschichte und Biblischer Theologie zeigten auf, dass man mit sehr verschiedenen Ansätzen Rom erkunden kann.
Aus Rom nach Eichstätt habe ich mitgenommen, das es Unterschiede zwischen den einzelnen evangelischen und reformierten Kirchen gibt. Wichtig ist, dass sie die Bestrebungen nach Reformen für die aktuelle Zeit auch mit der katholischen Kirche verbindet. Offenheit und Dialogbereitschaft auf jeder Seite sind wichtige Grundpfeiler für einen gelungenen Austausch, der eine gelebte Ökumene ermöglicht."
katholische und evangelische ReligionspädagogInnen erschließen sich ihre Wurzeln
Bericht von Prof. Dr. Uto Meier
Katholisch werden in Rom!
Ein etwas anderes Seminar-Format für religiöse Bildung im Herzen der Weltkirche
Vom 25. bis 29. Mai 2016 reisten 14 Religionspädagog*innen im Rahmen eines Seminares nach Rom, um Geschichte, Konzepte und Gestalten kennenzulernen, wie religiöse Sozialisation in der Hauptstadt des Katholizismus in Vergangenheit und Gegenwart „geht“:
'Katholisch werden in Rom. Reflexion und Begegnung mit der Geschichte christlicher Sozialisation in Theologie und Pastoral und Kunst.‘
Unter der Leitung von Prof. Dr. Uto Meier wurden die Studierenden in die verschiedenen Transformationsprozesse eingeführt, die der Glaube und das „Christ-Werden“ in Rom in Geschichte und Gegenwart durchlaufen hat und durchläuft:
Aus der polytheistischen Gesellschaft des römischen Reiches in die Reichskirche der katholischen Welt; von der Situation der verfolgten Minderheit der Katakomben-Christen in die Situation der Katholischen Mehrheitsmacht(kirche), die mühselig lernen musste, Macht fair zu verwalten; von der geschlossenen katholischen Welt des Hochmittelalters in die „globale und plurale Welt“ der frühen Neuzeit und Reformation; vom eurozentrierten Christ-Werden bis hin zum weltkirchlichen Christ-Sein der Gegenwart.
Dabei erfuhren/“ergingen“ die Studierenden nicht nur die Geschichte der Kirche in Rom, sondern wurden auch mit der „Kunst-Geschichte“ des Glauben konfrontiert, etwa wenn sie den genialen Caravaggio in den Kirchen von San Agostino oder San Luigi di francese studieren konnten, der eine radikale „zweite Inkarnation“ Christi in die Kneipen- und Huren- und Arme-Leute-Welt um 1600 malt, oder wenn sie vor Michelangelos Gericht in der capella sistina erschauern durften, wo der starke Christus eben nicht nur lieb die Menschheit erlöst – sondern nach ihren Taten sie richtet!
Nicht nur in Auseinandersetzung mit den verschieden(st)en historischen Wegen des Christ-Seins und Christ-Werdens in der Geschichte lernten die Studierenden der Religionspädagogik, wie sich Glauben historisch wie universell buchstabiert, sondern auch in Begegnung mit heutigen Konzepten gelingender Pastoral und religiöser Bildung: In Besuch und Begegnung mit der Communità von St. Egidio wurden Konzepte gegenwärtigen Christseins in der „Armen- und Inklusionsarbeit“ der Marginalisierten vorgestellt, im Besuch des päpstlichen Rates COR UNUM lernten die Eichstätter Studierenden, wie die Weltkirche humane Entwicklung konzipiert, in Dialogen mit der Franziskaner bzw. Salesianer-Universität wurden sie mit neuen Formen der Jugendarbeit konfrontiert.
Und natürlich sollten sie auch erlebt werden, die Nebenwirkungen einer Romreise, die „Romanità cattolica“: Der by-the-way Cappuccio-Flirt an der spanischen Treppe mit einem Theologie-Studenten aus Sidney, die swingende Vesper in Santa Maria Trastevere, das berührende „Viva il Papa“ von 25 Nationen auf dem Petersplatz beim Angelus-Gebet mit Papa Francesco, oder auch mal einfach an der Schulter von Erzbischof Gänswein lehnen zu dürfen!
© Uto Meier 05/2016