Lebensform, Bann, Deaktivierung & die Aufgabe der Übersetzung. Lehrveranstaltung mit Andreas Hiepko, Übersetzer der Werke von Giorgio Agamben

Am Mittwoch, dem 7. Juli 2021, sprach Andreas Hiepko, deutscher Übersetzer des italienischen Gegenwartsphilosophen Giorgio Agamben, als Gastreferent in der Lehrveranstaltung „Philosophische Anthropologie“ unter der Leitung von Justin Veit mit Studierenden und weiteren Interessierten über zentrale Themen von Agambens Philosophie und über seine Übersetzertätigkeit.

Wie hängt unsere biologische Natur und die konkrete Form, die wir unserem Leben im Laufe der Zeit geben, miteinander zusammen? Ist es sinnvoll, zwischen Leben & Lebensform zu unterscheiden, oder sind sie eins? Gerät die westliche Philosophietradition durch verborgene Mechanismen in die Gefahr, den Menschen in verschiedene Bereiche seines Selbst, seines Menschseins, seines Lebens „aufzusplitten“, die im Interesse eines gelingenden Lebens zusammengebracht und -gedacht werden müssten? „Verbannen“ wir gar Teile unserer Natur und der Gesellschaft in einen Randbereich, in dem sie „durch Ausschluss eingeschlossen“ werden? Und wie könnte ein Ausweg daraus, eine „Deaktivierung“ solcher Mechanismen aussehen, der nicht neue Ausschließungen produziert?

Die dargestellten Fragen umreißen einige zentrale Aspekte, denen sich der italienische Gegenwartsphilosoph Giorgio Agamben in seinem Werk zuwendet. Andreas Hiepko hat aus diesem Werk allein 16 Bücher und mehrere weitere Texte ins Deutsche übertragen. In seinem Vortrag gab er interessante Einblicke in seine Tätigkeit als Übersetzers und die damit verbundenen Herausforderungen, aber ebenso über die Geschichte der Agamben-Rezeption in Deutschland. Insofern einzelnen Begriffen („inoperosità“, „uso“, „forma-di-vita“, usw.) und der philologischen Arbeit an der Sprache in Agambens Werk eine Schlüsselbedeutung zukommt, stößt die Beschäftigung mit der Frage der angemessenen Übersetzung mitten ins Zentrum seiner Philosophie. Was sich hinter Konzepten wie der „Lebens-Form“ oder der „destituierenden Kraft“ verbirgt, wird von Agamben vor allem in der Abgrenzung zu Figuren wie dem „einschließenden Ausschluss“ oder der „biopolitischen Maschine des Abendlandes“ deutlich gemacht; zugleich vermeidet der Philosoph aber eine über Andeutungen und Einzelbeispiele hinausgehende Konzeptualisierung des „guten Lebens“.

In der anschließenden Diskussion wurde insbesondere deutlich, dass Agambens Werk selbst auf eine Denk- und Lebensform verweist, die sich den Kriterien der Effizienz und Eindeutigkeit im Wissenschaftsbetrieb entzieht. Sein Denken sucht jene Deaktivierung der herrschenden Strukturen zu vollziehen, von der es in immer neuen Anläufen handelt. So ist es kein abgeschlossenes Werk. Vielmehr erweist es sein Potenzial gerade indem es vielfältige Fortführungen und kreative Anschlussprojekte motiviert – im Bereich der Kunst, in verschiedenen lokalen Initiativen, in neuen Ansätzen politischer Theorie. Es geht um eine performative Art des Philosophierens, die bei ihren Leserinnen und Lesern jene (Denk-)Prozesse freisetzt, von denen sie selbst handelt.