Das Verhältnis von Politik und Religion aus deutsch-französischer Perspektive

Ein kriegerischer oder ein krimineller Akt? Der französische Staatspräsident François Hollande sieht Frankreich seit den Anschlägen vom 13. November 2015 in Paris im Kriegszustand. Es wäre besser gewesen, den Islamischen Staat als Kriminelle zu verurteilen, so Prof. Dr. Joost van Loon, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Soziologie an der KU Eichstätt-Ingolstadt. Im Rahmen des Deutsch-Französischen integrierten Studiengangs Politikwissenschaft (DFS) diskutierte er mit etwa 50 Studierenden aus beiden Ländern über die Anschläge in Paris. Zu dem gemeinsam mit Sciences Po Rennes und dem Deutsch-Französischen Jugendwerk veranstalteten mehrtägigen Seminar gehörten auch Hintergrundgespräche mit dem Integrationsbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung, Martin Neumeyer, sowie mit Joachim Unterländer, Abgeordneter im Bayerischen Landtag. Eine Buchvorstellung über die aus französischer Sicht „von Komplexen befreiten Deutschen“ sowie die Diplomverleihung unter Anwesenheit zahlreicher Absolventen des DFS rundeten Seminar und Entdeckungswoche ab.

Van Loon kritisierte in seinem Vortrag, dass der Islamische Staat zum Sprecher des  Islams aufgeblasen werde. Gleichzeitig werde dieser weiter aufgewertet, indem man ihm den Krieg erklärt habe. Van Loon sieht die Ursache für die Anschläge weniger in einer religiösen Konfliktlinie. Es gehe um Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Auch die Studierenden des DFS sprachen von einer Krise des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die sich im laizistischen Frankreich unter anderem in einer „Neutralisierung der Religion im öffentlichen Raum“ zeige. Sie forderten, die Laizität neu zu denken. In Bildungsoffensiven und einer stärkeren Einbindung der Bürger sehen sie zwei weitere Lösungsansätze.

Die Bedeutung von Bildung und Sprache unterstrich auch der Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung in seinem Vortrag „Bayern zwischen ‚Leitkultur‘ und Integration der Muslime“. Dabei bezog sich Neumeyer nicht nur auf Schul- sondern auch auf  Aus- und Fortbildung. Er selbst hat daher einem syrischen Flüchtling ein Praktikum in seinem Büro in der Bayerischen Staatskanzlei ermöglicht. Neumeyer machte deutlich, dass Bayern Menschen integriere. Es gehe nicht um Fragen der Nationalität oder Religion. In der anschließenden Debatte wurde jedoch die Abschiebung von Asylbewerbern aus so genannten sicheren Herkunftsländern kritisiert. In einem Hintergrundgespräch im Bayerischen Landtag betonte Unterländer die Notwendigkeit eines interreligiösen Dialogs, wobei die fehlenden institutionellen Strukturen des Islams diesen erschwerten. Sowohl Neumeyer als auch Unterländer unterstrichen die Akzeptanz von Grundgesetz, Rechtsstaat, Demokratie sowie Gleichberechtigung von Mann und Frau als Voraussetzung für eine gelungene Integration.

Der französische Autor und Absolvent des Studiengangs, Sébastien Vannier, richtet in seinem Buch „Les Allemands décomplexés“ den Blick auf ein Deutschland, in dem die Last der Vergangenheit nicht mehr im Vordergrund steht und das noch vorne blickt. In 20 Reportagen und Interviews beschreibt Vannier „die Deutschen“ und wählt dabei außergewöhnliche Perspektiven, die nicht den gängigen Bildern über Deutschland entsprechen. So schrieb er keine Reportage über die deutsche Nationalmannschaft, sondern über die erfolgreiche Handballmannschaft THW Kiel. Er berichtete nicht über die Europäische Zentralbank, sondern über die Graffitikünstler, die eine Mauer vor der EZB gestaltet hatten. Auch ein Portrait über Eichstätt findet sich in seinem Buch, da es hier quasi keine Arbeitslosigkeit gibt. Seinen jüngsten Besuch an der KU nutzte er übrigens, um für die französische Regionalzeitung Ouest-France über die Flüchtlingshilfe in Eichstätt zu berichten.

Der Eichstätter Programmbeauftragte, Prof. Dr. Klaus Stüwe, hob in seiner Reden anlässlich der Diplomverleihung an die 24 Bachelor- und etwa 15 Masterabsolventen des Deutsch-Französischen Studiengangs am 19. Dezember im Holzersaal der KU hervor, dass sich Frankreich und Deutschland trotz aller augenzwinkernden Klischees mit großer Sympathie begegneten. „Ganz besonders spüren wir diese Nähe in den tragischen Stunden“, so Stüwe und nahm damit Bezug auf die Terroranschläge in Paris im Jahr 2015 sowie den Absturz der Germanwings-Maschine. Die Einzigartigkeit der deutsch-französischen Beziehungen war auch an diesem Abend zu spüren: Studierende und Absolventen fühlen sich einander und dem Studiengang eng verbunden. Die etwa 30 Absolventen waren unter anderem aus Malawi, Pristina, Edinburgh, Paris, Brüssel, Straßburg oder Berlin nach Eichstätt gereist, um im Rahmen eines Master- und Berufsforums die Studierenden zu beraten. Für 2016 plant der Alumniverein zusätzlich ein Mentorenprogramm, um die Beziehung zwischen ehemaligen und aktuellen Studierenden weiter zu stärken.