Bundesanwaltschaft lässt eigenen Umgang mit NS-Zeit erforschen

Im Auftrag der Bundesanwaltschaft erforscht Prof. Dr. Friedrich Kießling (Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der KU) derzeit, wie diese in den Anfangsjahren der Bundesrepublik mit persönlichen und politischen Belastungen aus dem Dritten Reich umgegangen ist. Dabei kooperiert Kießling mit Professor Dr. Christoph Safferling (Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg). Erste Zwischenergebnisse wurden kürzlich bei einem Symposium am Bundesgerichtshof in Karlsruhe vorgestellt.

Herr Professor Kießling, der Beginn der Nachkriegszeit wird immer wieder als „Stunde Null“ bezeichnet, was einen kompletten Neuanfang impliziert. Wieviel Kontinuität aus der Zeit vor 1945 haben sie bislang in der Historie der Bundesanwaltschaft feststellen können?

Dass die „Stunde Null“ gerade in Behörden so nicht existierte, ist schon seit längerem Stand der Forschung. Das gilt auch für die Bundesanwaltschaft. Schon beim Festakt zu ihrer Gründung 1950 beriefen sich Redner ganz selbstverständlich auf die Arbeit der Reichsanwaltschaft vor 1945 als positive Tradition für die neue Behörde. Es gab aber natürlich auch Diskontinuitäten. Vielleicht am spannendsten überhaupt ist die Frage, wie Spitzenjuristen, die den Grundstein für ihre Karrieren in den Jahrzehnten vor 1945 gelegt hatten, sich an den demokratischen Rechtsstaat anpassten und diesen schließlich verteidigten. Für manchen war das im Übrigen ein ziemlich langer Weg.  

Welchen Einfluss hatte dies auf die konkrete Arbeit dieser Institution?

Am deutlichsten werden Kontinuitäten vermutlich bei der strafrechtlichen Verfolgung von Kommunisten in der frühen Bundesrepublik. Hier strengte die Bundesanwaltschaft Tausende von Verfahren an. Dabei spielte ganz sicher der Antikommunismus des „Dritten Reichs“ weiter eine Rolle. Viele Mitarbeiter konnten in ihrer Arbeit so ein Feindbild weiterführen, das auch für ihre Tätigkeit vor 1945 bestimmend gewesen war. Wahrscheinlich bot der Antikommunismus in Zeiten des Kalten Krieges aber auch eine Brücke in die an den westlichen Demokratien orientierte Bundesrepublik. Eine andere Kontinuität bildete in den frühen Jahren die ausgeprägte Staatszentriertheit in der Behörde. Viele in der Bundesanwaltschaft sahen ihre Aufgabe vor allem darin, den Staat und seine Institutionen zu schützen. Die Grundrechte sowie die neue Verfassungsordnung spielten weniger eine Rolle. Die dahinter liegende Kontinuität betraf allerdings nicht nur den Nationalsozialismus, sondern ein breiteres traditionelles und auch autoritäres Staatsverständnis der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.       

Auf welche Quellenlage können Sie sich bei Ihrem Projekt stützen?

Drei Typen von Quellen sind für uns am wichtigsten: Zum einen stehen uns die Personalakten der damaligen Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft zur Verfügung. Sie sind die wichtigsten Quellen, um die Biographien und Karriereverläufe nachzuzeichnen. Daneben analysieren wir Verfahrensakten, mit denen Kontinuitäten und Diskontinuitäten bei der Sacharbeit untersucht werden können. Schließlich gibt es zahlreiche Gutachten der Bundesanwaltschaft zu Rechtsfragen. Aus ihnen lassen sich z.B. Konzeptionen oder Entwicklungen im Rechtsdenken nachzeichnen.

Sie gehören auch einer Historikerkommission an, die für das Bundeslandwirtschafts­ministerium ebenfalls Fragen von personeller und sachlicher Kontinuität in der Nachkriegszeit untersucht. Lassen sich generelle Linien zur Rekrutierung von Personal für staatliche Behörden in der Nachkriegszeit beschreiben?

 Ja, solche allgemeinen Linien lassen sich ganz gut beschreiben: So stieg überall die Zahl der ehemaligen NSDAP-Mitglieder in den Bundesbehörden im Verlauf der 1950er Jahre an, zum Teil sogar ziemlich massiv. Der Höhepunkt lag hier nicht etwa in der Anfangszeit, sondern meist in den Jahren um 1960. War man außerdem einmal im Bundesdienst, hatte man kaum noch etwas zu befürchten. Bei späteren Beförderungen spielte die eigene Vergangenheit selbst bei erheblichen Belastungen meist keine Rolle mehr. Im Bundeslandwirtschaftsministerium etwa durchlief ein ehemaliges SS-Mitglied alle Beförderungsstufen bis zum Staatssekretär, zu dem er 1984 schließlich berufen wurde. Dabei spielte es auch keine Rolle, dass er die Mitgliedschaft bei seiner Einstellung zunächst verschwiegen hatte. Selbst als dies im Ministerium bekannt wurde, hatte es keine Konsequenzen. Es gibt aber auch andere Fälle. So enthüllte eine DDR-Kampagne gegen den dritten Generalbundesanwalt Wolfgang Fränkel 1962, dass dieser als Mitarbeiter der Reichsanwaltschaft im Nationalsozialismus an zahlreichen Todesurteilen beteiligt war. Fränkel blieb nichts anderes übrig, als dies zuzugeben. Nur wenige Monate nach seinem Amtsantritt verlor er seinen Posten wieder.       

Was hielt die Alliierten davon ab, gerade in führenden Ebenen von staatlichen Institutionen der noch jungen Bundesrepublik die Entnazifizierung konsequent zu praktizieren?

Die Siegermächte, auch die Westalliierten, bemühten sich Anfangs durchaus ernsthaft um eine Entnazifizierung der deutschen Verwaltung. Allerdings kam es nie zu einem wirklich einheitlichen Vorgehen. Später spielten praktische Gründe für die nachlassende Rigidität eine Rolle. Um eine funktionierende Verwaltung zu gewährleisten, schien es immer mehr notwendig, zumindest auch auf minderbelastete Mitarbeiter zurückzugreifen. Dennoch war die Entnazifizierung der Alliierten bei Gründung der Bundesrepublik in der Verwaltung noch deutlich zu spüren. Die große Integration von Beamten mit NS-Vergangenheit auch in höheren Positionen fand erst nach 1949 statt. Jetzt hatten wirklich nur noch hoch belastete NS-Funktionäre etwas zu befürchten.        

Das Projekt zur Bundesanwaltschaft läuft voraussichtlich noch bis Ende dieses Jahres. Welche Arbeiten stehen bis dahin noch an?

Die Projektlaufzeit bis Ende des Jahres bezieht sich auf die Quellenrecherche. Bis dahin steht also noch eine ganze Reihe von Archivbesuchen am Sitz der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, aber auch im Bundesarchiv in Koblenz an. Danach geht es dann ans Schreiben.

 

Prof. Dr. Friedrich Kießling ist seit 2014 Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der KU. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem die Geschichte der internationalen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert, die Geschichte des europäischen Imperialismus sowie die Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.