28 Studierende aus Eichstätt hielten sich unter der Leitung von Prof. Dr. Uto Meier vom 12. bis 16. November 2018 in Berlin auf. In einem Seminar, das in Kooperation mit dem Informationszentrum der Bundeswehr (ZInfoABw) durchgeführt wurde, ging es um das Thema „Friedenssicherung“. Die Studierenden, die aus verschiedenen Fakultäten stammten, erhielten einen Einblick in wichtigen Institutionen des Staates und die Möglichkeit zu exklusiven Gesprächen mit hochrangigen Entscheidungsträgern. Seminarteilnehmer Gunnar Hollweg schildert seine Eindrücke:
Obgleich jeder Teilnehmer unserer Gruppe etwas anderes studiert, bemerken wir bereits beim Vortreffen, dass wir alle eines gemeinsam haben: Wir wissen nicht genau, was uns in Berlin erwartet. Der erste Blick auf das Programm macht stutzig. „Eintreffen und Beziehen der Stuben“ und „Begrüßung der Teilnehmenden – Kommandeur ZInfoABw o. V. i. A.“ stehen da als erste Programmpunkte. Ist das nicht doch etwas militärisch? Müssen wir am Ende noch strammstehen?
Doch bereits bei der Begrüßung im großen Foyer des Informationszentrums im berlinnahen Straußberg wird deutlich, mit welcher Offenheit und Gastfreundschaft wir empfangen werden. Alle Gesprächspartner*innen, die wir in den nächsten Tagen treffen werden, begegnen uns auf Augenhöhe und sind für kritische Anmerkungen offen. Bereits am ersten Abend nach dem Essen haben wir die Gelegenheit, mit Offizieren und Kommandeuren unterschiedlicher Dienstgrade über ihre Tätigkeit, ihre Auslandserfahrungen und die vor uns liegende Woche zu sprechen. Neben einer guten Unterkunft und ausgezeichneter Verpflegung wartet ein strammes Wochenprogramm auf uns. Wir starten sofort mit bekannten Institutionen der hauptstädtischen Politikwelt, die wir bisher fast ausschließlich aus den Medien kennen.
Im Auswärtigen Amt geht es thematisch direkt ans Eingemachte: Ein Referent, der sich als Experte für Nato und sicherheitspolitische Fragen vorstellt, bespricht mit uns, wie sich die außenpolitische Handlungsfähigkeit für Deutschland in den letzten Jahren geändert hat. Dabei geht er auf die seit 2014 schwelende Krimkriese ein, die Deutschland und die EU politisch und diplomatisch herausfordert. Und auch neue kriegerische Aktivitäten wie Cyberattacken und hybride Kriegsführung werden besprochen und von uns Studierenden hinterfragt. Viele weitere aktuelle Fragen werden detailliert diskutiert und der Referent wagt mit den Teilnehmenden einen Blick in die Zukunft. Wie geht es weiter auf dem internationalen Polit-Parkett? Was bedeutet das für Deutschland? Welche Handlungsoptionen hat die deutsche Außenpolitik? Wo steht Europa wirtschafts- und sicherheitspolitisch? Wie ist das Verhältnis zu Amerika mit einem Präsidenten Donald Trump? Bei so vielen Fragen und gut informierten Studierenden vergeht der Vormittag wie im Fluge. Auch beim Mittagessen im noblen „Foreign Affairs“ wird intensiv weiterdiskutiert.
Danach geht es weiter ins Bundesverteidigungsministerium. Zunächst hören wir einen einführenden Vortrag von zwei Oberstleutnants zu deutschen Militäreinsätze. Nach einer lebhaften Diskussion über das Für und Wider kriegerischer Interventionen wird es ruhiger in der Gruppe. Wir besuchen eine Gedenkstätte auf dem Gelände des Ministeriums, die gefallenen Soldaten gewidmet ist. Hier wird allen das erste Mal hautnah bewusst, mit welchem todernsten Thema wir uns hier auseinandersetzen. Friedenssicherung ist eine Frage, die man nicht nur mit dem Militär diskutieren sollte. In einem weiteren Gespräch hören wir deshalb die Position des Bundestagsabgeordneten Stefan Liebich. Der Politiker der Linken erläutert seine Haltung zu deutschen Militärinterventionen in Krisengebieten. Wir Studierende haben die Möglichkeit, das bisher Gehörte mit ihm zu erörtern und die verschiedenen Meinungen abzuwägen. In der Diskussion mit Liebich stehen immer wieder diese Fragen im Raum: Brauchen wir Waffen für Frieden? Darf sich eine Nation als friedlich bezeichnen, die selbst im großen Stil Waffen produziert und exportiert? Auch das schwere Erbe deutscher Geschichte bleibt nicht außenvor. Den Teilnehmenden wird wiederholt klar, dass Deutschland mit seiner Geschichte eine besondere Rolle beim Thema Krieg und Frieden einnimmt. Dabei lassen sich nicht auf alle Fragen eindeutige Antworten finden, aber der Diskurs bringt die Gruppe weiter.
Die Abende in Berlin stehen zur freien Verfügung, werden aber überwiegend gemeinsam verbracht. So werden beispielsweise die Ereignisse des Tages in kultigen Restaurants bei einem gemeinsamen Bier und gutem Essen „verdaut“. Auch die Koordinatoren des Informationszentrums, Dr. Böckenförde und Dr. Schäfer, nehmen sich dabei Zeit, mit den Teilnehmenden tiefer ins Gespräch zu kommen. Beide kennen Berlin, die deutsche Außenpolitik und die deutsche Geschichte so gut, dass so mancher interessante Aspekt vom Tag noch einmal reflektiert wird. Gemeinsam mit Prof. Dr. Meier stehen sie dabei auch beratend zur Seite. Denn die guten Kontakte, die bei unserem Besuch in Berlin geknüpft werden, bieten nicht nur spannende Insider-Einblicke, sondern eventuell auch die Möglichkeit, Anlaufstellen für das spätere Berufsleben auszuloten.
Der weitere Aufenthalt in Berlin gestaltet sich bunt. Im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) lernen wir einen ganz anderen Aspekt der deutschen Außenpolitik kennen. Ein Referent erklärt uns, wie fundamental wichtig die weltweite Entwicklungshilfe für Deutschland ist. Er verschweigt auch nicht, dass sie in erster Linie an staatliche Interessen gekoppelt ist. Dennoch seien es politische Werte und Verantwortung, die die Regierung dazu bewegen, sich für Konfliktprävention einzusetzen und ärmeren Ländern Perspektiven zu schaffen. Dabei dürfe man nicht nach der Prämisse handeln, alles auf einmal ändern zu wollen. Vielmehr müsse die mögliche Hilfe auf die prekäre Situation fragiler Staaten im historischen Kontext gesehen werden, betont der Gastgeber. Dabei müssten sich helfende Staaten auch auf die kulturellen Begebenheiten vor Ort einlassen. Auch hier werden verschiedene Konflikttheorien besprochen. In vielen Teilen der Welt entstünden Konfrontationen durch Exklusion und Ungleichverteilung, präzisiert der Referent. Im BMZ suche man nach internationalen Lösungen, um solchen und anderen Problemen entgegenzuwirken. Denn wirtschaftliche, militärische und soziale Sicherheit sei die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben und nicht zuletzt auch für wirtschaftliche und kulturelle Partnerschaften. Anschließend teilt sich die Gruppe: Die einen bekommen einen exklusiven Einblick in das Bundeskanzleramt. Sie sehen das Büro der Kanzlerin und Merkels Aussicht über die Dächer von Berlin. Die Studierenden des Faches „Journalistik“ nehmen in der Bundespressekonferenz an einer Regierungspressekonferenz teil. Dort lernen sie die bekannte blaue Wand kennen, vor der schon jeder namenhafte Politiker der Presse Rede und Antwort stehen musste. Der Besuch im Bundespresseamt ist ein passender Anschluss. Dort sehen die Studierenden, wer der Kanzlerin und ihren Regierungssprechern zuarbeitet, um immer gut informiert zu sein. Besonders für die Journalistikstudierenden wird es hier interessant. Denn ein führender Mitarbeiter des Hauses erzählt, dass alle Regierungssprecher namhafte Profis aus der deutschen Presselandschaft sind. Auch hier kommt die eine oder andere kritische Nachfrage: Wenn eine Institution, die der Kanzlerin untergeordnet ist, Journalistenseminare anbietet und selbst journalistische Produkte veröffentlicht, inwiefern nimmt dadurch die Regierung Einfluss auf Meinungsbildung und Presse im Land? Sollte der Staat nicht klar von der Presse, einer kritischen Instanz, getrennt sein? Eine spannende Debatte beginnt, zu der jede*r etwas beizutragen hat. Der Gastgeber reagiert souverän und weiß die Arbeit des BPA genau zu definieren und zu legitimieren.
Der nächste Tag beginnt in Potsdam. Im Einsatzführungskommando sehen die Seminarteilnehmenden das Herzstück der militärischen Koordination. Hier erfahren sie, wie ein Militäreinsatz organisiert wird und vor welchen logistischen Herausforderungen alle Beteiligten stehen. Aus Sicherheitsgründen ist alles etwas strenger: Ständige Begleitung, immer bei der Gruppe bleiben und auf keinen Fall Fotos, lauten die Regeln. Erst in der Kantine der Bundeswehrzentrale wird es wieder entspannter. Für viele ist das ein Höhepunkt des Tages: Einfach beim gemeinsamen Essen die Möglichkeit nutzen, sich mit Soldat*innen auszutauschen. Hier gilt: Offen miteinander reden und Fragen stellen. Die Mensa wirkt wie ein Ruheraum, trotz der strengen Regeln auf dem Gelände. Die jungen Leute aus Eichstätt lernen offene, interessierte und ehrliche Menschen kennen, die sich sichtlich über die Gespräche freuen. Nach dem Essen steht uns ein letzter Programmpunkt in Potsdam bevor, der jedem auf den Magen schlägt. Im „Wald der Erinnerungen“ wird den in Bundeswehreinsätzen verunglückten oder gefallenen Soldaten gedacht. Hier sieht man nicht nur Namensplaketten auf Steinen, sondern viel persönliches Leid. Familien haben unter Trauerbäumen Bilder, Blumen und Kerzen niedergelegt. In einem Baum sitzt ein Teddy, den ein kleiner Junge seinem Papa geschenkt hat, der nicht von einem Einsatz zurückgekehrt ist. Dies ist ein Ort der Trauer, an dem jeder eingeladen ist zu gedenken, betont ein Soldat. Der einzige Programmpunkt unserer Reise, an dem keine Fragen aufkommen.
Zurück in Berlin, neigt sich das Seminar dem Ende zu. Dennoch bleibt es spannend: Wir treffen auf einen Militärseelsorger der katholischen Kirche, der über viele Jahre Soldaten im Einsatz begleitet hat. Er kann eine ganz besondere Perspektive einnehmen, da er bei den Einsätzen dabei war, ohne Teil einer Einsatztruppe zu sein. Durch vertrauliche Gespräche mit den Soldat*innen weiß er am besten, welche Emotionen bei einem Einsatz mitfahren. Bei den Auslandsaufenthalten sei er jedoch nicht nur in der Basis geblieben, sondern auch mit „rausgefahren“. Besonders die Studierenden der Religionspädagogik kommen mit dem Geistlichen ins Gespräch und stellen Fragen zum Thema Ethik und Krieg. Dabei schildert der Pfarrer auch seine sehr persönliche Sicht, als Katholik Soldatinnen und Soldaten zur Seite zu stehen, die sich auf ihren Einsätzen mit Krieg und Tod konfrontiert sehen.
Ein letztes Mal fährt die Reisegruppe mit den KU-Bussen nach Berlin, denn am letzten Tag steht eine Zeitreise in die damalige DDR auf dem Plan. In der Gedenkstätte des DDR-Gefängnisses Hohenschönhausen treffen die Studierenden auf Zeitzeug*innen, die hier unter dem totalitären Regime einsitzen mussten. Durch den Bericht der damals Inhaftierten wird ein bedeutender, aber auch bedrückender Teil deutscher Geschichte hautnah erfahrbar. Wir stehen in einem der kleinen Verhörräume, in dem die Stasi unschuldige Menschen über Stunden psychisch und physisch unter Druck gesetzt hat. Alles ist original, selbst die versiegelten Schränke. Hier steht die Gruppe dicht gedrängt um einen Zeitzeugen, der hier selbst verhört wurde. Die Umgebung und der Gesprächspartner, alles ist ebenso authentisch wie bedrückend. Geschichte zum Anfassen. Dieser letzte Eindruck steht für unsere ganze aufregende und erkenntnisreiche Woche: Das war eine realitätsnahe und glaubwürdige Art, Wissen zu vermitteln. Egal ob Zeitzeuge, Expertin oder Offizier, die Begegnungen mit unseren Gesprächspartnern geschahen auf Augenhöhe und mit viel gegenseitigem Interesse und Respekt. Und das lag nicht zuletzt auch an unserer Gruppe junger Studierender. Jede*r brachte aus seinem Fachbereich interessante Fragen mit, deren aufschlussreiche Antworten jede*n in der Gruppe weiterbrachten.
Nach fünf Tagen geht eine ganz besondere Studienreise zu Ende. Ein Blick über den Tellerrand wagen und von anderen lernen, das war das Ziel unseres Berlinbesuchs. Er wurde dem mehr als gerecht. Wir, die Teilnehmenden über die Fakultätsgrenzen hinweg, spüren, wir sind einander nähergekommen – den Menschen im Politapparat Berlin, und nicht zuletzt wir uns selbst. Vielen Dank an alle in Berlin und Eichstätt, die zum Gelingen der Fahrt beigetragen haben!