"West-östlicher Brückenschlag?" Die mangelnde Berücksichtigung der Arbeiten osteuropäischer Historiker und ihre Folgen

Dieser Text basiert teilweise auf einem unveröffentlichten Leserbrief unter dem Titel „Ad fontes!“ an die Süddeutsche Zeitung (SZ). Am 24.05. teilte die SZ dem Autor mit, dass „es uns nicht möglich [war], […] Ihren Text abzudrucken. Aber unabhängig von einer Veröffentlichung lesen die Autoren oder die Ressortleiter alle Briefe und schätzen sie als Quelle nützlicher Anregungen. Wir sind Ihnen deshalb für Ihren Leserbrief dankbar.“ Es ist schön, dass die Autoren und Ressortleiter bereit sind „nützliche Anregungen“ aus dem Leserbrief, dessen Anlass Christian Jostmanns Artikel „Aufstand des Gewissens“ in der SZ vom 16.4.2007 war, zu ziehen, aber es ist gleichzeitig sehr bedauerlich, dass die Öffentlichkeit über den Umstand der Nichtbeachtung von Forschungsergebnissen osteuropäischer Historiker nicht informiert wurde und eine fragwürdige Sensation als solche im Gedächtnis der Leser bleibt.

Bei dieser fragwürdigen Sensation handelt es sich um die angebliche Neuentdeckung von Dokumenten des deutschen Widerstandes, die von Major im Generalstab (i.G.) Joachim Kuhn 1943 in der Nähe des Oberkommandos des Heeres (OHK) „Mauerwald“, Ostpreußen, in Glas- und Metalldosen vergraben worden waren. Von dort gelangten die Dokumente 1945 in die Hände des sowjetischen Sicherheitsdienstes und in dessen Moskauer Archiv. Peter Hoffmann veröffentlichte diese Dokumente nun in seinem Aufsatz „Oberst i.G. Henning von Tresckow und die Staatsstreichpläne im Jahr 1943“ in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte (2/2007, 331-364), woraufhin die SZ von einem „spektakulären Archiv-Fund“ berichtete. Ähnliches findet sich in derWELT vom 18.04.2007. Dort bemerkt Felix Kellerhoff in seinem Artikel „Stauffenbergs Blaupause“ folgendes: „Anderthalb Jahre später, nachdem die Rote Armee Ostpreußen eingenommen hatte, kam der in Kriegsgefangenschaft geratene Major, […] Joachim Kuhn, mit dem sowjetischen Geheimdienst hierher und grub die Papiere wieder aus. Doch statt sie der Forschung zu übergeben, versteckten die Russen die Papiere, bis Peter Hoffmann jetzt darauf stieß.“

 

Leider entpuppt sich der spektakuläre Archivfund Peter Hoffmanns bei genauerer Betrachtung als nicht ganz so spektakulär, wie es die SZ und die WELT darstellten. Denn bedauerlicherweise vergisst Herr Hoffmann es zu erwähnen, dass die besagten Dokumente bereits 2001 vom Moskauer Historiker Boris Chavkin und dem Archivar Aleksandr Kalganov teilweise in der Zeitschrift FORUM für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte als Faksimile veröffentlicht worden sind (FORUM, 1/2001, S.355-358). Zudem wurden die Dokumente schon im Jahr 2000 im Artikel von Aleksandr Kalganov „Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944“ in dem Band Tajnye stranicy istorii (Geheime Seiten der Geschichte, Moskau, 2000, 308-316) auf Russisch publiziert.

Die Geschichte dieser Pläne ist durchaus „wert erzählt zu werden“, wie Jostmann in der SZ schreibt, allerdings bedarf die Erzählung der Erweiterung: Zum einen waren „die Russen“ nicht ganz so geheimniskrämerisch, wie Felix Kellerhoff schreibt, sondern übergaben die Dokumente bereits 1997 als Teil des Kuhn-Dossiers dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl als Geschenk, zum anderen war Peter Hoffmann, wie gesagt, bei weitem nicht der Erste. Boris Chavkin stieß auf die Dokumente als er zusammen mit Aleksandr Kalganov den Fall des deutschen Kriegsgefangenen Major Kuhn aufarbeitete. Dies führte u.a. zu einer weiteren Veröffentlichung im FORUM in der auch zum ersten Mal Kuhns „Eigenhändige Aussagen“, die Hoffmann wiederholt zitiert, in voller Länge veröffentlicht wurden (FORUM, 2/2001, S.355-402). Diese Arbeit wird von Peter Hoffmann zwar erwähnt, es wird allerdings nicht deutlich, dass es sich hier um die erste vollständige Veröffentlichung von Kuhns „Eigenhändigen Aussagen“ handelt. Es wäre wünschenswert, wenn die Arbeit der osteuropäischen Kollegen berücksichtigt und genutzt werden würde. Schließlich bietet das FORUM seit zehn Jahren hierfür Gelegenheit.

Gegenseitige Achtung, auch über Sprachgrenzen hinweg, sollte gerade unter Wissenschaftlern selbstverständlich sein.

John Andreas Fuchs