News am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft

„Streicht dunkler die Geigen“. Dichten in finsteren Zeiten am 30.06.2022 im Foyer am Marktplatz

Nachdem ich in diesem Semester das Seminar „Aber das Gedicht spricht ja!“ Eine Begegnung mit Paul Celan besuchen durfte, im Zuge dessen ich viele interessante Aspekte über den Dichter lernte, war ich sehr gespannt auf den von ihm inspirierten Abend „Streicht dunkler die Geigen“. Dichten in finsteren Zeiten.

Der am 23. November 1920 in Czernowitz geborene Paul Celan gehört zu den weltweit bedeutendsten Lyriker:innen des 20. Jahrhunderts. Sein Leben und Werk wurden durch die Leiden des Holocaust, Deportationen und den Verlust der Eltern geprägt. Wie kaum ein anderer Text der Nachkriegszeit wird sein Gedicht Todesfuge über die nationalsozialistische Judenvernichtung auch international rezipiert. Celan beherrschte Hebräisch, Französisch, Englisch und Russisch und entschied sich dennoch, auf Deutsch – seiner Muttersprache (die gleichzeitig die Sprache der Mörder seiner Mutter war) – zu dichten. Der gewaltsame Tod seiner Mutter dürfte mit ein Grund für seinen Freitod am 20. April 1970 gewesen sein, als er sich von der Pont Mirabeau in Paris in die Seine stürzte.

Unter dem Eindruck der einzigartigen Persönlichkeit des Dichters und seiner Werke hatten bereits die Seminarteilnehmer:innen eine Ausstellung mit Musikstücken, Übersetzungen und Kunstwerken konzipiert.

Ähnlich inspirierte Paul Celan auch Ali Moraly, den aus Syrien stammenden Violinisten, Komponisten und Schriftsteller, der am 30. Juni 2022 in Eichstätt zu Gast war und den Abend mit einem Musikstück eröffnete, das er kurz nach seiner Flucht aus Syrien komponiert hatte. Dieses Stück stimmte die Hörer:innen im Saal nachdenklich, da es von Melancholie und Konflikten geprägt war. Die von Konflikthaftigkeit und Melancholie geprägten dissonanten Stellen erzeugten rasch ebensolche Konnotationen im Publikum. Es ging um versinnbildlichten Schmerz und Trauer, um das Zurücklassen der Heimatstadt und das Gefühl der Fremde.

Im Anschluss an eine kurze Begrüßung und Einführung durch die Veranstalter:innen wurde eine Originalaufnahme abgespielt, in der Paul Celan die Todesfuge selbst rezitiert, wodurch das Publikum dieses hautnah und authentisch miterleben konnte. Durch den einzigartigen Sprachduktus des Künstlers wirkte das Gedicht lebendig, die Szenerie des „Trinkens der schwarzen Milch“, des nie endenden Verbrechens, des Teufelskreises, des Unglücks wurde dadurch noch spürbarer. Ergänzend trugen zwei Studierende das Gedicht in russischer und ukrainischer Übersetzung vor, die eben wie das Original Schwere und unheimliche Monotonie transferierten. Zur Vertiefung der Thematik gab Frau Tretakov, die sich im Rahmen ihrer Dissertation ausführlich mit dem Dichter sowie den Übersetzungen seines Werks ins Russische beschäftigt hatte, einen Einblick in ihre jüngst erschienene Monographie Paul Celan in Russland. Rezeption – Übersetzung – Wirkung (2022). Sie sprach dabei über Besonderheiten und Schwierigkeiten der Lyrikübersetzung, die es auch bei der Übertragung von Sprache in Musik gibt.

Darauffolgend galt die Aufmerksamkeit erneut Ali Moraly, der sein viersätziges Stück Quatrain. Musik nach Paul Celans Gedicht Todesfuge spielte. In diesem Stück setzte er die nicht in Worte zu fassende Ausweglosigkeit und die unbeschreiblichen Grausamkeiten des Holocausts auf musikalischem Wege um.

In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Friederike Reents, Prof. Dr. Martin Kirschner und Dr. Alexandra Tretakov erklärte Moraly, dass er Celans Todesfuge primär nach Rhythmus und Klang in die Musik transponiert habe. Gesprochen wurde über die Rolle der Dichtung in finsteren Zeiten, über Transformationsprozesse in und durch Sprache, Musik und andere Kunstformen sowie über politisch-theologische Dimensionen von Lyrik. Besonders anregend war es, einen Einblick in die persönlichen Hintergründe und Denkweisen Moralys zu bekommen, der sich im Gespräch nachdenklich, persönlich und offen zeigte im Hinblick etwa auf die Theodizeefrage und ihre Bedeutung in der Gegenwart.

Abgerundet wurde der Abend durch eine weitere musikalische Einlage von Ali Moraly. Abschließend bestand noch die Möglichkeit zu persönlicher Begegnung und Austausch. Alles in allem war es ein faszinierender Abend, der anschaulich zeigte, wie sehr Celan die Nachwelt noch heute nachhaltig beeinflusst und inspiriert.

Die Veranstaltung wurde vom ZRKG, Prof. Dr. Friederike Reents und Dr. Alexandra Tretakov organisiert und durch die Eichstätter Universitätsgesellschaft gefördert.

MARTA LESCHER