Über diese Parallelen sagt Benz: „Feindbilder bedienen verbreitete Sehnsüchte nach schlichter Welterklärung … Bausteine des Feindbilds sind Verallgemeinerung und Reduktion von wirklichen oder vermeintlichen Sachverhalten auf Negativa“ („Der Feind in der Wiege“).
Viel augenfälliger als die Parallelen sind indes die grundlegenden Unterschiede zwischen dem Judenhass des 19. Jahrhunderts und der heutigen Islamophobie, die Wolfgang Benz sowohl im SZ-Artikel als auch im Zeit-Interview außer Acht lässt. Nur auf einen dieser Unterschiede möchte ich hier kurz eingehen. Er betrifft die Konstellation, in der die jeweiligen Feindbilder auftraten bzw. auftreten.
Als der von Benz zitierte Heinrich von Treitschke 1879 mit seinen gehässigen, judenfeindlichen Tiraden den sogenannten Berliner Antisemitismusstreit auslöste, handelte es sich bei den Juden um eine schutz- und wehrlose Minderheit ohne eigenes Staatsgebiet, und gerade diese Schutzlosigkeit der Juden steigerte die Aggressivität der Judenhasser unentwegt. 20 Jahre nachdem Treitschke seinen Satz „Die Juden sind unser Unglück“ ausgesprochen hatte, plädierte bereits Houston Stewart Chamberlain in seinen „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ (1899) für eine „karthaginische Lösung“ der Judenfrage, d.h. für die Elimination der Juden. Die Konturen des Holocaust waren hier schon sichtbar.
Die heutige Islamophobie entwickelt sich hingegen in einer ganz anderen Konstellation. Die von ihr betroffenen moslemischen Minderheiten spüren den Rückhalt Dutzender islamischer Staaten wie auch der gesamten, etwa anderthalb Milliarden zählenden islamischen Umma, die mit Entrüstung auf jeden spektakulären antiislamischen Vorfall reagiert. Ein solcher Rückhalt fehlte den Juden, als die NS-Führer etwa 40 Jahre nach dem Erscheinen der „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ begannen, das eliminatorische Vermächtnis Chamberlains, den sie grenzenlos bewunderten, in die Tat umzusetzen.
Leonid Luks