Wie lässt sich eine nachhaltige Zukunft gestalten? Mit der School of Transformation and Sustainability hat die KU im Herbst 2023 eine neue Fakultät gegründet, die sich den großen Herausforderungen unserer Zeit widmet. Ihre innovative Struktur und Programmatik sind darauf angelegt, die politischen, sozialen und ökologischen Veränderungen der Gegenwart zu analysieren und zu begleiten.
Durch innovatives Denken und die ko-kreative Zusammenarbeit mit unseren Fellows und Praxispartnern weltweit erweitern wir an der Fakultät systematisch die Grenzen unseres Wissens – für eine gelingende nachhaltige Entwicklung. Eine hohe fachwissenschaftliche Kompetenz und der Dienst am Gemeinwohl gehen dabei Hand in Hand miteinander einher.
Herzlich willkommen an der School of Transformation and Sustainability!
Eine Vielzahl von Krisen und substantiellen Veränderungen in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft oder Religion führen zu einem Paradigmenwechsel in vielen Bereichen und erfordern besondere Fähigkeiten und Kompetenzen, die „Zeichen der Zeit“ zu erkennen und zu deuten. Globalisierung, Digitalisierung und Ökologisierung und insbesondere der Klimawandel sind Triebkräfte der Veränderung von Rahmenbedingen für Leben und Wirtschaften in einer Welt, die in essentiellen Bereichen an ihre planetaren Grenzen stößt und den Ökosystemen unwiederbringlich schadet. Ökologische Notwendigkeiten und gesellschaftliche Umbrüche stehen in enger Verbindung zueinander und erfordern Leitbilder für wünschenswerte Transformationen und für gesellschaftlich notwendige Veränderungen.
Transformation und Nachhaltigkeit bedeutet zum einen die kritische und reflexive Sicht auf die Prozesse großer Veränderungen und ethische Bewertungen gesellschaftlicher Entwicklungen, und zum anderen die Entwicklung von einer auf global gerechte Nachhaltigkeit ausgerichteten Lebensführung. Der leitende Gedanke bei der Entwicklung von Studiengängen, die den sozial-ökologischen Wandel als sinnvollen Weg hin zu Nachhaltigkeit verstehen, ist die Befähigung, mit tiefgreifendem Wandel umzugehen und Vorstellungen von einer Welt entwickeln zu können, welche die gesellschaftlichen Konflikte auf dem Weg zu einer nachhaltigen Welt nicht scheut, diese jedoch mit neuen Sinnhorizonten für eine bessere Welt auszustatten imstande ist. Der kompetente Umgang mit Risiken in einer unsicheren Welt durch demokratisch ausgerichtete Partizipationsprozesse im Rahmen einer Universität, die sich zunehmend in die gesellschaftlichen Debatten einmischt, sind Teil der Ausbildung junger Menschen, welche die Sinnstrukturen bestehender Paradigmen in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kirche kritisch und unter ethischen Gesichtspunkten reflektieren und mit einer Idee von nachhaltiger Lebensweise verknüpfen wollen. Hochschulen schaffen mit so einem Angebot Orientierungswissen sowie Kompetenzen in der Verknüpfung von Transformationswissen und Nachhaltigkeitserfordernissen. Ein neues Wissenschaftsverständnis unterstreicht die Bedeutung von interdisziplinären Zugängen, um die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Krisen und Entwicklungen umfassender zu verstehen, und forciert ein transdisziplinäres Verständnis von innovativen Dialogformaten zwischen Wissenschaft und Gesellschaft durch die Etablierung von Experimentierräumen und innovativen Ansätzen von Governance.
Entwurf von Prof.inDr.in Simone Birkel und Prof. Dr. Martin Schneider
Verabschiedung im STS-Facultyboard am 30.1.2024
Um die komplexen Zusammenhänge des Begriffs Nachhaltigkeit dazustellen, wurden Modelle entwickelt, um die Inhalte und Anliegen nachvollziehbarer zu machen. Seit den 1990er Jahren wurde mit dem sog. Dreieck der Nachhaltigkeit gearbeitet. Ziel war zu zeigen, dass eine zukunftsfähige Entwicklung gleichzeitig ökonomische, soziale und ökologische Belange gleichermaßen berücksichtigen muss. Im Laufe der Zeit zeigte sich, dass bei diesem Ansatz zu wenig die entwicklungspolitischen und kulturellreligiösen Bedingungen berücksichtigt werden. Die vier Eckpunkte bilden hier Ökonomie, Ökologie, Soziales und Politik, wobei die jeweilig gegebenen kulturellen Gegebenheiten das Viereck ausfüllen und die Eckpunkte miteinander verbinden.
Überwindung des sektorialen Ansatzes von Nachhaltigkeit
Das Drei-Säulen-Modell bzw. Viereck von Nachhaltigkeit fördert eine unverbindliche Lesart, die kontraproduktive Konsequenzen hat. Die sektorale Aufteilung erleichtert es vielen Unternehmen und Organisationen den Begriff „Nachhaltigkeit“ als Marketinginstrument nutzen, ohne tatsächlich substantielle Maßnahmen zur Nachhaltigkeit zu ergreifen. Einige kümmern sich um die ökonomischen Fragen, andere betrachten die ökologischen Aspekte und wiederum andere den sozialen Ausgleich und die politischen Interessen. In aktuellen sozial-ökologischen Diskursen wird daher die Zielperspektive der Nachhaltigkeit als zu wenig anspruchsvoll kritisiert. Es bedarf eines starken und verbindlichen Nachhaltigkeitskonzepts, damit die zentralen Herausforderungen des Anthropozäns – Artensterben, Klimakatastrophe, Globalvermüllung – bewältigt werden können. Es braucht deshalb eine verbindliche gemeinsame Perspektive.
Einverständnis über eine verbindliche Zielperspektive von Nachhaltigkeit
Eine starke, verbindliche Zielperspektive von Nachhaltigkeit ist folgender Anspruch: „Alle Menschen jetzt und auch zukünftig sollen unter Wahrung der planetaren Grenzen gut leben können.“ Mit dieser Definition erhalten neben den menschenrechtlichen Standards die ökologischen Belastungskapazitäten die Rolle eines „abwägungsfesten Kriteriums“. Der Schutz der Biosphäre, eine schadstofffreie Mitwelt und die Eindämmung der Klimakrise ist dann „moralisch ebenso geboten wie die Abschaffung der Sklaverei und die Ächtung der Kinderarbeit“ (WBGU 2011: 2). Es sollte erkennbar sein, dass ökonomische, soziale und ökologische Ziele keine gleichrangigen Güter sind. Anders als beim sektoralen Ansatz muss daher die Wirtschaft als integraler Teil von Ökologie und der Gesellschaft in den Blick genommen werden. Zum einen darf sich die ökonomische Entwicklung ausschließlich innerhalb der Grenzen bewegen, die von der ökologischen Dimension gesetzt werden (planetare Grenzen). Zum anderen ist sie dem Ziel verpflichtet, die Befriedigung der Bedürfnisse zukünftiger und gegenwärtiger Menschen mit einer besonderen Priorität für die Armen sicher zu stellen, was zu einem Ansatz von Nachhaltigkeit als Forderung von Gerechtigkeit führt.
Nachhaltigkeit als Forderung von Gerechtigkeit
Der Ansatz einer starken und verbindlichen Nachhaltigkeit legt eine gerechtigkeitstheoretische Lesart nahe. Die entscheidende Gerechtigkeitsperspektive ist der Anspruch aller Menschen auf gleiche Nutzungschancen der global zugänglichen Ressourcen (Ressourcengerechtigkeit). Dies führt zum einen zu einer zeitlichen Entschränkung der Gerechtigkeitsperspektive (intergenerationelle Gerechtigkeit): Die Folgen und Kosten der Übernutzung der Mitwelt dürfen durch die gegenwärtige Generation nicht in die Zukunft der noch ungeborenen Generationen exportiert werden. Die klassische Definition findet sich im so genannten Brundtland-Bericht (1987) der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der UN. Dort bezeichnet „sustainable development“ eine „Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“
(„development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs“). Zum anderen rückt die räumliche Entgrenzung des Gerechtigkeitsverständnisses ins Blickfeld (globale Gerechtigkeit), weil einerseits durch Menschen des globalen Nordens der zur Verfügung stehende Mitweltraum überproportional in Anspruch genommen wird – gemessen etwa an ihrem ökologischen Fußabdruck – und weil andererseits die, die am wenigsten dafür verantwortlich sind, am meisten unter den ökologischen Schädigungen als auch unter den drohenden Kosten der Gegenmaßnamen zu leiden haben. Damit wird die Frage nach der historischen Verantwortung des Globalen Nordens für das Artensterben, die Klimaerwärmung und die Vermüllung der Meere aufgeworfen (korrektive Gerechtigkeit). Das Konzept der „Earth System Justice“ kann als eine Weiterentwicklung der Ressourcengerechtigkeit verstanden werden. Es beruht auf der Vorstellung, dass soziale und ökologische Gerechtigkeit untrennbar miteinander verbunden sind. Dabei trägt die Menschheit die Verantwortung für ein intaktes Erdsystem und die Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeiten.
Anthroporelationalität und ganzheitliche Verantwortung
In den meisten Nachhaltigkeitsmodellen wird davon ausgegangen, dass die Ökosysteme einfach da sind und funktionieren. Zudem wird der Wert der Natur ausschließlich nach menschlichen Präferenzen bewertet. Das Nichtmenschliche ist nur insoweit wertvoll, wie es wichtig für das menschliche Gedeihen ist. Das Konzept einer starken Nachhaltigkeit ist demgegenüber mit einem anthropologischen und ethischen Paradigmenwechsel verknüpft. Nicht mehr die abgrenzende Gegenüberstellung von Mensch und Welt, sondern das verletzliche In-der-Welt-Sein und Mit-der-Welt-Sein stehen im Mittelpunkt. Es geht nicht um Herrschen oder Beherrschen, sondern um das Teilen und Ermöglichen von Leben. Die Bewältigung der sozial-ökologischen Krise wird als ein moralischer Lernprozess begriffen. Es wird darauf gehofft, dass sich die Anerkennung der gleichen Würde aller Menschen und die Anerkennung der Menschenrechte in der 3 Bekräftigung des intrinsischen Wertes der Ökosysteme und anderer Formen von Leben fortsetzt – bis hin zu dem Punkt, dass der Natur auch Rechte zugesprochen werden.
Retinität als Ausdruck von Gesamtvernetzung
In einer ökologisch-relationalen Nachhaltigkeitsperspektive wird zudem die „ökologische Integrität“ und die Achtung der komplexen Beziehungs- und Wirkungszusammenhänge, die Mensch, Tier, Pflanze, Wasser, Erde und Luft miteinander verbinden, zum Gegenstand der ethischen Reflexion. Das ganze Netz des Lebens – Biosphäre, Atmosphäre, Wasserkreisläufe, Böden – muss auf Dauer intakt gehalten werden. Papst Franziskus umschreibt dies in der Enzyklika Laudato si‘ (2015) mit dem Ansatz einer „ganzheitlichen Ökologie“ (LS 137–162). Demzufolge wird das Faktum, dass alles miteinander verbunden ist (vgl. LS 16, 42, 89, 91, 117, 138, 220, 240, 246), zugleich als normatives Diktum verstanden, die komplexen ökologischen Beziehungs- und Wirkungszusammenhänge zu achten. In der sozialethischen Diskussion wird hierfür der Terminus Retinität verwendet.
Suffizienz und Gratuität
In einer kulturellen Nachhaltigkeitsperspektive rückt ins Bewusstsein, dass die sozial-ökologische Transformation nicht allein und nicht hinreichend mit soziotechnischen Effizienz-Strategien erreicht werden kann. Demgegenüber gewinnen Suffizienz-und Konsistenz-Strategien an Bedeutung, die einen tiefreifenden Kulturwandel und Wandel unseres Lebensstils zur Voraussetzung haben. Nachhaltiges Denken und Handeln zielt in dieser Perspektive auf ein Leben, das weniger auf Status, Verbrauch und Konsum ausgerichtet ist, aber trotzdem – oder auch gerade dadurch – mit einem Zuwachs an Zufriedenheit, Beziehung, Freude, Sinn und Erfüllung verbunden sein kann. In dieser Hinsicht ist es bereichernd, Nachhaltigkeit und Gratuität aufeinander zu beziehen. Das aus der Befreiungstheologie stammende Prinzip der Gratuität (von franz. gratuit umsonst, unentgeltlich) meint einen Einsatz ohne persönliches Gewinnstreben aus der Motivation heraus, dass Menschen Gutes umsonst empfangen haben und Gutes deswegen auch unentgeltlich weitergeben. Das gegenseitige Wissen um spezifische Talente und Fähigkeiten jedes Menschen ist in den verschiedenen Religionen kulturübergreifend ausgeprägt: Die unverzweckte Weitergabe von Talenten als Geschenk hat im jüdisch-christlichen Schöpfungsverständnis ihren Ursprung im Verständnis einer von Gott erschaffenen Lebensgrundlage. Gratuität ist aber auch in vielen anderen Religionen und indigenen Kulturen verankert und könnte gerade aus diesem Grund das Nachhaltigkeitsverständnis der KU profilieren. Darüber hinaus kann in dieser Perspektive der Diskurs um eine „Ökonomie der Großzügigkeit“ (Fred Luks, 2023) aufgegriffen werden.