Neue Hoffnung und Zuversicht: Die Afghanin Sabira Saei studiert an der KU dank eines DAAD-Stipendiums

Sabira
© Christian Klenk

Ihr Traum ist es, afghanischen Frauen zu mehr Freiheit und wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu verhelfen. Auf ihrem eigenen Lebensweg hat Sabira Saei trotz großer Hürden schon jetzt viel erreicht. In ihrer Heimat schaffte es die 27-jährige Afghanin bis zum Hochschulabschluss. Nun absolviert sie dank eines Stipendiums des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) ein BWL-Masterstudium mit dem Schwerpunkt Entrepreneurship and Innovation an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

„Ich schreibe diese Worte schweren Herzens, erfüllt von einem Gefühl von Angst und Verzweiflung. Als die Taliban die Macht in meiner Heimat übernahmen, wurde ich meines Lebensunterhalts und meiner Bildungschancen beraubt.“ So beginnt der Brief, den Sabira Saei im März 2023 verfasst. Sie ist verzweifelt, aber nicht hoffnungslos: „Der einzige Trost, den ich habe, ist mein Reisepass. Ich werde alles tun, um diesen Ort zu verlassen und ein neues Leben zu beginnen.“

Adressat des Hilferufs ist der Deutsche Akademische Austauschdienst. Seit 2021 bietet der DAAD das Programm „Students at Risk“, das Studierende unterstützt, denen in ihrem Herkunftsland das Recht auf Bildung verweigert wird und deren Wohlergehen und Sicherheit in ihrer Heimat bedroht ist. Sie können damit ein Studium in Deutschland aufnehmen oder ihre Promotion fortsetzen. Benannt ist das Angebot, das vom Auswärtigen Amt finanziert wird, nach der deutschen Lyrikerin Hilde Domin. Die Schriftstellerin jüdischen Glaubens musste während der Nazizeit aus Deutschland fliehen und lebte lange Zeit in der Dominikanischen Republik. Das Hilde-Domin-Programm ermögliche den Studierenden ein Studium oder Forschungsaufenthalt in sicherer Umgebung, damit sie anschließend „einen Beitrag zur politischen, wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Entwicklung in ihren Herkunftsländern leisten können“, wie der DAAD die Zielsetzung der Förderung beschreibt. Die Nachfrage ist um ein Vielfaches größer als die zur Verfügung stehenden Plätze. Viele Bewerberinnen und Bewerber kamen zuletzt aus dem Iran, aus Belarus, Myanmar und Syrien. Das Herkunftsland mit den meisten Stipendiaten aber ist Afghanistan, wo vor allem junge Frauen unter der politischen Situation leiden.

Sabira Saei entstammt der ethnischen Gruppe der Hazara, die nicht erst seit der jüngsten Machtübernahme der Taliban unter Diskriminierung und Verfolgung leiden. Sabira wächst mit vier Schwestern und zwei Brüdern auf, der Vater ist Landwirt. Um ihre Ausbildung bezahlen zu können, arbeiten die Kinder neben der Schule: Sie weben Teppiche, die die Familie verkauft. „Trotz der Arbeit habe ich immer mit großer Leidenschaft gelernt – und das oft bis spät in die Nacht“, erzählt Sabira. Ihr Fleiß wird belohnt: Als beste Schülerin ihres Jahrgangs schließt sie die High School ab und beginnt mit einem Studium in Wirtschaftswissenschaften am Institut für Accounting und Management der Bamyan Universität. Auch hier glänzt sie mit hervorragenden Leistungen, schließt drei Semester als Beste ihres Jahrgangs ab und erhält Auszeichnungen der Fakultät.

Sabira
© Christian Klenk Sabira im Lesesaal der Universitätsbibliothek

Neben dem Studium arbeitet Sabira für den Flüchtlingsdienst des Jesuitenordens als Englischlehrerin. Um sich für diese Tätigkeit weiterzubilden, nimmt sie an einem Studienprogramm von „Jesuit Worldwide Learning“ teil und erwirbt das Zertifikat als „Learning Facilitator“. Dies ist zugleich ihr erster Kontakt zur Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, denn das Weiterbildungsangebot, das sich an begabte junge Menschen in Armutsgebieten und Krisenregionen der Welt richtet, bietet der Jesuitenorden gemeinsam mit der KU an. Ihre Tätigkeit als Englischlehrerin ist für Sabira mehr als nur ein Nebenjob zum Geldverdienen. „Mir ging es darum, afghanischen Mädchen Bildung zu ermöglichen. Diese Arbeit ist unglaublich wichtig, da die Bildung von jungen Frauen in vielen Teilen der Welt oft vernachlässigt und unterdrückt wird“, sagt Sabira. 

Das merkt die junge Frau bald am eigenen Leib. Im August 2021 ergreifen die Taliban die Macht über das Land. „Wir mussten unsere Arbeit beim Flüchtlingsdienst abrupt beenden und unsere Schülerinnen zurücklassen.“ Nach einiger Zeit findet Sabira eine neue Anstellung als Finanz- und Büroassistentin bei einer nationalen Organisation für Entwicklungshilfe. „Doch schon nach einem Jahr haben die Taliban meine Kollegen und mich erneut daran gehindert, unserer Arbeit nachzugehen. Alles sollte ich aufgeben, all meine Träume waren zerstört, meine Zukunft von jetzt auf gleich im Ungewissen.“ Ihre Sorgen gelten auch ihrer vierjährigen Tochter Helen, denn Sabira ist alleinerziehende Mutter. „Ich saß zu Hause, konnte nichts tun, lebte in ständiger Ungewissheit.“ 

In dieser scheinbar ausweglosen Situation beschließt Sabira, sich beim DAAD für ein Stipendium zu bewerben. Über die Möglichkeit hat sie in den Sozialen Medien erfahren. Für eine Bewerbung ist eine Nominierung durch eine deutsche Hochschule notwendig. Sabira schreibt mehrere Universitäten an – und erhält gleich drei positive Antworten. Ihre Entscheidung für die Katholische Universität, die sie bereits durch das JWL-Zertifikat kennt, steht schnell fest. Sie reicht ihre Unterlagen ein, wird zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen – und erhält nach einigen Wochen tatsächlich die Zusage für eine Förderung durch das Hilde-Domin-Programm. Sabira kann ihr Glück kaum fassen. Doch eine Hürde gilt es noch zu bewältigen: die Reise nach Deutschland. Eine Ausreise direkt aus Afghanistan stellt sich aufgrund von Restriktionen der Taliban als unmöglich heraus. Doch Sabira gelingt es in den benachbarten Iran zu reisen. In der deutschen Botschaft in Teheran erhält sie schließlich das ersehnte Visum für Deutschland.  

Gemeinsam mit ihrer Tochter kommt Sabira im April 2024 in Eichstätt an. Die KU habe sie von Beginn an unterstützt, sagt Sabira. Das International Office half eine Wohnung zu finden, das Zentralinstitut für Ehe und Familie in der Gesellschaft vermittelte einen Kindergartenplatz für Helen. „Als alleinerziehende Mutter hatte ich erwartet, dass es anfangs schwierig sein würde. Aber mit der Unterstützung, die ich bekommen habe, wurde alles viel einfacher und überschaubarer. Ich bin der KU so dankbar für diese Hilfe.“

Inzwischen ist Sabira im dritten Semester an der KU. Sie fühlt sich sehr wohl. Im Studium komme sie sehr gut zurecht, „obwohl ich meine Schule und meinen Bachelor-Abschluss in einer anderen Sprache als Englisch gemacht habe“. Die Gruppenarbeiten machen ihr besonders Spaß. „Meine Kommilitonen sind sehr motiviert und kooperativ. Beim gemeinsamen Arbeiten mit ihnen und den Diskussionen habe ich sehr viel gelernt.“ Auch die Professoren und ihre Assistenten seien hilfsbereit. „Ich bin wirklich glücklich mit meiner Entscheidung für das Studium an der KU. Alles hat meine Erwartungen übertroffen“, sagt Sabira. „Jetzt habe ich wieder Zuversicht und Hoffnung für meine Zukunft.“ Ihr Traum ist es, afghanischen Frauen zu mehr Freiheit und wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu verhelfen. „Ich möchte eine gemeinnützige Unternehmensberatung gründen, die Unternehmerinnen in meiner Heimat auch unter den Restriktionen der Taliban unterstützt, damit sie überleben, sich anpassen und ihre unternehmerische Laufbahn fortsetzen können.“