Apostolische Konstitution „Veritatis gaudium“: Neue Wissenskultur für eine Welt im epochalen Umbruch

Mit seiner Apostolischen Konstitution „Veritatis gaudium“ hat Papst Franziskus ein Dokument veröffentlicht, das die Arbeit kirchlicher Hochschulen auf globale Herausforderungen ausrichtet. „Franziskus sieht die Welt in einem epochalen Umbruch, der verbunden ist mit weitreichenden Krisen und einer großen Verunsicherung. Um darauf zu reagieren sieht er die Notwendigkeit eines ‚radikalen Paradigmenwechsels‘ zu einer neuen Kultur akademischer Bildung und wissenschaftlicher Forschung“, erklärt Prof. Dr. Martin Kirschner, der an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) die Heisenberg-Professur für Theologie in Transformationsprozessen der Gegenwart innehat.

Gerade angesichts der ökologischen Krise, die der Papst bereits in der Enzyklika „Laudato Si‘“ thematisierte, müsse man das Verständnis von Wissenschaft, Fortschritt und Rationalität überdenken. „Die Konstitution ,Veritatis gaudium‘ zeichnet das Bild einer Universität, die sich sozial engagiert, den gesellschaftlichen Realitäten aussetzt und über Fachgrenzen hinweg arbeitet. Die Theologie kann dabei gewissermaßen die Rolle eines Katalysators spielen, der positiv provoziert und auch die Grenzen des Wissens aufzeigt.“

Professor Kirschner arbeitet derzeit federführend am Aufbau eines Zentrums an der KU, das sich mit den nun auch in „Veritatis gaudium“ formulierten übergreifenden Fragen von Kirche, Religion und Gesellschaft befassen wird – sowohl aus historischer Perspektive als auch im Blick auf die gegenwärtige Situation. Dies fügt sich ein in den an der KU bestehenden interdisziplinären Austausch über Fächer und Kulturen hinweg, die Etablierung von sozialem Engagement mit wissenschaftlicher Reflexion und einem breiten Angebot, das den Studierenden Gelegenheit zur Persönlichkeitsbildung bietet.

Auch ein weiteres Leitthema der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt – der Transfer in die Gesellschaft – spiegelt sich in der aktuellen Vatikanischen Konstitution wider: „Franziskus zeigt, dass kritische Reflexion und Spiritualität, Wissensproduktion und weisheitliche Wissensformen zusammengebracht werden müssen – auch im Kontakt mit den Erfahrungen der Bevölkerung“, erläutert Professor Kirschner. Deshalb spiele in „Veritatis gaudium“ der Dialog mit anderen Konfessionen und Konfessionslosen eine große Rolle. Dabei gehe es auch um die Kommunikation zwischen Subkulturen, die quer durch die Konfessionen und Religionen verlaufen und um das Überbrücken gesellschaftlicher Polarisierung.

Die Sehnsucht nach Wahrheit und Gerechtigkeit könne dazu beitragen, die Fragmentierung in den Gesellschaften zu überwinden, die weit über das Religiöse hinausgehe. Bereits das Zweite Vatikanische Konzil habe eine radikale Dialogbereitschaft beschrieben, die sogar bis zu denen reiche, die die Kirche verfolgten, was angesichts des epochalen Wandels gegenwärtig nötig sei. In Anbetracht der gesellschaftlichen Situation sei man immer wieder mit einem Gefühl der Ohnmacht und Vereinzelung konfrontiert. Aber eine Vernetzung sei nötig, um Ansätze und Lösungen zu entwickeln, die es so noch nicht gebe und um handlungsfähig zu bleiben.

„Papst Franziskus spricht den kirchlichen Universitäten in diesem Kontext eine strategische Rolle zu – nicht als Bastion der Rechtgläubigkeit, sondern – wie er schreibt – als ,kulturelles Laboratorium‘, in dem vom Glauben inspiriert und in einem breiten Dialog die Wirklichkeit gedeutet und Handlungsperspektiven entwickelt werden“, so Kirschner.