Corona-Schließungen vergrößern Bildungskluft von Kindern mit Migrationshintergrund

Die Schließung von Schulen im Zuge der Corona-Pandemie wird die Bildungskluft zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund weiter vergrößern, wenn nicht mit entsprechenden Maßnahmen gegengesteuert wird. „Es mehren sich Hinweise darauf, dass Lehrer in der Corona-Pandemie den Kontakt besonders zu Schülern mit Migrationshintergrund verloren haben. Für benachteiligte Kinder dürfte der soziale Aufstieg durch die Schulschließungen noch schwieriger geworden sein“, berichtet Prof. Dr. Alexander Danzer, Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre (insbesondere Mikroökonomik) an der KU.

Danzer gehörte im Mai dieses Jahres zu den Initiatoren des bundesweiten Appells „Bildung ermöglichen!“, mit dem sich rund 100 namhafte Ökonominnen und Ökonomen an die Bildungspolitik gewandt haben. Darin wiesen sie generell auf gravierende Folgen für die Kompetenzentwicklung von Kindern und Jugendlichen durch die Schließung von Schulen und Kitas hin. In einem Gastbeitrag für die Zeitschrift „ifo-Schnelldienst“ des Münchner ifo Instituts geht Danzer nun auf die Folgen von Schulschließungen speziell für Kinder mit Migrationshintergrund ein.

Bereits vor Corona habe Deutschland im internationalen Vergleich große Unterschiede bei den Bildungskompetenzen von Kinder mit und ohne Migrationshintergrund aufgewiesen: Von 25 OECD-Ländern gehöre die Bundesrepublik in der PISA-Studie zu den fünf, bei denen die Lücke im Fach Mathematik zwischen Migranten der ersten Generation und einheimischen Kindern ohne Migrationshintergrund am größten sei. Die Kompetenzlücke der zweiten Migrationsgeneration bewege sich für Deutschland im internationalen Mittelfeld. „Die Weichen für spätere ökonomische Erfolge am Arbeitsmarkt werden bereits in der frühen Kind- und Schulzeit gelegt. Bildungslücken von Kindern mit Migrationshintergrund schmälern deren langfristige Chancen für ihr späteres Berufsleben – und dies auch für folgende Generationen“, erklärt Danzer.

Eine Ursache bestehe unter anderem darin, dass Kinder aus Haushalten mit Migrationshintergrund hinsichtlich ihrer Bildungsressourcen benachteiligt seien: Sie verfügten seltener über ein eigenes Zimmer, Zugang zu Büchern und Computern. Zudem sei der Kontakt von Eltern mit Migrationshintergrund zu den Bildungseinrichtungen schwächer ausgeprägt – zum Teil aufgrund von fehlendem institutionellem Wissen oder Sprachbarrieren.

Die fehlenden Sprachkenntnisse der Eltern seien auch ein Hindernis für die Entwicklung der Kinder, die durch Schulschließungen wegen Corona weiter beeinträchtigt würde: Der Spracherwerb leide durch die fehlende Interaktion mit Lehrkräften und muttersprachlichen Mitschülern. „Empirische Studien zu Schulschließungen haben zwar bislang nicht explizit die Auswirkungen auf Kinder mit Migrationshintergrund beleuchtet. Allerdings zeigen etwa Ergebnisse zu Lehrerstreiks in Argentinien, dass Schulschließungen den Kompetenzerwerb von Kindern aus dem untersten Einkommensbereich sowie aus schlecht gebildeten Elternhäusern überproportional treffen“, so Danzer. Neben kognitiven Kompetenzen seien Schulen zudem Institutionen, die eine sozio-emotionale Entwicklung prägten und Schutz etwa vor familiärer Überforderung böten.

Deshalb appelliert Danzer, Wege zu finden, um Eltern mit Migrationshintergrund auf Augenhöhe in den Bildungsprozess einzubinden. Zudem müssten bei Bedarf technische Grundlagen für Distanzunterricht angeboten werden, eine Notbetreuung zum Spracherwerb gewährleistet sein sowie generell umfangreicher Förderunterricht etabliert werden. So sei in den USA bereits seit den 1980er Jahren ein Fernlernsystem etabliert worden, das es ermögliche, ortsunabhängig mit vertrauten Lehrern zu kommunizieren und Leistungsrückstände abzubauen.

 

Literatur:

Alexander Danzer: „Auswirkungen der Schulschließungen auf Kinder mit Migrationshintergrund.“ In: ifo Schnelldienst (9/2020; S. 7-10; www.ifo.de/publikationen/ifo-schnelldienst)