„Meine Heimat ist der heimatliche Garten, ist die Kirche in deren Schatten ich großgeworden bin. Die zwar ihre Schatten geworfen hat, aber nicht verdunkelte, sondern erhellte. Ich bin Deutscher, aber Norddeutscher“, so Schorlemmer zu Beginn seiner Ausführungen. Was ist eigentlich Heimat? Wo findet man Heimat? Und wie steht es im Zeitalter der Globalisierung um die Bedeutung von Heimat? Fragen, für die Schorlemer versucht Antwortmöglichkeiten zu finden. Heimat ist für ihn zunächst einmal „der Schatz all unserer Erinnerungen, aller Erlebnisse, die wir aus unserer Kindheit mit uns bringen. Wer einen solchen Schatz nicht hat, ist arm.“ Er sei arm, weil ihm die Identifikation mit der eigenen Heimat fehle und weil die Persönlichkeitsbildung, die daraus erfolgt, eingeschränkt sei. Schorlemmer wies auf die vielfältigen Definitionen von Heimat hin. „Wo ich meine Heimat habe, da geht es mir gut.“ So lautet eine Möglichkeit. Aber schon eine alte Redensart lautet "Ubi bene, ibi patria": „Wo es mir gut geht, da ist meine Heimat.“ Dieser Satz ignoriere jegliche kulturelle und soziale Ortsgebundenheiten von Heimat. Heimat sei demnach lediglich ein Ort, an dem ich Lebensbedingungen auffinde, die mit meinen Vorstellungen konform gehen. Heimat könne auch dort sein, wo ich leben kann, anerkannt und gleichberechtigt bin, wo ich mich gleichzeitig zugehörig fühle, aber ohne Einschränkungen entfalten kann. Ganz nach Goethe: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“.
Schorlemmer hat seine Heimat in der DDR. Er sagt: „nicht wegen der DDR, auch nicht im System der DDR, sondern trotz der DDR.“ Auch wenn ihm die DDR nicht die Möglichkeit gegeben habe, sich ohne Einschränkung zu entfalten, so seien seine Erinnerungen geprägt von dem System, in dem er aufgewachsen und erzogen worden sei. Sein Vortrag war durchzogen von ernsten und heiteren Anekdoten aus Kindheit und Jugend, von Freunden und Familie. Er erzählte von Nudossi „schwarz gefärbter Margarine“ die an Nutella erinnern sollte, den Glücksgefühlen in dem Moment, in dem man das erste Mal eine echte Wrangler Jeans in den Händen halten konnte, den Liedern aus dem Kindergarten. Dies sind alles Erinnerungen, die zwar nur durch die DDR möglich waren, aber trotzdem Kindheit und Heimat verdeutlichen. Schorlemmer merkte an, dass die Erinnerungen, und damit auch die Vorstellung von Heimat, selbst unter seinen Geschwistern nicht dieselbe sei. Und das, obwohl man in demselben System mit denselben Menschen und derselben Umgebung großgeworden ist. Bei Familientreffen zeigt sich immer wieder, wie verschieden die Erzählungen einzelner Gegebenheiten ausfallen können.
Die Aussage, dass man seine Heimat verlassen muss, um die Sehnsucht entwickeln zu können, zu ihr zurückkehren zu wollen, relativiert Schorlemmer, als im finalen Diskurs ein regionaler Landwirt widerspricht. Er habe Bayern nie verlassen und sei trotzdem überzeugt davon, diesen Teil Deutschlands seine Heimat nennen zu können.
Und selbst wenn man nach vielen Jahren die Möglichkeit habe, in seine vermeintliche Heimat zurückzukehren, sei es häufig so, dass man das, was man vorfindet als schöner ansieht, als es in der Realität der Fall ist. „ Manchmal war aber auch die Erinnerung schöner, als das was man zu sehen bekommt. Beides ist möglich und liegt sehr nahe beieinander.“ Sagt Schorlemmer.
Die Globalisierung und die damit verbundenen Erwartungen an die heutigen und nachfolgenden Generationen sieht Schorlemmer als Problem. Den Aufruf mehr Kinder zu gebären, um Deutschland vor der Vergreisung zu bewahren, hält er für unerfüllbar, da mit den wachsenden Flexibilitätsanforderungen die Grundlagen für eine Familiengründung dahinschwinden. „Eine weitsichtigere, europäische Politik wäre, eine Heimatschutz-Politik zu entwickeln, bei der kurzfristige ökologische Verantwortungen mit langfristigen verknüpft werden und eine Kleinteiligkeit der Lebensprozesse gefördert wird.“ Diesen Vorschlag sieht Schorlemmer nicht als Utopie, sondern als Notwendigkeit. Er ist überzeugt davon, dass erst dieser regionale Bezug dem Menschen das Gefühl einer heimatlichen Geborgenheit geben kann.
Dass bei alledem ein Quäntchen romantisierender Idylle mitschwingt, ist Schorlemmer bewusst. In diesem Sinne benennt er Heimat als unerlässliche Utopie.
Das natürliche Verlangen des Menschen nach einem anheimelnden Grundgefühl fasst er mit den Worten Eichendorffs zusammen. „… Und meine Seele breitete ihre Flügel aus, als flöge sie nach Haus.“
Frederike Meister