Christliche Spiritualität in Zeiten des Umbruchs - Teil 2: Wie (neu) beginnen?

Wie ist es möglich, neu zu beginnen inmitten einer Krise? Welche Haltung könnte der Keim eines neuen Anfangs sein inmitten täglich schwankender Nachrichten zwischen Hoffnung und Befürchtung und was macht einen wirklichen Neustart aus- Damit beschäftigt sich der dieswöchige Beitrag aus der aktuellen Vorlesung zur christlichen Spiritualität von Prof. Dr. Martin Kirschner.

Die derzeitigen Diskussionen und Konflikte um die Lockerungen des „Lockdown“ konfrontieren mit der Schwierigkeit in einer (fortdauernden) Krise neu zu beginnen. Würde man in der „Angststarre“ des Lockdown verharren, würde das Leben massiv Schaden nehmen (wirtschaftlich, aber auch persönlich, psychisch, gesellschaftlich). Würde man die weiter bestehende Gefahr kleinreden oder ignorieren und einfach wieder zum Alltag zurückkehren, droht ein zweiter Ausbruch der Pandemie und der Absturz in eine tiefere Krise. Das Anknüpfen an die „Normalität“ vor der Krise würde aber auch die Möglichkeiten verspielen, aus der Krise zu lernen und einen Entwicklungspfad zu verlassen, der mit dem drohenden ökologischen Kollaps und immer tieferen sozialen Verwerfungen in eine weit tiefere Krise führen wird als Covid-19. Aber (wie) ist es möglich, tatsächlich neu und anders zu beginnen?

Der Münchner Soziologe Armin Nassehi macht deutlich wie unwahrscheinlich ein solcher Neuanfang aus soziologischer Sicht ist: Das Virus hat zwar in der ersten Reaktion „alles verändert“ und die gesellschaftlichen Routinen unterbrochen; aber mit dem Ende der ersten Phase sei der gesellschaftliche Motor mit seinen Muster wieder angesprungen: „Das Virus hat zwar alles verändert, aber es hat sich nicht das Geringste daran geändert, wie eine komplexe Gesellschaft auf solch eine Ausnahmesituation reagiert. Man könnte sagen: Sie tut es ziemlich routiniert. Wir sehen, dass alle Akteure genauso auftreten, wie sie es sonst auch tun.“[1] Die Reaktionen auf die Krise spiegeln die unterschiedlichen Interessen und Stile, Überzeugungen und Ansichten, wie sie auch vor der Krise vertreten wurden, allerdings können sich die Positionen unter dem Druck der Situation radikalisieren, können die Toleranz für Gegenpositionen, die Fähigkeit zur Differenzierung und der Respekt vor der Freiheit des Anderen in Gefahr geraten, etwa wenn Regierende pauschal als Marionetten dunkler Mächte und Kritiker als Anhänger von Verschwörungstheorien verunglimpft werden oder wenn soziale Überwachung und Denunziation mit dem höheren Zweck des Seuchenschutzes legitimiert werden.

„Was geschehen ist, wird wieder geschehen, was getan wurde, wird man wieder tun: Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“ (Koh 1,9) – aber ist das „der Weisheit letzter Schluss“? Und wäre dann nicht alles vergeblich, nur „Windhauch“? 

Diese Situation konfrontiert mit der wohl grundlegendsten und schwierigsten Frage des Menschen: Wie ist überhaupt ein Anfang möglich? Und wie ist ein Neuanfang möglich, wenn etwas zu Ende geht?

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[1] Armin Nassehi, Das Virus ändert alles, aber es ändert sich nichts, in: Zeit-Online vom 04. Mai 2020 - https://www.zeit.de/kultur/2020-05/corona-massnahmen-lockerungen-kontaktverbot-lockdown-social-distancing ; vgl. zum theoretischen Hintergrund: Nassehi, Armin (2019): Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft.