Das Gesamtwerk von Publius Papinius Statius in den Blick genommen

Sicherlich ist vielen Leserinnen und Lesern ein Phänomen vertraut: Wenn man das zweite Buch einer Autorin oder eines Autors zur Hand nimmt, wird man es wohl nie lesen können, ohne Vergleiche zu ziehen oder Parallelen zu entdecken. Nicht nur für die persönliche Lektüreerfahrung, sondern auch für die wissenschaftliche Interpretation von Texten hat sich der Gedanke des (Gesamt)Werks als fruchtbare Interpretationskategorie erwiesen, sowohl in produktions- wie auch rezeptionsästhetischer Perspektive. Für einige römische Dichter wie Vergil und Ovid existieren seit einiger Zeit vielfältige Forschungsdiskussionen um solche Fragen, wie Selbstkanonisierung oder die Intratextualität des eigenen Werks. Doch gibt es auf diesem Feld in der antiken Literatur noch sehr viel zu tun. Einer dieser Autoren, die in den letzten Jahrzehnten zwar ein großes Forschungsinteresse generiert haben, aber für die die Frage nach dem Gesamtwerk bisher nur in Ansätzen gestellt wurde, ist Publius Papinius Statius (ca. 40-96 n. Chr.). Eine internationale Fachtagung der Klassischen Philologie beleuchtete nun das Gesamtwerk dieses Autors.

Er ist unbestritten der innovativste und schillerndste Dichter der flavischen Zeit (69-96 n. Chr.). Sein Werk überrascht zunächst in seiner Gegensätzlichkeit: Neben zwei Epen, der ausgefeilten Thebais und der unvollendeten Achilleis, stehen mit den Silvae Sammlungen von halbimprovisierten Gelegenheitsgedichten. Diese drei Werke erscheinen auf den ersten Blick so unterschiedlich wie sonst kaum ein erhaltenes Oeuvre eines lateinischen Autors. Doch nutzt Statius gerade die Gelegenheitsgedichte, um seine einzelnen Werke in Relation zu einander zu setzen. Sehr selbstbewusst verbindet Statius seine Werke miteinander und fordert seine Leserschaft dazu auf, sie als Teile eines bewusst geformten Gesamtwerks zu lesen, das Statius in den Kanon der großen Dichter vor ihm einordnet, das zugleich aber auch seine Innovationskraft deutlich werden lässt.

Ziel der Tagung war es, die Frage nach Statius’ Oeuvre als Gesamtwerk zum ersten Mal in einem größeren Zusammenhang zu beleuchten, um neue Wege sowohl zum Verständnis von Statius’ Werken als auch von der Rolle und Funktion von Gesamtwerken innerhalb der antiken Literatur zu eröffnen. Sechzehn Referentinnen und Referenten aus sechs Ländern haben sich der Frage „Statius – Schöpfer eines Gesamtwerks?“ gewidmet und das vorsichtige Fragezeichen des Tagungstitel in ihrer Schlussdiskussion durch ein Ausrufungszeichen ersetzt. Ein Sammelband soll die gewonnenen Einsichten und Erkenntnisse bündeln und der wissenschaftlichen und allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich machen.