Das „Ich“ in der antiken Literatur

In vielen antiken Texten stößt der Leser auf ein „Ich“, das nicht nur den Namen, sondern auch gewisse Charakteristika mit dem historischen Autor gemeinsam hat. So schreibt zum Beispiel der römische Dichter Catull (1. Jh. v. Chr.) Liebesgedichte, in denen auch ein Catull auftaucht. In der Forschung wurden solche Ich-Aussagen sehr lange als mehr oder minder wörtlich zu nehmende autobiographische Äußerungen verstanden. Die Literaturwissenschaft des 20. Jahrhunderts hat allerdings die Schwierigkeiten solcher Interpretationen in der antiken wie der modernen Literatur aufgezeigt. Fünfzehn Referentinnen und Referenten aus Deutschland und Großbritannien widmeten nun bei einem Forschungskolloquium an der KU dem Thema „Autofiktionen in der antiken Literatur“. Veranstalter war das Fach Klassische Philologie, das bei der Ausrichtung des Kolloquiums von der Fritz Thyssen-Stiftung unterstützt wurde.

Der französische Literaturwissenschaftler und Romanautor Serge Doubrovsky (1928-2017) hat für die Schwierigkeiten der Autobiographie das Konzept und den Begriff der ‚Autofiktion‘ geprägt. Eine wichtige Grundidee dabei ist, dass die Trennung zwischen fiktiver Welt des Textes und vermeintlich realerer Welt des Autors nicht so scharf zu ziehen ist. Vielmehr findet und erfindet sich der Autor erst im Schreiben seines Textes selbst. Diese Überlegungen Doubrovskys wurden von der Literaturwissenschaft besonders in Frankreich aufgenommen und weiterentwickelt.

Ziel des Kolloquiums war es neben der Einzelinterpretation von Texten, auch einen methodischen Fortschritt bei der Anwendung des Autofiktions-Konzepts für Texte einer vormodernen Epoche zu erreichen und zur schärferen Profilierung gegenüber anderen Konzepten beizutragen. Ein Sammelband soll diese Erkenntnisse bündeln und der wissenschaftlichen und allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich machen.