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Auf den Wolf gekommen – Tierfiguren zwischen Mythos, Kultur und Imagination

Wolf
© Chris Ensminger, Unsplash

Ein Beitrag zur „Langen Nacht“ von Deutschlandfunk Kultur mit Alexandra Tretakov

Am 10. Mai 2025 widmete sich die Lange Nacht von Deutschlandfunk Kultur unter dem Titel „Rotkäppchen und der Wolf“ den kulturellen, literarischen und medientheoretischen Dimensionen tierlicher Figuren in menschlichen Erzählwelten. Die dreistündige Sendung von Markus Metz und Georg Seeßlen begibt sich auf eine akustische Reise durch die vielfältigen Formen, in denen Tiere in Mythen, Märchen, Riten, aber auch in moderner Populärkultur erscheinen. Sie treten stets als Träger symbolischer Bedeutungen, anthropomorpher Zuschreibungen oder als Projektionsflächen menschlicher Ängste, Wünsche und Ordnungsmodelle auf. Im Zentrum steht das spannungsreiche Verhältnis zwischen Mensch und Tier, das sich historisch wie erzählerisch als ambivalent erweist. Tiere wurden domestiziert, gejagt, verehrt und dämonisiert. Die Sendung verfolgt diese vielfältigen Beziehungsmuster und fragt danach, wie Tiere in kulturellen Texten nicht nur als Begleiter oder Gegner des Menschen auftauchen, sondern auch als Spiegel seiner eigenen Vorstellungen von Natur, Zivilisation, Geschlecht und Macht.

Einen wichtigen theoretischen Akzent setzt dabei der Diskussionsbeitrag von Alexandra Tretakov, die im Rahmen der Sendung über den sogenannten animal turn in den Geistes- und Kulturwissenschaften spricht. Dieser theoretische Perspektivwechsel, der sich seit den frühen 2000er Jahren etabliert hat, rückt Tiere als eigenständige, historisch wie gegenwärtig wirkmächtige Subjekte in den Fokus und stellt zugleich die anthropozentrischen Erzählstrukturen infrage, durch die tierliche Akteurinnen und Akteure in westlichen Kulturen traditionell gedeutet wurden.

Alexandra Tretakov, die über Tieridentitäten im Rahmen ihrer Habilitation arbeitet, diskutiert im Radiogespräch unter anderem die Frage, wie sich narrative, visuelle und rituelle Repräsentationen auf unsere Wahrnehmung von Tieren auswirken und ob sowie in welcher Weise es möglich ist, die Individualität von Tieren jenseits kultureller Symbolisierungen zu denken. Sie plädiert dafür, Tiere nicht nur als Zeichen oder Funktionsträger in Geschichten zu lesen, sondern auch als eigenständige Subjekte, deren Eigenleben und -logik innerhalb erzählerischer Kontexte erfahrbar werden können. Diese Perspektive ist eng mit ethischen Fragestellungen verbunden, etwa im Hinblick auf Handlungsmacht, Fürsprache und interspezifische Beziehungen.

Die Sendung präsentiert eine dichte Verbindung von Theorie, historischer Tiefenschärfe und assoziativer Erzählweise. Sie spannt einen Bogen von archaischen Mythen über das Märchen „Rotkäppchen“ bis hin zu medialen Inszenierungen tierischer Figuren in Literatur, Film und bildender Kunst. Dabei wird deutlich, dass die Tierfigur als kulturelles Imaginationsfeld schon von jeher wirksam ist und wie sehr unsere Vorstellungen vom Tier immer auch Vorstellungen vom Menschen sind.

Die Lange Nacht ist online als Podcast verfügbar und bietet eine ebenso fundierte wie inspirierende Auseinandersetzung mit einem Thema, das an der Schnittstelle von Anthropologie, Literaturwissenschaft, Medienanalyse und Ethik liegt.

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