Für Biedenkopf liegen die Ursachen der aktuellen Finanzkrise nicht in unverantwortlicher Spekulation, vielmehr sei die Spekulation nur die Folge einer langen Vorgeschichte gewesen. Die Finanzkrise sei unter anderem entstanden aus einem Junktim von Wachstum und Regierbarkeit, das bis hinein in die ersten Jahrzehnte der noch jungen Bundesrepublik reiche. „Demnach ist die Gesellschaft durch sozialen Unfrieden gefährdet, der angeblich nur durch Wachstum verhindert werden könne und somit Regierbarkeit gewährleiste“, so Biedenkopf. Eine zugunsten des Wachstums tolerierte Staatsverschuldung ermögliche zwar Bewegungsspielraum, werde aber im Gegenzug von Zinsen wieder aufgezehrt. „Das ist irrational, aber die Grundlage des Regierens.“
Als weitere Ursache nannte Biedenkopf, dass „demokratische Staaten in der Praxis nicht die Fähigkeit entwickelt haben, sich zu begrenzen“, insgesamt sei die Einführung des Euro nicht sauber gelaufen, weil man die Lebenswirklichkeit ignoriert habe. Der Krisenfall sei überhaupt nicht vorgesehen gewesen. „Der Euro wurde wie ein Schiff auf See gesetzt, das keine Rettungsboots hat, einen unzulänglichen Kompass und eine instabile Maschine. Die Reparatur muss nun auf stürmischer See erfolgen“, so Biedenkopf. Dennoch sei der Euro im Vergleich zur D-Mark die stärkere Währung und sei hoch geschätzt.
Als einen Lösungsansatz nannte Biedenkopf ein grundlegendes Umdenken weg vom Wachstum als treibende Kraft und Grundlage von Demokratie. Dazu sei es jedoch auch notwendig, die vorhandenen Ressourcen umzuverteilen: „Die sozialpolitischen Besitzstände – wie das Gesundheits- oder Rentensystem – nehmen fast 50 Prozent des Bundeshaushaltes ein. In den Gründungsjahren der Bundesrepublik wurden die Menschen zum Aufbau der Demokratie eingeladen, indem ihnen ein Sozialstaat versprochen wurde, der ihnen die Notwendigkeit zur eigenständigen Vorsorge abnimmt.“ Dies habe jedoch auch die eigenen Gestaltungsspielräume von Bürgergesellschaft und Demokratie eingeschränkt, die eher auf das Subsidiaritätsprinzip setzen sollte: Die Menschen sollten eigenständig für sich entscheiden und nur Hilfe erhalten, um dann wieder eigenständig zu werden. Erst wenn dies möglich sei, habe zumindest eine Grundsicherung zu erfolgen, die durch die im Grundgesetzt verbriefte Würde des Menschen geschützt sei. „Demokratie ist eine kulturelle und ethische Leistung. Mittlerweile sind jedoch die Bürger, nicht der Staat subsidiär geworden. Aus der Würde des Menschen leitet sich jedoch nicht nur ein Recht auf Freiheit, sondern auch ein Recht auf Verantwortung ab“, stellte Biedenkopf fest. Je mehr Bereich der Staat regeln wolle, desto mehr steige zudem der Einfluss von Lobbyisten; es entstehe ein Geflecht aus Einzelentscheidungen, die nicht rational seien.
Biedenkopfs Ausblick: „Es ist eine kulturelle Aufgabe, den Menschen Demokratie nahezubringen. Wenn die Verteilung von Ressourcen und Verantwortungen neu koordiniert wird, dann ist es auch wieder interessanter zu wählen. An der Wahlbeteiligung zeigt sich nicht das Interesse der Wähler, sondern die wahrgenommene Relevanz der möglichen Entscheidungen.“