Frau Seehütter, Sie haben sich nach drei Semestern Studium im BA Religionspädagogik für ein Praxissemester in Äthiopien entschieden. Was genau haben Sie dort gemacht?
Im Rahmen meines Praxissemesters war ich in der äthiopischen Stadt Awassa für den Orden der Comboni-Brüder als Laienmissionarin tätig. Die Aufgabenfelder meines Einsatzes waren breit gefächert und gaben mir einen sehr guten Einblick in die verschiedenen sozialen Schichten und deren Lebenswirklichkeiten. Zum einen arbeitete ich als Lehrerin an der Comboni High School, welche als beste weiterführende Schule Südäthiopiens gilt und ausschließlich von Kindern aus reichen Elternhäusern besucht wird. Zum anderen unterstützte ich die Mutter-Theresa-Schwestern bei ihrer Arbeit in einem Krankenhaus für die Ärmsten der Armen.
An der High School gab ich in allen Klassen der zehnten und elften Jahrgangsstufe Ethikunterricht, was ein großes Maß an Organisation erforderte, um bei den neun unterschiedlichen Klassen mit je 50 Schülern nicht den Überblick zu verlieren. Zudem bot ich nachmittags nach Unterrichtsende noch außerschulische Aktivitäten an, die mir sehr viel Freude bereiteten. Mit den Schülern meines „German Clubs“ hatte ich unglaublich viel Spaß. Zu meinen persönlichen Highlights des Clubs gehören ein Musikvideodreh, bei dem die äthiopischen Jugendlichen einen Schuhplattler tanzten, ein Kinonachmittag, bei dem wir den deutschen Film „Willkommen bei den Hartmanns“ anschauten und das große „Oktoberfest“ am Ende des Schuljahres mit der Wahl von „Mister und Miss Germany“. Für die Mädchen habe ich außerdem noch einen Zumba-Kurs geleitet.
Getanzt wurde auch im Krankenhaus der Mutter-Theresa-Schwestern, wo neben basteln, malen, spielen, singen, schreiben und rechnen auch eine „Mini-Disko“ für die Kinder auf dem Programm stand. Als ich zum ersten Mal im Mutter-Theresa-Haus war, bemerkte ich, dass sich die Kinder, die hauptsächlich auf der Straße lebten und deswegen an schweren Hautpilzerkrankungen und Tuberkulose litten, den ganzen Tag langweilten. Um dies zu ändern habe ich sie täglich im „Krankenhaus-Kindergarten“ betreut. Besonders schön war, dass nach einiger Zeit auch erwachsene Patienten mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen zur Gruppe gestoßen sind, was die Gemeinschaft sehr bereicherte.
Eine weitere Aufgabe im Krankenhaus war die Arbeit mit Männern, die an Tuberkulose erkrankt waren. Jeden Tag, außer Sonntag, traf ich mich mit ihnen für zwei Stunden zur „English-Class“. Dank eines sehr engagierten Mitarbeiters, der mir als Übersetzter zur Seite stand, konnte ich mit ihnen viele Spiele spielen, kreativ arbeiten und ihre Englischkenntnisse auffrischen und verbessern. Dieses niederschwellige Angebot erleichterte den Zugang zu den Männern und ermöglichte Seelsorgegespräche, die ich gemeinsam mit einer Schwester führen durfte.
Was hat Sie zu Ihrer Arbeit in der Mission bewogen?
Seitdem ich in der vierten Klasse zum ersten Mal an der Sternsingeraktion teilnahm, ist es mir eine wichtige Herzensangelegenheit, notleidenden und armen Menschen in Entwicklungsländern zu helfen. Nachdem ich nach dem Abitur gemeinsam mit dem Kaplan meiner Heimatpfarrei nach Kamerun reiste, um eine Schule fertig zu bauen, ist in mir der Wunsch gereift, für einen längeren Zeitraum in Afrika zu arbeiten. Da mein Onkel der Provinzial der Comboni-Missionare in Äthiopien ist, stand mir eine Türe zur Mission offen. Das vierte Semester, das im Studienverlauf als Praxissemester vorgesehen ist, schien mir der perfekte Zeitpunkt zu sein, diese Türe zu öffnen.
Inwiefern konnten Sie Ihre Erfahrungen aus dem Studium Religionspädagogik dort einbringen?
An erster Stelle sind die praxisorientierten Didaktik-Kurse zu erwähnen, in denen ich das methodische Handwerkszeug für einen guten Unterricht gelernt habe. Die Seminare zur Unterrichtsgestaltung fanden in Kleingruppen statt und ermöglichten viele praktische Übungen, Diskussionen und Nachfragen beim Dozenten. Da es von der äthiopischen Regierung weder einen Lehrplan noch Unterrichtsmaterialien für das Fach Ethik gibt, war ich sehr froh, dass ich mich bei der Ausarbeitung der Unterrichtskonzepte auf die Inhalte der Seminare stützen konnte.
Besonders bereichernd war auch das Fach Heilpädagogik, das mir viele neue Denkperspektiven eröffnete und wichtige Impulse im Umgang mit körperlich und geistig beeinträchtigten Menschen lieferte. Das im Studium vermittelte Hintergrundwissen und Know-How hat mir bei der Betreuung von zum Teil wirklich schwerst-beeinträchtigten Menschen im Mutter-Therese-Haus Sicherheit gegeben.
Prägend waren darüber hinaus auch die zahlreichen Psychologieseminare, in denen die Methoden seelsorgerlicher Gesprächsführung nicht nur theoretisch besprochen, sondern auch praktisch ausprobiert werden durften. Vor allem das Lernwerkstatt-Seminar zur Trauerpastoral hat mich auf die Arbeit mit den Männern im Krankenhaus, die alle traumatische Lebensgeschichten hatten, vorbereitet.
Neben diesen fachlichen Kompetenzen hat mich das Studium auch dazu angeregt, viel über mich nachzudenken und mein bisheriges Leben zu reflektieren. Durch die Lehrveranstaltungen, Mentoratsabende, Kurstage und die lebendige Studiengemeinschaft bin ich mir meiner selbst, mit all meinen Stärken, Schwächen und Talenten viel bewusster geworden und in meiner Persönlichkeit gewachsen. Auch mein Glauben und meine Beziehung zu Gott ist in dieser Zeit sehr gereift, was mit Abstand die wichtigste Erfahrung in meinem Studium war. Ohne Gottesvertrauen und das Gefühl seiner Nähe hätte ich die Arbeit in Äthiopien nicht bewältigen können!
Haben Sie einen Tipp für unsere Studienanfänger*innen bezüglich eines Auslandssemesters?“
Die Planung für ein Auslandssemester im vierten Semester sollte spätestens gegen Ende des ersten Semesters beginnen. Zunächst sollte mit der Fakultät abgesprochen werden, welche Voraussetzungen bei einer Praktikumsstelle im Ausland gegeben sein müssen, damit der Freiwilligendienst als Praxissemester angerechnet werden kann. In diesem Zusammenhang müssen auch wichtige Details zur Erstellung des Portfolios und zur Nachholung der Blocktage im Praxissemester geklärt werden. Anschließend sollte Kontakt zur Ausbildungsleitung im Bewerberkreis aufgenommen werden, um abzuklären, ob das Praxissemester im Ausland vom Bistum anerkannt wird. Gegebenenfalls ist das Bistum auch bereit, das Praktikum im Ausland mit derselben Summe wie die Praktika in Deutschland zu entlohnen. Hier ist überzeugendes Argumentieren gefragt.
Herzlichen Dank für das Interview und alles Gute für Ihr weiteres Studium.
Haben auch Sie im Rahmen Ihres Relpäd-Studiums an unserer Fakultät Auslandserfahrung gesammelt und möchten uns davon erzählen? Wir freuen uns über Ihren Beitrag.
Nächste Woche geht es dann weiter mit unserer Reihe "Alumni im Interview". Wenn auch Sie Alumnus/Alumna unserer Fakultät sind und uns Einblicke in Ihre Studienerfahrung geben möchten, freuen wir uns sehr: wenden Sie sich einfach an die Fakultätsmanagerin Dr. Dorothea Pachale (dorothea.pachale[ad]ku.de)