Interview mit Prof. Dr. Barbara Staudigl zum Marchtaler Plan

Anlässlich des Neustarts des Zertifikatskurses „Nachhaltige Bildung auf der Grundlage des Marchtaler Plans“ erklärt Prof. Dr. Staudigl, Schul- und Hochschulreferentin der Diözese Eichstätt, im Interview die Grundlagen des Marchtaler Plans.

Am 25. September 2019 startet der Zertifikatskurs „Nachhaltige Bildung auf der Grundlage des Marchtaler Plans“ an der Religionspädagogischen Fakultät. Der Zertifikatskurs ist eine Weiterentwicklung des zuvor sechs mal erfolgreich durchgeführten Kurses „Katholische Reformpädagogik unter besonderer Berücksichtigung des Marchtaler Plans“. Die Neuausrichtung soll dem gesellschaftlich immer relevanter werdenden Thema der Nachhaltigkeit Rechnung tragen, dabei jedoch die bewährten Grundlagen des Marchtaler Plans weiterführen. Mitbegründerin des ursprünglichen Zertifikatskurses ist Prof. Dr. Barbara Staudigl, die anlässlich des Neustarts im Interview die Grundlagen und Ziele des Marchtaler Plans erläutert.

Was ist der Ursprung des Marchtaler Plans und welche Verbreitung hat er?

Der Marchtaler Plan ist ein reformpädagogisches Konzept aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hatten es sich einige Schulleitungen katholischer Schulen zur Aufgabe gemacht, die Prägekraft des christlichen Menschenbildes für katholische Schulen, für Unterrichtsgestaltung und Schulalltag zu reflektieren und mit reformpädagogischen Elementen zusammenzudenken. Daraus entstand das Konzept des Marchtaler Plans. Er ist der Rahmenplan der katholischen Schulen in seiner Herkunftsdiözese, Rottenburg-Stuttgart, man findet ihn zudem in Österreich, in den neuen Bundesländern und in Bayern.

Wie kam es zur Entwicklung des ersten Zertifikatskurses und wozu brauchte es diesen?

In Bayern gibt es den Marchtaler Plan seit den späten 1980er/frühen 1990er Jahren in einigen Grund- und Mittelschulen in Augsburg, Regensburg, Würzburg und Neu-Ulm. Im Jahr 2009 entschied sich die Diözese Eichstätt dafür, den Marchtaler Plan ebenfalls zum Rahmenplan für die sechs diözesanen Schulen zu machen mit der Maria-Ward-Realschule als Pionierschule einer Realschule in Bayern. Ich selbst war schon länger ausgebildete Marchtaler-Plan-Pädagogin und habe die Schulleitung der Maria-Ward-Realschule mit diesem Auftrag der Umgestaltung übernommen.

Ein anderes Unterrichts- und Schulkonzept braucht eine andere Optik: auf Schüler/innen, auf das System Schule, auf Kirche als Träger von katholischen Schulen. Damit Lehrer/innen befähigt werden, nach dem Marchtaler Plan zu arbeiten, sollten sie eine gute und fundierte Zusatzqualifikation erhalten. Was lag näher, als die katholische Reformpädagogik nach dem Marchtaler Plan an der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt anzusiedeln und an der Fakultät, an der ich selbst jahrelang als Pädagogikprofessorin gelehrt hatte?

Der Zertifikatskurs ist zudem wichtig als Weggemeinschaft von Lehrkräften aus allen Diözesen und Schularten, die sich aufgemacht haben, Schule anders zu sehen und zu leben. Schule mit ihren Menschen und all ihren Facetten konsequent vom christlichen Menschenbild und von der Reformpädagogik her zu reflektieren und durchzudeklinieren, ist spannend und ermöglicht einen neuen Blick. Das braucht Zeit, muss durch Denken, Diskutieren, durch Ausprobieren und Herstellen von Materialien, aber auch durch gemeinsame spirituelle Impulse eingeübt werden. Ein Kurs von 12 Monaten und etlichen Präsenztagen bedeutet viel Zeit, aber nach sechs Kursdurchläufen bin ich mir sicher: gefüllte, intensive Zeit, die nicht nur den jeweiligen Schulen, sondern auch den teilnehmenden Lehrkräften zugutekommt.

Was bedeutet die Umgestaltung nach den Prinzipien des Marchtaler Plans für die Schulen? Was verändert sich?

Im Zentrum des Marchtaler Plans steht wie in allen katholischen Schulen das christliche Menschenbild. Sich die biblischen Dimensionen bewusst zu machen, sich Zeit zu nehmen, sie für den Schulalltag zu reflektieren, ist ein zentrales Element. Was bedeutet Endlichkeit im schulischen Kontext, was die Zusage der Ruhe im Kontext des Schöpfungsgeschehens, wie verhält es sich ganz konkret mit der Zusage der Freiheit und der Übernahme der Konsequenzen ebendieser Freiheit? Der Marchtaler Plan soll und will zu allererst diese anthropologischen Aspekte des biblischen Menschenbildes im Schulalltag präsent machen.

Dazu kommen die Strukturelemente des Morgenkreises am Montagmorgen als gemeinschaftsförderndes und Ruhe stiftendes Element; der Freien Stillarbeit als reformpädagogischem Element, das Freiheit und Verantwortung des Kindes ernst nimmt und ihm abverlangt, im eigenen Rhythmus und mit selbst gewählter Sozialform Stoff zu erarbeiten und Ergebnisse zu erreichen.

Und schließlich das Proprium des Marchtaler Plans, der Vernetzte Unterricht, den ich besonders faszinierend finde: Hier werden die zweistündigen Fächer Geschichte, Geographie, Biologie und katholische Religionslehre verknüpft und als Epochenunterricht à 8 Stunden pro Woche angeboten. Einzigartig ist in meinen Augen der Aspekt, alle ethischen und religiösen Fragen an die Sachthemen zurückzubinden. Beispielsweise Karl den Großen oder die Kolonialisierung unter ethischen und religiösen Gesichtspunkten und im interdisziplinären Verbund mit anderen relevanten Sachfächern zu beleuchten.

Für den Vernetzten Unterricht gibt es eigene Lehr- bzw. Unterrichtspläne, die für die Realschulen in Bayern im Auftrag und unter der Federführung des Katholischen Schulwerks erstellt werden.

Welche positiven Effekte gibt es (für die Schulen und für die Schülerinnen und Schüler)?

Einer der auffallendsten positiven Effekte ist eine ruhigere Atmosphäre: Sowohl der Morgenkreis als auch die Freie Stillarbeit tragen dazu bei, dass der Wochen- und Tagesbeginn durch Ruhe geprägt ist.

Ein zweiter Effekt ist das Einüben der schwierigen Balance zwischen Freiheit und Verantwortung. Schüler/innen lernen, Verantwortung für ihre Lernprozesse zu übernehmen. Nichts fand ich erstaunlicher als die Freitagnachmittage, an denen bis zu 40 oder 50 Schüler/innen da waren, die freiwillig die Arbeiten der Freien Stillarbeit nachgeholt haben, die sie wohl während der vorgesehenen Zeit nicht diszipliniert genug erledigt hatten.

Und schließlich befördern die Freie Stillarbeit, der Vernetzte Unterricht und in höheren Klassen die Freien Studien Teamarbeit und problemlösendes Verhalten.

Wie sehen Sie die Zukunft katholischer Schulen in Bayern?

Katholische Schulen erfreuen sich in ganz Deutschland großer Beliebtheit. Oft ist die Nachfrage größer als das Angebot. Das hängt sicher damit zusammen, dass Eltern hier allgemein eine Werteerziehung vermuten, die ich weniger an Werten, sondern am christlichen Menschenbild festmachen würde.

Allerdings wird es für die Träger der katholischen Schulen mit dem eklatanten Rückgang der Kirchensteuergelder durch die vielen Austritte immer schwerer, der Trägerverantwortung gerecht zu werden. Das zeigt sich v.a. in der enormen Baulast, die mit der Trägerschaft verbunden ist. Ich sehe es durchaus mit Sorge, dass viele in der Gesellschaft, die durch Kirchenaustritte ihren oft berechtigten Unmut über Missbrauchs- und Finanzskandale kundtun, zu wenig bedenken, dass von den Kirchensteuergeldern auch kirchliche Schulen, Kindergärten – oder natürlich auch Altenheime und Krankenhäuser - bezahlt werden.

Gleichwohl ist für mich als „Schulfrau“ natürlich klar, dass Schulen und Kindergärten die letzten Scharniere zwischen Gesellschaft und Kirche sind und so lange wie möglich erhalten werden müssen. Sie können großartige pastorale Erfahrungsräume für junge Menschen sein.

Das Interview führte Prof. Dr. Sabine Bieberstein, Professorin für Exegese des Neuen Testaments und Biblische Didaktik, die den Zertifikatskurs seit 2010 mitkonzipiert hat und leitet.

Informationen zum neu ausgerichteten Zertifikatskurs finden Sie hier.