Am Ursprung für das Werk von René Descartes: Internationale Tagung in Neuburg

„Cogito, ergo sum.“ – „Ich denke, also bin ich.“ Dieser Satz von René Descartes ist nicht nur unter Philosophen bekannt. Mit seinem radikalen Zweifel an jeglicher Art einer sicheren Erkenntnis und dem daraus resultierenden Beweis der eigenen Existenz im Denken leitete der französische Philosoph und Naturwissenschaftler den modernen frühneuzeitlichen Rationalismus ein. Weniger bekannt ist, dass der damals 23-jährige den Grundgedanken für sein philosophisches System im bayerischen Herzogtum Pfalz-Neuburg gefasst haben soll. Hier hatte er vor 400 Jahren, am 10. November 1619 drei Träume, die ihn, wie er selbst berichtet, die „Fundamente einer neuen wunderbaren Wissenschaft“ erblicken ließen.

Dieses außergewöhnliche Jubiläum würdigten internationale Wissenschaftler*innen mit einem dreitätigen Symposium im Neuburger Schloss unter dem Titel „Mirabilis scientiae fundamenta. Descartes en Allemagne 1619-2019“. Die historisch-philosophische und systematisch angelegte Tagung wurde gemeinsam von Prof. Dr. Walter Schweidler (Eichstätt) und Prof. Dr. Vincent Carraud (Paris-Sorbonne) in enger Zusammenarbeit mit PD Markus Rothhaar (Hagen) und Dr. Dan Arbib (Paris) organisiert.

Im Rahmen der festlichen Eröffnung der Tagung im Neuburger Stadttheater trug zunächst Pierre Lanapats, Generalkonsul der Französischen Republik in Bayern, sein Grußwort vor. Er betonte die Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen, die nicht nur wirtschaftlicher und kultureller, sondern auch philosophischer Art seien. Der Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl verwies auf die große Relevanz von philosophischer Reflexion in der heutigen Zeit. Etwa im Bereich der Bioethik und innerhalb der Diskussion über Künstliche Intelligenz bestünde ein großer Beratungsbedarf. „Wir sind froh, dass es Einrichtungen wie an der KU Eichstätt-Ingolstadt gibt, die uns in solchen Fragen zur Seite stehen können“, bekräftigte Brandl. Der Oberbürgermeister der Stadt Neuburg, Dr. Bernhard Gmehling, bezeichnete es als „Ehre und Freude“, das deutsch-französische Kolloquium beheimaten zu dürfen. Auch die Präsidentin der KU, Prof. Dr. Gabriele Gien, unterstützte die Eröffnungsfeier mit einem übermittelten Grußwort. Sie warf mit Blick auf die starke Betonung der Nachhaltigkeit im Profil der KU unter anderem die wichtige Frage auf, welche Auswirkungen „Descartes auf die Vision vom Menschen, auf seine Wahrnehmung als Teil der Schöpfung und auf die Entwicklung der Wissenschaften“ hatte.

Den wissenschaftlichen Auftakt der Tagung bildete ein Festvortrag des Descartes-Spezialisten und renommierten Philosophen Prof. Dr. Jean-Luc Marion von der Académie française, in welchem er eine philosophische Analyse der drei Träume Descartes‘ vorstellte.

In den folgenden drei Tagen tauschten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Frankreich, Italien, Deutschland und der Schweiz neueste Forschungsergebnisse miteinander aus. „Man sieht, dass der Rationalismus aus etwas entsteht, was keiner Vernunft zugänglich ist, aus Träumen, aus Intuitionen. Und dem wollen wir hier auf den Grund gehen“, fasst Prof. Dr. Walter Schweidler, Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie in Eichstätt, einen entscheidenden Akzent der deutsch-französischen Tagung zusammen. In den weiteren insgesamt 17 Beiträgen wurden unter anderem die historische Einordnung, die Fundamente und die Rezeption der cartesischen Philosophie sowie Herausforderungen einer angemessenen Übersetzung thematisiert.

Ob René Descartes seine philosophischen Erkenntnisse tatsächlich in der Stadt Neuburg gewann, ist nicht endgültig gesichert. Auch andere Städte, etwa Ulm, beanspruchen es für sich, Heimat der Geburtsstunde des Rationalismus zu sein. Während der Tagung sprachen sich die Teilnehmenden allerdings für die These aus, der junge Philosoph habe sich im November 1619 vom Deckenstuck der Hofkirche in Neuburg begeistern lassen. Dieser zeigt mit der Anrufung der Mutter Gottes eine Darstellung, wie sie vor allem im italienischen Wallfahrtsort Loreto prominent ist, in dem Descartes viel Zeit verbracht habe. "Loreto ist ein eindeutiger Hinweis auf Neuburg", bestätigt auch Prof. Dr. Walter Schweidler.

Am Montagvormittag besuchten Dr. Tobias Holischka vom Lehrstuhl für Philosophie der KU, Stefan Raich vom Projekt „Mensch in Bewegung“, Damien Lacroux, französischer Doktorand der Pariser Sorbonne-Universität und Prof. Dr. Holger Günzel von der Hochschule München das Descartes-Gymnasium in Neuburg. Mit Schülerinnen und Schülern der elften Klasse und Studierenden aus Paris und Toulouse wurde angeregt darüber diskutiert, wie sich die Grundgedanken des französischen Philosophen auf das Thema der Künstlichen Intelligenz anwenden lassen könnten.

Ein besonderes Highlight der Tagung stellte am Montagabend eine Lesung des vielfach preisgekrönten Autors Durs Grünbein im Neuburger Stadttheater dar, die von dem Ensemble Musica aliter begleitet wurde. Grünbein las aus denjenigen seiner Werke vor, die sich mit René Descartes beschäftigen, unter anderem aus seinem Buch „Vom Schnee oder Descartes in Deutschland“.

Zum Abschluss des Symposiums sind die Rückmeldungen von Teilnehmenden und Organisatoren allseits sehr positiv. Der wissenschaftliche Austausch sei überaus produktiv verlaufen und hätte Erkenntnisse hervorgebracht, welche sowohl in das philosophische Denken als auch in die Lehre mit einfließen würden, bestätigt Prof. Dr. Walter Schweidler den umfangreichen Ertrag der Tagung. Über eine mögliche Fortsetzung der Tagung wird aufgrund der vielen neugewonnenen Erkenntnisse der Forschenden in Neuburg bereits nachgedacht. Auch Hauptorganisatorin Clara-Elisabeth Vasseur zeigt sich zufrieden: „Das Gesamtprogramm war literarisch, kulturell und natürlich hochwissenschaftlich. Wir hatten die Crème de la Crème der Descartes-Forschung hier versammelt, sodass es wirklich eine Tagung auf höchstem Level war.“

Katharina Zöpfl