Eichstätter Studierende haben sich eine Woche (16. bis 20. Oktober 2017, Leitung Prof. Dr. Uto Meier) mit dem Thema „Friedenssicherung“ im Zentrum für Informationsarbeit der Bundeswehr (ZInfoABw) auseinandergesetzt. Von ethischen Fragen über den richtigen Ton in der Kommunikation, von Krisen bis hin zu sehr persönlichen Einblicken in den Alltag eines Auslandseinsatzes erlebten die Teilnehmer eine inspirierende und gleichzeitig herausfordernde Zeit über die Fakultätsgrenzen hinaus in Berlin. Seminarteilnehmer Jakob Kube berichtet:
Ein riesiges dunkelrotes Gemälde fordert jeden heraus, der im Osten Berlins das ZInfoABw im alten Tagungszentrum der Warschauer-Paktstaaten betritt. Drei markante Gesichter sind darauf zu sehen. Gesichter die auch die deutsche Geschichte mehr oder weniger stark geprägt haben. Mit Marx, Lenin und Engels blicken drei kommunistische Ikonen auf die Besucher herab und sorgen für fragende Gesichter unter den Studierenden. Sie sind doch hier, um sich eine Woche mit der deutschen Sicherheitspolitik zu beschäftigen. Und Fragen zu stellen, also was soll das Bild?
Der stellvertretende Bereichsleiter "Bundeswehr und Gesellschaft", ein engagierter Hauptmann, kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Die Begrüßung fällt knapp und direkt aus. Das kuriose Bild an der Wand, das haben sie hier ganz bewusst hängen lassen, sagt der Hauptmann. Der Ort, der früher dem Warschauer Pakt und NVA als Tagungszentrum diente, wurde von der Bundeswehr nach der deutschen Einigung kurzerhand zum Zentrum für Informationsarbeit umgebaut. Die Ausbildung und Schulung von Mitarbeitern und eben auch Seminare für Hochschulgruppen finden hier das ganze Jahr über statt. So erscheint das Bild provokant passend in dieser Umgebung, wollen sich die jungen Leute doch auch kontrovers mit dem Thema Sicherheitspolitik befassen und ihr eigenes Denken herausfordern. Es ist eine bemerkenswerte Art und Weise, wie mit der militärgeschichtlichen Vergangenheit umgegangen wird.
Grundlagen der Sicherheitspolitik
Es scheint auch die Seminarteilnehmer zum kreativen Denken anzuregen und so entsteht eine ergiebige Diskussionsrunde, nachdem Dr. Caja Schleich in ihrer Rolle als „Betreuungswissenschaftlerin“ in einer ersten Einführungsrunde die Frage in den Raum stellt, was denn nun Sicherheitspolitik alles bedeute. Die unterschiedlichsten Fachrichtungen der Studierenden tragen dazu bei, das Thema aus verschiedenen Perspektiven interdisziplinär zu betrachten. Studierende der internationalen Beziehungen sehen so das große Ganze der Weltpolitik unter den Aspekten von Interessenpolitik und Wertebindung zwischen Staaten und anderen Akteuren. Religionspädagogen verweisen auf die christlichen Werte und ethischen Legitimationsfragen zu und in den Bundeswehreinsätzen. Lateinamerikastudierende bringen sich mit gesellschaftlich relevanten Fragen zum Rückhalt der Einsätze in der Bevölkerung ein und auch die angehenden Journalisten stellen Fragen an die Kommunikationspolitik der Bundesregierung zu Sicherheit und Frieden.
Beim gemeinsamen Abendessen im Speisesaal und anschließendem Kennenlernen in der Bar kommt man am Abend ins Gespräch. Hier trifft man auf neue Gesichter, Soldaten die aus ihrem Einsatz berichten wie auch ägyptische Presseoffiziere, die in der Krisenkommunikation am ZInfoABw geschult werden.
Kontroversen erwünscht
Auch die nächsten Tage halten viel Neues für die Studierenden bereit. Die erste Fahrt ins Zentrum von Berlin beginnt mit dem Besuch des Auswärtigen Amtes und einem Input zur Außenpolitik Deutschlands. Dem allgegenwärtigen Thema Donald Trump und wie man mit ihm umzugehen habe. Russland und Putin, das ist natürlich auch relevant. Die Referentin deckt das alles ab, erzählt, was man ernster nimmt und was eben nicht, beruhigt auch ein wenig zur Gelassenheit im Umgang mit Trump und stellt sich mutig den Fragen der Studenten. Die Dame kommt hier ein wenig ins Schwitzen, so gut informierte Leute hat sie nicht jeden Tag im Besucherraum. Sie freut sich aber letztendlich interessierte Zuhörer zu haben, die auch vor kritischen Fragen nicht zurückscheuen. Die ihre Rolle als mündige Bürger auch nutzen.
Im Bundesverteidigungsministerium ergibt sich ein ähnliches Bild. Ein überzeugender Oberstleutnant schafft es dabei, auch einen persönlichen Einblick in seine Erfahrungen mit der Mandatierung von Bundeswehreinsätzen zu geben. Es bestätigt sich bei den Studierenden der Eindruck, dass Menschen vor ihnen stehen, die mit viel Leidenschaft arbeiten, auch eigene Sorgen haben und mit Reibungspunkten zwischen den diversen Ressorts des Verteidigungsministeriums konstruktiv umgehen müssen – und dies wohl auch können. Bei herzhaftem Gulasch-Eintopf und bayerischem Bier klingt der Abend im Gewölbekeller des Katholischen Militärbischofsamtes aus und ein Hauptabteilungsleiter und der Chefredakteur der Zeitschrift Kompass, erzählen als Gastgeber von ihren eigenen Studienerfahrungen und tauschen sich mit den Studierenden zu Konzepten und Chancen der Militärseelsorge heute aus.
Fördern und Helfen
Am nächsten Morgen geht es dann wieder im Herzen Berlins um die Rolle Deutschlands als Helfer und Partner in der Welt. Im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erfahren die Teilnehmer Grundlegendes über die Entwicklungshilfe und Zusammenarbeit und diskutieren darüber, wie sich Krisen und mit welchen Instrumenten diese sich schon präventiv erkennen und vermeiden lassen. Ein hochrangiger Referent und ein Mitarbeiter von Engagement Global spannen den Bogen auch zu Themen, die die Teilnehmer unmittelbar betreffen. Themen, die in ihrem Alltag eine immer wichtigere Rolle spielen. Der faire Handel mit Lebensmitteln und Kleidung – da hat jeder von ihnen einen direkten Anknüpfungspunkt und da kann und will auch jeder mitreden. „Wie das denn sein kann, dass europäische Modeketten ihre T-Shirts für 3 Euro verkaufen könnten?“, fragt eine Teilnehmerin. Gemeinsam sei es ihnen bewusst, dass jemand anderes den Preis dafür bezahlen müsse, jemand der in einem Entwicklungsland unter teilweise menschenunwürdigen Bedingungen dafür arbeiten müsse. Dennoch stellen sich viele hier auch die Frage, ob man sich fair gehandelte Baumwollartikel wirklich leisten könne. Und ob die Fairtrade-Siegel überhaupt aussagekräftig seien, denn viele Unternehmen betrieben ja nur Greenwashing. Es entsteht eine kontroverse aber produktive Diskussion und in den Reaktionen der Referenten zeigt sich Erstaunen darüber, dass diese jungen Leute so reflektiert und selbstkritisch über ihren eigenen Konsum nachdenken. Auch in der anschließenden Busfahrt zum italienischen Restaurant lässt die Studierenden die Diskussion nicht los. Während die U-Bahn über ihren Köpfen hinwegrollt, genießen sie gemeinsam ihre frischen Pizzen und blicken an die Decke des großen, mit Michelangelo-Fresken aus der Capella Sistina verzierten U-Bahngewölbes, unter dem sich das Restaurant 12 Apostel befindet. Hier ist auch mal gut Zeit, um das Erlebte auf sich wirken zu lassen.
Die Wahl der richtigen Worte
Im Bundespresseamt wird es dann insbesondere für die Journalisten unter den Teilnehmern hoch interessant. Es geht um spontanes Reagieren auf Krisenmeldungen, die richtige Wahl der Worte und kritische Journalisten, mit denen man umgehen lernen muss. Auch hier erhalten die Studierenden einen sehr persönlichen Einblick in den Alltag der Regierungskommunikation, bis hin zur Erkenntnis, wer denn die kleinen Zettel wie vorbereitet, die die Bundeskanzlerin bei ihren Pressestatements als Regierungsposition vorträgt.
Auf Einladung des Auswärtigen Amtes verbringen einige Teilnehmer den Abend bei einem malerischen Empfang durch den malischen Botschafter mit würzigem afrikanischen Reis, frittierten Bananen und herzlichen Gesprächen mit Musikern, die in der Berliner Szene der afrikanischen Musik auftreten; die in den kleinen Bars in Kreuzberg oder Neukölln, fernab der politischen und bürokratischen Welt, in der sich die Studierenden in den letzten Tagen bewegt haben, ihre Kunst vortragen. In eben solchen Bars trinken sie an diesem späten Mittwochabend ein herzhaftes Bier einer tollen Berliner Kreativbrauerei oder probieren die traditionelle Berliner Weisse, dabei hallen die Fragen und Themen des Tagen noch lange nach. Wird Regierungskommunikation in die Bar-Kommunikation übersetzt.
Im Einsatz
Am Donnerstag treffen die Teilnehmer auf einen einsatzerfahrenen Hauptmann und Jugendoffizier. Mit seiner kräftigen und lauten Stimme füllt er den Raum, macht auch den hintersten Reihen bewusst, dass er seiner Arbeit mit großer Leidenschaft nachgeht. Sein strammes Auftreten offenbart aber auch etwas anderes. Trotz der Zielstrebigkeit und der Konsequenz, mit der er seine Aufgaben in der Bundeswehr verfolgt, wird dennoch klar, dass seine Einsätze in Mali auch ihn bewegt haben, ihn stark gemacht haben, durch schmerzhafte und hoffnungsvolle Erfahrungen, die er ganz offen mit den Studierenden teilt. Er läßt sie wie ein großer Erzähler des Orients eintauchen in den Einsatz, illustriert die Probleme und Sorgen der Soldaten und die Lebenswelt im Einsatz mit starken Bildern und schafft Empathie für hoch komplexe Fragen und Herausforderungen und scheut sich auch nicht vor einem Outing, wie er persönlich mit der Nähe zu Tod und Sterben umgeht. Betroffenheit unter den Studierenden.
Kontroverse Positionen – Kontroverse Kommunikation – Kontroverse Rückblicke
Eine ganz andere Position, mit Konflikten umzugehen als „nur militärisch“, wird im Besuch des Bundestages deutlich. MdB Dr. Finckh-Krämer, Mitglied im Verteidigungsausschuß, führt ein in die Kontrast-Konzepte gewaltlosen Widerstandes zur Lösung in konfligierenden Szenarien: Wie man im Kosovo durch „gemischte Body-Guards“ Übergriffe auf Mandatsträger der „anderen Seite“ verhindert, wie im Vorfeld eskalierender Konflikte – etwa in der Ukraine – vertrauensbildende Maßnahmen durch paritätische Transparenz-Instrumente (= Jede Seite darf beim anderen Luftaufklärung betreiben, um einer „Einkreisungs-Paranoia“ zu begegnen) fördern kann, und wie konkret „Abrüstung im Kopf“ stattfinden kann und organisiert werden muss. Es spricht für die Bundeswehr, dass sie auch den Dialog mit alternativen Konzepten von Sicherheitspolitik in ein Seminar über „Frieden und Sicherheit und deren Kommunikation“ einbindet. Und es ist schon erstaunlich, dass Pazifisten und Vertreter des „vernetzten Ansatzes“ in der Sicherheitspolitik gar nicht so gänzlich auseinander sind.
Warum der eine oder andere Vertreter der Bundesministerien in der Bundespressekonferenz bella figura oder entlarvende Lacher beim Zuschauer als Eindruck zurückläßt, das erhellt eine versierte Kommunikationswissenschaftlerin mit viel Heiterkeits-Didaktik den zukünftigen Multiplikatoren und möglichen Eliten aus der KU.
Der letzte Programmpunkt des Seminars zeigt eindrucksvoll die leidvolle Seite der Bundeswehr-Einsätze. Im Wald der Erinnerung, dem „Deutschen Arlington“ am Einsatzführungskommando Potsdam, werden die Studierenden bei einer respektvollen Führung mit Einzelschicksalen gefallener Soldaten konfrontiert.
Die Studenten betrachten die Stelen mit den Namen der Verstorbenen für Besucher und es lässt sie nicht kalt. So offensichtlich wird der Schmerz und die Trauer der Hinterbliebenen, die ihre Kinder, Ehepartner und Freunde im Einsatz verloren haben. Mit persönlichen Bildern und Karten, die allen nahegehen. Zuvor zeigen anschaulich die Pressereferenten beim Besuch des Pressezentrums im Einsatzführungskommandos Potsdam, wie Auslandseinsätze – bis hin zur schweren Mitteilung an die Angehörigen, wenn es zu Opfern kommt – organisiert werden, wie ihr Sinn kommuniziert wird und wie die politische Kontrolle ganz praktisch bis in die Camps oder Schiffe hinein ausgeübt wird. Parlamentsarmee live!
Dass die militärische und die zivile Welt auf ganz natürliche Weise aufeinandertreffen, erleben alle gemeinsam am letzten Abend. Der Kommandeur des ZInfoABw und Letztverantwortlicher für dieses Seminar, wird an der Bar der Kaserne sehr persönlich. Neben seinen spannenden Analysen zu gegenwärtigen Konfliktregionen geht es diesmal jedoch auch um seine eigenen Erfahrungen in Eichstätt. Der Eichstätter Politik-Professor Klaus Stüwe hatte ihn - auf Vermittlung von Prof. Meier – im Sommersemester erst zu einem Vortrag in die kleine Oberbayerische Stadt eingeladen. Wie der Offizier erzählt, habe er den Abend bei einem Bier in der Kneipe „Nachtwächter“ verbracht. Mehr Eichstätt geht da nicht mehr. Die militärische und die studentische Welt, die hier aufeinandertreffen, scheint hier bei den alltäglichen Ritualen auf einen Nenner zu kommen, und es übersteigen die vermeintlichen Systemgrenzen (N. Luhmann) im lockeren und respektvollen Dialog außerhalb der institutionellen Rollen und Zwänge die Grenzen. Ein hoher Kommandeur hört die Argumente und Einschätzungen von Studierenden ernst an.
Hier, an der Bar und der Theke und beim Frühstück zwischen den Fakultäten und mit Offizieren aus aller Welt zeigt es sich, dass Interdisziplinarität und Transdisziplinarität jeden Tag stattfindet und die Hürden für einen fruchtbaren Austausch geringer sind als sie scheinen. Bei einem Glas Bier kommen schließlich alle ins Gespräch. Über Frieden und Sicherheit und Kommunikation und das Leben überhaupt.